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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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schlossen zwei Bekannte mit einem deutschen, viel¬
sagenden Händedruck ein Gespräch, in welchem sie
sich eben nichts zu sagen gewußt. -- "Schlechte Zei¬
ten!" -- "Wenn nur Friede bleibt!" -- "Meinen
Sie? -- Ja -- ja -- wer weiß!" -- "Hab ich's Ihnen
nicht immer gesagt, es geht oder es geht nicht." --
"Ja, wenn nicht der Bonaparte wäre!" -- "'Ne
sappermente Wirthschaft!" -- "Na, man wird ja
sehen." -- "Und das Bier auch immer schlechter." --
"Saure Gurkenzeit, Herr Gevatter!" -- "Die armen
Komödianten! rief eine geputzte Dame. Nein, an sol¬
chem Tage spielen zu müssen!" -- "Und Belmonte und
Constance!" -- "Und in Pelzen, hu, einem schaudert!"
-- "Und wie leer wird es sein!" -- "Vor leeren
Bänken spielen müssen! Ich kann mir gar nichts
Schauderhafteres denken. Das ruinirt ja die Kunst!"
-- Hinter den Geputzten schlenderte wie ein Opfer¬
thier, nicht eins, das erst gebraten werden sollte,
sondern das schon gebraten war vom Sonnenbrand,
ein junger Bursch im Sonntagsrock. Der Mund
offen, die blaßblauen Augen unter den glatt herab¬
hangenden Stirnhaaren der Ausdruck eines Mini¬
mum von Seele. Plötzlich aber belebten sie sich von
Pfiffigkeit; halb pustete, halb pfiff er, und war seit¬
wärts gesprungen nach dem Straßenbrunnen. Rasch
klirrte die Plumpe, und seine Lippen schlürften aus
Herzenslust an dem dick vorsprudelnden Wasserstrahl.
Warum mußte er es so laut machen, daß die Schwe¬
stern sich umsahen: "Aber Karl, Potz Wetter, wie

ſchloſſen zwei Bekannte mit einem deutſchen, viel¬
ſagenden Händedruck ein Geſpräch, in welchem ſie
ſich eben nichts zu ſagen gewußt. — „Schlechte Zei¬
ten!“ — „Wenn nur Friede bleibt!“ — „Meinen
Sie? — Ja — ja — wer weiß!“ — „Hab ich's Ihnen
nicht immer geſagt, es geht oder es geht nicht.“ —
„Ja, wenn nicht der Bonaparte wäre!“ — „'Ne
ſappermente Wirthſchaft!“ — „Na, man wird ja
ſehen.“ — „Und das Bier auch immer ſchlechter.“ —
„Saure Gurkenzeit, Herr Gevatter!“ — „Die armen
Komödianten! rief eine geputzte Dame. Nein, an ſol¬
chem Tage ſpielen zu müſſen!“ — „Und Belmonte und
Conſtance!“ — „Und in Pelzen, hu, einem ſchaudert!“
— „Und wie leer wird es ſein!“ — „Vor leeren
Bänken ſpielen müſſen! Ich kann mir gar nichts
Schauderhafteres denken. Das ruinirt ja die Kunſt!“
— Hinter den Geputzten ſchlenderte wie ein Opfer¬
thier, nicht eins, das erſt gebraten werden ſollte,
ſondern das ſchon gebraten war vom Sonnenbrand,
ein junger Burſch im Sonntagsrock. Der Mund
offen, die blaßblauen Augen unter den glatt herab¬
hangenden Stirnhaaren der Ausdruck eines Mini¬
mum von Seele. Plötzlich aber belebten ſie ſich von
Pfiffigkeit; halb puſtete, halb pfiff er, und war ſeit¬
wärts geſprungen nach dem Straßenbrunnen. Raſch
klirrte die Plumpe, und ſeine Lippen ſchlürften aus
Herzensluſt an dem dick vorſprudelnden Waſſerſtrahl.
Warum mußte er es ſo laut machen, daß die Schwe¬
ſtern ſich umſahen: „Aber Karl, Potz Wetter, wie

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[196/0206] ſchloſſen zwei Bekannte mit einem deutſchen, viel¬ ſagenden Händedruck ein Geſpräch, in welchem ſie ſich eben nichts zu ſagen gewußt. — „Schlechte Zei¬ ten!“ — „Wenn nur Friede bleibt!“ — „Meinen Sie? — Ja — ja — wer weiß!“ — „Hab ich's Ihnen nicht immer geſagt, es geht oder es geht nicht.“ — „Ja, wenn nicht der Bonaparte wäre!“ — „'Ne ſappermente Wirthſchaft!“ — „Na, man wird ja ſehen.“ — „Und das Bier auch immer ſchlechter.“ — „Saure Gurkenzeit, Herr Gevatter!“ — „Die armen Komödianten! rief eine geputzte Dame. Nein, an ſol¬ chem Tage ſpielen zu müſſen!“ — „Und Belmonte und Conſtance!“ — „Und in Pelzen, hu, einem ſchaudert!“ — „Und wie leer wird es ſein!“ — „Vor leeren Bänken ſpielen müſſen! Ich kann mir gar nichts Schauderhafteres denken. Das ruinirt ja die Kunſt!“ — Hinter den Geputzten ſchlenderte wie ein Opfer¬ thier, nicht eins, das erſt gebraten werden ſollte, ſondern das ſchon gebraten war vom Sonnenbrand, ein junger Burſch im Sonntagsrock. Der Mund offen, die blaßblauen Augen unter den glatt herab¬ hangenden Stirnhaaren der Ausdruck eines Mini¬ mum von Seele. Plötzlich aber belebten ſie ſich von Pfiffigkeit; halb puſtete, halb pfiff er, und war ſeit¬ wärts geſprungen nach dem Straßenbrunnen. Raſch klirrte die Plumpe, und ſeine Lippen ſchlürften aus Herzensluſt an dem dick vorſprudelnden Waſſerſtrahl. Warum mußte er es ſo laut machen, daß die Schwe¬ ſtern ſich umſahen: „Aber Karl, Potz Wetter, wie

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/206>, abgerufen am 28.04.2024.