waren Alle einig: Warum war die Polizei nicht früher gekommen?
"War denn die Polizei überhaupt nöthig?" sagte der Begleiter einer ältlichen Dame, der etwas Fremd¬ artiges an sich hatte. Er war aus Amerika nach einem langen Aufenthalt daselbst in seine Vaterstadt zurückgekehrt. Man sah ihn verwundert an. "Haben Sie denn da keine Polizei?" -- "Wo man sie braucht. Was sich von selbst schlichtet, dazu ruft man sie nicht." Die ehrbaren Männer schüttelten den Kopf: Es war ja ein Scandal! "Doch nur für die, welche sich um solche Bagatellen stritten." Aber es ward ein Auf¬ lauf; es hätte noch schlimmer werden können. Einer mußte doch beispringen. "Hätten die Nachbarn und ehrbaren Bürger sich nicht selbst helfen können, wenn es ihnen zu arg ward." Man verstand ihn nicht. Das wäre noch hübscher, ehrbare Bürger um so was zu incommodiren! Die meisten Nachbarn meinten, es liege an der Unvollkommenheit der Gesetze, man solle andere machen; nur waren sie verschiedener An¬ sicht über das wie: den Straßenjungen sollte ver¬ boten werden auf der Straße zu schreien, verlangte der Herr Tabackskrämer drüben. Der Schullehrer meinte: den Frauenzimmern müßte untersagt sein, in einem Putz auf der Straße zu erscheinen, der über ihren Stand ginge, denn daher komme doch die ganze Geschichte. Ein Dritter: man solle nicht Jedem er¬ lauben, auf der Straße zu plumpen, denn das sei der eigentliche Quell. Man kam zu keiner Einigung.
waren Alle einig: Warum war die Polizei nicht früher gekommen?
„War denn die Polizei überhaupt nöthig?“ ſagte der Begleiter einer ältlichen Dame, der etwas Fremd¬ artiges an ſich hatte. Er war aus Amerika nach einem langen Aufenthalt daſelbſt in ſeine Vaterſtadt zurückgekehrt. Man ſah ihn verwundert an. „Haben Sie denn da keine Polizei?“ — „Wo man ſie braucht. Was ſich von ſelbſt ſchlichtet, dazu ruft man ſie nicht.“ Die ehrbaren Männer ſchüttelten den Kopf: Es war ja ein Scandal! „Doch nur für die, welche ſich um ſolche Bagatellen ſtritten.“ Aber es ward ein Auf¬ lauf; es hätte noch ſchlimmer werden können. Einer mußte doch beiſpringen. „Hätten die Nachbarn und ehrbaren Bürger ſich nicht ſelbſt helfen können, wenn es ihnen zu arg ward.“ Man verſtand ihn nicht. Das wäre noch hübſcher, ehrbare Bürger um ſo was zu incommodiren! Die meiſten Nachbarn meinten, es liege an der Unvollkommenheit der Geſetze, man ſolle andere machen; nur waren ſie verſchiedener An¬ ſicht über das wie: den Straßenjungen ſollte ver¬ boten werden auf der Straße zu ſchreien, verlangte der Herr Tabackskrämer drüben. Der Schullehrer meinte: den Frauenzimmern müßte unterſagt ſein, in einem Putz auf der Straße zu erſcheinen, der über ihren Stand ginge, denn daher komme doch die ganze Geſchichte. Ein Dritter: man ſolle nicht Jedem er¬ lauben, auf der Straße zu plumpen, denn das ſei der eigentliche Quell. Man kam zu keiner Einigung.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0217"n="207"/>
waren Alle einig: Warum war die Polizei nicht<lb/>
früher gekommen?</p><lb/><p>„War denn die Polizei überhaupt nöthig?“ſagte<lb/>
der Begleiter einer ältlichen Dame, der etwas Fremd¬<lb/>
artiges an ſich hatte. Er war aus Amerika nach<lb/>
einem langen Aufenthalt daſelbſt in ſeine Vaterſtadt<lb/>
zurückgekehrt. Man ſah ihn verwundert an. „Haben<lb/>
Sie denn da keine Polizei?“—„Wo man ſie braucht.<lb/>
Was ſich von ſelbſt ſchlichtet, dazu ruft man ſie nicht.“<lb/>
Die ehrbaren Männer ſchüttelten den Kopf: Es war<lb/>
ja ein Scandal! „Doch nur für die, welche ſich um<lb/>ſolche Bagatellen ſtritten.“ Aber es ward ein Auf¬<lb/>
lauf; es hätte noch ſchlimmer werden können. Einer<lb/>
mußte doch beiſpringen. „Hätten die Nachbarn und<lb/>
ehrbaren Bürger ſich nicht ſelbſt helfen können, wenn<lb/>
es ihnen zu arg ward.“ Man verſtand ihn nicht.<lb/>
Das wäre noch hübſcher, ehrbare Bürger um ſo was<lb/>
zu incommodiren! Die meiſten Nachbarn meinten,<lb/>
es liege an der Unvollkommenheit der Geſetze, man<lb/>ſolle andere machen; nur waren ſie verſchiedener An¬<lb/>ſicht über das wie: den Straßenjungen ſollte ver¬<lb/>
boten werden auf der Straße zu ſchreien, verlangte<lb/>
der Herr Tabackskrämer drüben. Der Schullehrer<lb/>
meinte: den Frauenzimmern müßte unterſagt ſein,<lb/>
in einem Putz auf der Straße zu erſcheinen, der über<lb/>
ihren Stand ginge, denn daher komme doch die ganze<lb/>
Geſchichte. Ein Dritter: man ſolle nicht Jedem er¬<lb/>
lauben, auf der Straße zu plumpen, denn das ſei<lb/>
der eigentliche Quell. Man kam zu keiner Einigung.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[207/0217]
waren Alle einig: Warum war die Polizei nicht
früher gekommen?
„War denn die Polizei überhaupt nöthig?“ ſagte
der Begleiter einer ältlichen Dame, der etwas Fremd¬
artiges an ſich hatte. Er war aus Amerika nach
einem langen Aufenthalt daſelbſt in ſeine Vaterſtadt
zurückgekehrt. Man ſah ihn verwundert an. „Haben
Sie denn da keine Polizei?“ — „Wo man ſie braucht.
Was ſich von ſelbſt ſchlichtet, dazu ruft man ſie nicht.“
Die ehrbaren Männer ſchüttelten den Kopf: Es war
ja ein Scandal! „Doch nur für die, welche ſich um
ſolche Bagatellen ſtritten.“ Aber es ward ein Auf¬
lauf; es hätte noch ſchlimmer werden können. Einer
mußte doch beiſpringen. „Hätten die Nachbarn und
ehrbaren Bürger ſich nicht ſelbſt helfen können, wenn
es ihnen zu arg ward.“ Man verſtand ihn nicht.
Das wäre noch hübſcher, ehrbare Bürger um ſo was
zu incommodiren! Die meiſten Nachbarn meinten,
es liege an der Unvollkommenheit der Geſetze, man
ſolle andere machen; nur waren ſie verſchiedener An¬
ſicht über das wie: den Straßenjungen ſollte ver¬
boten werden auf der Straße zu ſchreien, verlangte
der Herr Tabackskrämer drüben. Der Schullehrer
meinte: den Frauenzimmern müßte unterſagt ſein,
in einem Putz auf der Straße zu erſcheinen, der über
ihren Stand ginge, denn daher komme doch die ganze
Geſchichte. Ein Dritter: man ſolle nicht Jedem er¬
lauben, auf der Straße zu plumpen, denn das ſei
der eigentliche Quell. Man kam zu keiner Einigung.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/217>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.