Sechszehntes Kapitel. Theorie und Praxis des Egoismus.
Als Walter aus dem Hause trat, war es nicht mehr so heiß, daß er darum die Weste sich aufreißen mußte. Er wollte auch nicht Kühlung, der schwere Athemzug bedeutete etwas anderes.
Er eilte nach Louis Bovillards Wohnung. Noch eine schwere Last von der Brust und dann war er frei. Die Vorübergehenden dünkte der junge Mann mit der gerötheten Stirn, dem stieren Blick, der nicht um sich sah, nicht auswich, ein Trunkener; sie wichen ihm aus. Er hörte nicht das Rollen der heim¬ kehrenden Wagen, nicht den Tambour, der den Zapfen¬ streich schlug, er hörte überall nur ein dumpfes Grabgeläut.
Auch den Wagen der Fürstin sah er nicht, die doch dicht an ihm vorüber fuhr. Er hörte nicht Adelheids Stimme, mit einem so schelmischen Silber¬ klang, wie auch wir seit den Tagen ihrer kindischen Lust sie nicht gehört. Es waren Nachtigallentöne
Sechszehntes Kapitel. Theorie und Praxis des Egoismus.
Als Walter aus dem Hauſe trat, war es nicht mehr ſo heiß, daß er darum die Weſte ſich aufreißen mußte. Er wollte auch nicht Kühlung, der ſchwere Athemzug bedeutete etwas anderes.
Er eilte nach Louis Bovillards Wohnung. Noch eine ſchwere Laſt von der Bruſt und dann war er frei. Die Vorübergehenden dünkte der junge Mann mit der gerötheten Stirn, dem ſtieren Blick, der nicht um ſich ſah, nicht auswich, ein Trunkener; ſie wichen ihm aus. Er hörte nicht das Rollen der heim¬ kehrenden Wagen, nicht den Tambour, der den Zapfen¬ ſtreich ſchlug, er hörte überall nur ein dumpfes Grabgeläut.
Auch den Wagen der Fürſtin ſah er nicht, die doch dicht an ihm vorüber fuhr. Er hörte nicht Adelheids Stimme, mit einem ſo ſchelmiſchen Silber¬ klang, wie auch wir ſeit den Tagen ihrer kindiſchen Luſt ſie nicht gehört. Es waren Nachtigallentöne
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Sechszehntes Kapitel.
Theorie und Praxis des Egoismus.
Als Walter aus dem Hauſe trat, war es nicht
mehr ſo heiß, daß er darum die Weſte ſich aufreißen
mußte. Er wollte auch nicht Kühlung, der ſchwere
Athemzug bedeutete etwas anderes.
Er eilte nach Louis Bovillards Wohnung. Noch
eine ſchwere Laſt von der Bruſt und dann war er
frei. Die Vorübergehenden dünkte der junge Mann
mit der gerötheten Stirn, dem ſtieren Blick, der nicht
um ſich ſah, nicht auswich, ein Trunkener; ſie wichen
ihm aus. Er hörte nicht das Rollen der heim¬
kehrenden Wagen, nicht den Tambour, der den Zapfen¬
ſtreich ſchlug, er hörte überall nur ein dumpfes
Grabgeläut.
Auch den Wagen der Fürſtin ſah er nicht, die
doch dicht an ihm vorüber fuhr. Er hörte nicht
Adelheids Stimme, mit einem ſo ſchelmiſchen Silber¬
klang, wie auch wir ſeit den Tagen ihrer kindiſchen
Luſt ſie nicht gehört. Es waren Nachtigallentöne
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. [240]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/250>, abgerufen am 25.11.2024.
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