inne, daß sie an ihn gefesselt war. "Sie zerreißen mein Tuch." Er zog sie langsam an sich. "Was wollen Sie?" -- "Sie strafen, daß Sie entfliehen wollten."
Sie mußte ihr Tuch mehr lieben, als die Strafe fürchten, sonst hätte sie doch das Tuch losge¬ lassen und wäre entflohen.
Als er ihr jetzt entgegen sprang, um sie zu stra¬ fen, erschreckte ihn nicht ihr leichter Schrei, mit dem sie dem strafenden Arm sich zu entwinden suchte, sondern -- eine Erscheinung. Adelheid stand zwi¬ schen der Thür und ihm, die Hand an's Herz ge¬ preßt, als fühle sie einen Schmerz, blaß, mit Geister¬ augen, wie eine Bildsäule.
"Meine Herren, schnell den Arm den Damen!" riefen mehre Stimmen, als durch die offene Thür der Zug zum Speisesaal vorüberging. Sans gene, Jeder, wer ihm zunächst steht."
Ob er, ob die Comteß das Tuch vom Knopfe losgenestelt, wissen wir nicht, aber es mußte losge¬ macht sein, denn Bovillard fand kein Hinderniß mehr, als er der ihm Nächststehenden den Arm öffnete. Es machte sich von selbst, es ging nicht anders, ohne einen Verstoß. Es war Adelheid, die der Strom auf ihn zudrängte, während er die Comteß fortschob. Auch sie mußte, sie stand ihm zu rechts. Aber sie weinte. Eigentlich bebte nur ihre Brust.
"Ihre Schlußaccorde -- es war mir, als ob -- als ob etwas sprang --"
inne, daß ſie an ihn gefeſſelt war. „Sie zerreißen mein Tuch.“ Er zog ſie langſam an ſich. „Was wollen Sie?“ — „Sie ſtrafen, daß Sie entfliehen wollten.“
Sie mußte ihr Tuch mehr lieben, als die Strafe fürchten, ſonſt hätte ſie doch das Tuch losge¬ laſſen und wäre entflohen.
Als er ihr jetzt entgegen ſprang, um ſie zu ſtra¬ fen, erſchreckte ihn nicht ihr leichter Schrei, mit dem ſie dem ſtrafenden Arm ſich zu entwinden ſuchte, ſondern — eine Erſcheinung. Adelheid ſtand zwi¬ ſchen der Thür und ihm, die Hand an's Herz ge¬ preßt, als fühle ſie einen Schmerz, blaß, mit Geiſter¬ augen, wie eine Bildſäule.
„Meine Herren, ſchnell den Arm den Damen!“ riefen mehre Stimmen, als durch die offene Thür der Zug zum Speiſeſaal vorüberging. Sans gêne, Jeder, wer ihm zunächſt ſteht.“
Ob er, ob die Comteß das Tuch vom Knopfe losgeneſtelt, wiſſen wir nicht, aber es mußte losge¬ macht ſein, denn Bovillard fand kein Hinderniß mehr, als er der ihm Nächſtſtehenden den Arm öffnete. Es machte ſich von ſelbſt, es ging nicht anders, ohne einen Verſtoß. Es war Adelheid, die der Strom auf ihn zudrängte, während er die Comteß fortſchob. Auch ſie mußte, ſie ſtand ihm zu rechts. Aber ſie weinte. Eigentlich bebte nur ihre Bruſt.
„Ihre Schlußaccorde — es war mir, als ob — als ob etwas ſprang —“
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inne, daß ſie an ihn gefeſſelt war. „Sie zerreißen
mein Tuch.“ Er zog ſie langſam an ſich. „Was
wollen Sie?“ — „Sie ſtrafen, daß Sie entfliehen
wollten.“
Sie mußte ihr Tuch mehr lieben, als die
Strafe fürchten, ſonſt hätte ſie doch das Tuch losge¬
laſſen und wäre entflohen.
Als er ihr jetzt entgegen ſprang, um ſie zu ſtra¬
fen, erſchreckte ihn nicht ihr leichter Schrei, mit dem
ſie dem ſtrafenden Arm ſich zu entwinden ſuchte,
ſondern — eine Erſcheinung. Adelheid ſtand zwi¬
ſchen der Thür und ihm, die Hand an's Herz ge¬
preßt, als fühle ſie einen Schmerz, blaß, mit Geiſter¬
augen, wie eine Bildſäule.
„Meine Herren, ſchnell den Arm den Damen!“
riefen mehre Stimmen, als durch die offene Thür
der Zug zum Speiſeſaal vorüberging. Sans gêne,
Jeder, wer ihm zunächſt ſteht.“
Ob er, ob die Comteß das Tuch vom Knopfe
losgeneſtelt, wiſſen wir nicht, aber es mußte losge¬
macht ſein, denn Bovillard fand kein Hinderniß mehr,
als er der ihm Nächſtſtehenden den Arm öffnete.
Es machte ſich von ſelbſt, es ging nicht anders, ohne
einen Verſtoß. Es war Adelheid, die der Strom
auf ihn zudrängte, während er die Comteß fortſchob.
Auch ſie mußte, ſie ſtand ihm zu rechts. Aber ſie
weinte. Eigentlich bebte nur ihre Bruſt.
„Ihre Schlußaccorde — es war mir, als ob —
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/177>, abgerufen am 05.05.2024.
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