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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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in dem Einen hast Du Recht, da ist es besser bei
Euch, daß sie die Kirchen heizen! -- Ja, ich habe
es immer gesagt, wenn die Obrigkeit dafür bei uns
sorgte, was hätten die Leute dann noch zu klagen! --
Nun, wer weiß, wenn ich die Augen schließe, kommt
man wohl auch noch dahin! Die großen Herren hier
haben immer an Anderes zu denken, was ihnen
wichtiger scheint, darüber vergessen sie das Nächste." --
"An diesem heißen Augusttage ist es doch wohl nicht
das Nächste, liebe Tante," entgegnete der Amerikaner.
-- "Wenn wir aber nicht im Sommer für den
Winter sorgen, dann ist es im Winter zu spät. Im
Winter aber denken sie, nun, es ist ja noch Zeit,
es kommt ja der Sommer. So wechseln Winter
und Sommer und es geschieht nichts."

Es war eine bekannte alte Dame der Residenz,
gleich geschätzt wegen ihrer Wohlthätigkeit und Fröm¬
migkeit, als wegen ihres klaren Geistes. Nur war
sie ebenso bekannt wegen dieses Steckenpferdes, das
ihr zur fixen Idee geworden. Sie meinte, die Ar¬
muth fühle sich erst recht, wenn sie in ihren Lumpen
in den kalten Gotteshäusern stehe, wogegen die
Verlassenen und Gedrückten mit einem ganz anderen
Gefühl gegen ihren Schöpfer und ihre Mitmenschen
aus den warmen Kirchen zurückkehren würden, gleich
wie ein Satter gegen die Verdrießlichkeiten des
Lebens geharnischt sei, wo ein Hungernder auf den
ersten Angriff fällt. So wußte sie zu beweisen, daß
aus dem Heizen der Kirchen nicht allein christlich

IV. 14

in dem Einen haſt Du Recht, da iſt es beſſer bei
Euch, daß ſie die Kirchen heizen! — Ja, ich habe
es immer geſagt, wenn die Obrigkeit dafür bei uns
ſorgte, was hätten die Leute dann noch zu klagen! —
Nun, wer weiß, wenn ich die Augen ſchließe, kommt
man wohl auch noch dahin! Die großen Herren hier
haben immer an Anderes zu denken, was ihnen
wichtiger ſcheint, darüber vergeſſen ſie das Nächſte.“ —
„An dieſem heißen Auguſttage iſt es doch wohl nicht
das Nächſte, liebe Tante,“ entgegnete der Amerikaner.
— „Wenn wir aber nicht im Sommer für den
Winter ſorgen, dann iſt es im Winter zu ſpät. Im
Winter aber denken ſie, nun, es iſt ja noch Zeit,
es kommt ja der Sommer. So wechſeln Winter
und Sommer und es geſchieht nichts.“

Es war eine bekannte alte Dame der Reſidenz,
gleich geſchätzt wegen ihrer Wohlthätigkeit und Fröm¬
migkeit, als wegen ihres klaren Geiſtes. Nur war
ſie ebenſo bekannt wegen dieſes Steckenpferdes, das
ihr zur fixen Idee geworden. Sie meinte, die Ar¬
muth fühle ſich erſt recht, wenn ſie in ihren Lumpen
in den kalten Gotteshäuſern ſtehe, wogegen die
Verlaſſenen und Gedrückten mit einem ganz anderen
Gefühl gegen ihren Schöpfer und ihre Mitmenſchen
aus den warmen Kirchen zurückkehren würden, gleich
wie ein Satter gegen die Verdrießlichkeiten des
Lebens geharniſcht ſei, wo ein Hungernder auf den
erſten Angriff fällt. So wußte ſie zu beweiſen, daß
aus dem Heizen der Kirchen nicht allein chriſtlich

IV. 14
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[209/0219] in dem Einen haſt Du Recht, da iſt es beſſer bei Euch, daß ſie die Kirchen heizen! — Ja, ich habe es immer geſagt, wenn die Obrigkeit dafür bei uns ſorgte, was hätten die Leute dann noch zu klagen! — Nun, wer weiß, wenn ich die Augen ſchließe, kommt man wohl auch noch dahin! Die großen Herren hier haben immer an Anderes zu denken, was ihnen wichtiger ſcheint, darüber vergeſſen ſie das Nächſte.“ — „An dieſem heißen Auguſttage iſt es doch wohl nicht das Nächſte, liebe Tante,“ entgegnete der Amerikaner. — „Wenn wir aber nicht im Sommer für den Winter ſorgen, dann iſt es im Winter zu ſpät. Im Winter aber denken ſie, nun, es iſt ja noch Zeit, es kommt ja der Sommer. So wechſeln Winter und Sommer und es geſchieht nichts.“ Es war eine bekannte alte Dame der Reſidenz, gleich geſchätzt wegen ihrer Wohlthätigkeit und Fröm¬ migkeit, als wegen ihres klaren Geiſtes. Nur war ſie ebenſo bekannt wegen dieſes Steckenpferdes, das ihr zur fixen Idee geworden. Sie meinte, die Ar¬ muth fühle ſich erſt recht, wenn ſie in ihren Lumpen in den kalten Gotteshäuſern ſtehe, wogegen die Verlaſſenen und Gedrückten mit einem ganz anderen Gefühl gegen ihren Schöpfer und ihre Mitmenſchen aus den warmen Kirchen zurückkehren würden, gleich wie ein Satter gegen die Verdrießlichkeiten des Lebens geharniſcht ſei, wo ein Hungernder auf den erſten Angriff fällt. So wußte ſie zu beweiſen, daß aus dem Heizen der Kirchen nicht allein chriſtlich IV. 14

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/219>, abgerufen am 28.04.2024.