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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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stilles Asyl, und -- Ich weiß ja, wie ich dieses
Opfer zu schätzen habe."

Die Geheimräthin war wieder ganz Herrin über
sich geworden: "Doch ist es nicht ganz so. Warum
zwischen uns eine Verheimlichung! Ueberwindung
kostet es mich, ja, sehr große, diese Festkleider wieder
anzulegen. Ich erwarte auch nicht Erheiterung, noch
suche ich Zerstreuung, denn ich betrachte es als eine
Pflicht gegen mich selbst. Sie sehen also, mein Opfer
ist reiner Egoismus."

"Wie Sie sich da wieder täuschen wollen! Sie
thun es um der Gesellschaft selbst willen, Sie er¬
kennen die Pflicht, daß wir nicht uns, daß wir für
Alle leben sollen."

"Oder sie für uns!" rief eine Stimme in
der Geheimräthin, die aber diesmal auf den
Lippen erstarb. Die Gargazin mußte den Sinn
verstanden haben, so leuchtete ein Blick sie an; es
war ein merkwürdiges Verständniß zwischen beiden
Frauen. Sie liebten sich gewiß nicht, aber zum Haß
war für die Fürstin kein Grund. Sie sah sich um,
ob Niemand lauschte. Der Legationsrath war un¬
schädlich, er bildete eine Schutzmacht gegen die Andern.

"Wir verstehen uns, glaube ich, besser, als wir
einen Ausdruck dafür finden, hub die Fürstin an,
der Lupinus näher rückend. Was ist uns die Ge¬
sellschaft? -- Ich setze voraus, daß wir beide jetzt
über die kleine Rivalität recht herzlich im Innern
lachen, ich meine die, welche die Leute uns anlügen.

ſtilles Aſyl, und — Ich weiß ja, wie ich dieſes
Opfer zu ſchätzen habe.“

Die Geheimräthin war wieder ganz Herrin über
ſich geworden: „Doch iſt es nicht ganz ſo. Warum
zwiſchen uns eine Verheimlichung! Ueberwindung
koſtet es mich, ja, ſehr große, dieſe Feſtkleider wieder
anzulegen. Ich erwarte auch nicht Erheiterung, noch
ſuche ich Zerſtreuung, denn ich betrachte es als eine
Pflicht gegen mich ſelbſt. Sie ſehen alſo, mein Opfer
iſt reiner Egoismus.“

„Wie Sie ſich da wieder täuſchen wollen! Sie
thun es um der Geſellſchaft ſelbſt willen, Sie er¬
kennen die Pflicht, daß wir nicht uns, daß wir für
Alle leben ſollen.“

„Oder ſie für uns!“ rief eine Stimme in
der Geheimräthin, die aber diesmal auf den
Lippen erſtarb. Die Gargazin mußte den Sinn
verſtanden haben, ſo leuchtete ein Blick ſie an; es
war ein merkwürdiges Verſtändniß zwiſchen beiden
Frauen. Sie liebten ſich gewiß nicht, aber zum Haß
war für die Fürſtin kein Grund. Sie ſah ſich um,
ob Niemand lauſchte. Der Legationsrath war un¬
ſchädlich, er bildete eine Schutzmacht gegen die Andern.

„Wir verſtehen uns, glaube ich, beſſer, als wir
einen Ausdruck dafür finden, hub die Fürſtin an,
der Lupinus näher rückend. Was iſt uns die Ge¬
ſellſchaft? — Ich ſetze voraus, daß wir beide jetzt
über die kleine Rivalität recht herzlich im Innern
lachen, ich meine die, welche die Leute uns anlügen.

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[140/0150] ſtilles Aſyl, und — Ich weiß ja, wie ich dieſes Opfer zu ſchätzen habe.“ Die Geheimräthin war wieder ganz Herrin über ſich geworden: „Doch iſt es nicht ganz ſo. Warum zwiſchen uns eine Verheimlichung! Ueberwindung koſtet es mich, ja, ſehr große, dieſe Feſtkleider wieder anzulegen. Ich erwarte auch nicht Erheiterung, noch ſuche ich Zerſtreuung, denn ich betrachte es als eine Pflicht gegen mich ſelbſt. Sie ſehen alſo, mein Opfer iſt reiner Egoismus.“ „Wie Sie ſich da wieder täuſchen wollen! Sie thun es um der Geſellſchaft ſelbſt willen, Sie er¬ kennen die Pflicht, daß wir nicht uns, daß wir für Alle leben ſollen.“ „Oder ſie für uns!“ rief eine Stimme in der Geheimräthin, die aber diesmal auf den Lippen erſtarb. Die Gargazin mußte den Sinn verſtanden haben, ſo leuchtete ein Blick ſie an; es war ein merkwürdiges Verſtändniß zwiſchen beiden Frauen. Sie liebten ſich gewiß nicht, aber zum Haß war für die Fürſtin kein Grund. Sie ſah ſich um, ob Niemand lauſchte. Der Legationsrath war un¬ ſchädlich, er bildete eine Schutzmacht gegen die Andern. „Wir verſtehen uns, glaube ich, beſſer, als wir einen Ausdruck dafür finden, hub die Fürſtin an, der Lupinus näher rückend. Was iſt uns die Ge¬ ſellſchaft? — Ich ſetze voraus, daß wir beide jetzt über die kleine Rivalität recht herzlich im Innern lachen, ich meine die, welche die Leute uns anlügen.

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/150>, abgerufen am 05.05.2024.