Nebenstube ein neuer Wortwechsel, von dessen Heftig¬ keit man überzeugt sein wird, wenn wir sagen, daß Charlotte die Angeklagte war, der Geheimrath der Kläger, und die Geheimräthin, die angerufene Rich¬ terin, sich der Angeklagten nicht anzunehmen schien. Charlotte war ihr eigner Advocat, und der Geheim¬ rath von der Vogtei konnte, wie wir wissen, wenn die Gelegenheit es mit sich brachte, auch außer sich gerathen. Er folgte der entgegengesetzten Maxime seines Bruders; er hielt Emotionen nicht für das Gift, sondern für eines der Präservativmittel des Lebens. Seine Freunde meinten, er alterire sich am liebsten vor dem Mittagstisch, weil dies dem Orga¬ nismus des Magens zuträglich sei; jedoch immer nur mit Maaß.
Doch als er jetzt aus dem Krankenzimmer heraus¬ stürzte und Charlotte hinter ihm, schien er eher der Verfolgte. Sie wenigstens schrie in die Ver¬ sammlung hinein, ohne im geringsten von den respec¬ tablen Personen Notiz zu nehmen:
"Meine Cousine, die Frau Hoflakir, hat mir wohl gesagt: Warum giebst Du Dich noch mit ihnen ab, warum opferst Du Dich ihnen! Du kennst sie ja, und Undank ist der Welt Lohn. Ja, ich kenne sie, und Undank bleibt der Welt Lohn!"
"Charlotte! rief das blasse Gesicht der Geheim¬ räthin, die an der Schwelle stehen blieb. Bedenke Sie, wo Sie ist."
"Ja, Frau Geheimräthin, das bedenke ich auch,
Nebenſtube ein neuer Wortwechſel, von deſſen Heftig¬ keit man überzeugt ſein wird, wenn wir ſagen, daß Charlotte die Angeklagte war, der Geheimrath der Kläger, und die Geheimräthin, die angerufene Rich¬ terin, ſich der Angeklagten nicht anzunehmen ſchien. Charlotte war ihr eigner Advocat, und der Geheim¬ rath von der Vogtei konnte, wie wir wiſſen, wenn die Gelegenheit es mit ſich brachte, auch außer ſich gerathen. Er folgte der entgegengeſetzten Maxime ſeines Bruders; er hielt Emotionen nicht für das Gift, ſondern für eines der Präſervativmittel des Lebens. Seine Freunde meinten, er alterire ſich am liebſten vor dem Mittagstiſch, weil dies dem Orga¬ nismus des Magens zuträglich ſei; jedoch immer nur mit Maaß.
Doch als er jetzt aus dem Krankenzimmer heraus¬ ſtürzte und Charlotte hinter ihm, ſchien er eher der Verfolgte. Sie wenigſtens ſchrie in die Ver¬ ſammlung hinein, ohne im geringſten von den reſpec¬ tablen Perſonen Notiz zu nehmen:
„Meine Couſine, die Frau Hoflakir, hat mir wohl geſagt: Warum giebſt Du Dich noch mit ihnen ab, warum opferſt Du Dich ihnen! Du kennſt ſie ja, und Undank iſt der Welt Lohn. Ja, ich kenne ſie, und Undank bleibt der Welt Lohn!“
„Charlotte! rief das blaſſe Geſicht der Geheim¬ räthin, die an der Schwelle ſtehen blieb. Bedenke Sie, wo Sie iſt.“
„Ja, Frau Geheimräthin, das bedenke ich auch,
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Nebenſtube ein neuer Wortwechſel, von deſſen Heftig¬
keit man überzeugt ſein wird, wenn wir ſagen, daß
Charlotte die Angeklagte war, der Geheimrath der
Kläger, und die Geheimräthin, die angerufene Rich¬
terin, ſich der Angeklagten nicht anzunehmen ſchien.
Charlotte war ihr eigner Advocat, und der Geheim¬
rath von der Vogtei konnte, wie wir wiſſen, wenn
die Gelegenheit es mit ſich brachte, auch außer ſich
gerathen. Er folgte der entgegengeſetzten Maxime
ſeines Bruders; er hielt Emotionen nicht für das
Gift, ſondern für eines der Präſervativmittel des
Lebens. Seine Freunde meinten, er alterire ſich am
liebſten vor dem Mittagstiſch, weil dies dem Orga¬
nismus des Magens zuträglich ſei; jedoch immer
nur mit Maaß.
Doch als er jetzt aus dem Krankenzimmer heraus¬
ſtürzte und Charlotte hinter ihm, ſchien er eher
der Verfolgte. Sie wenigſtens ſchrie in die Ver¬
ſammlung hinein, ohne im geringſten von den reſpec¬
tablen Perſonen Notiz zu nehmen:
„Meine Couſine, die Frau Hoflakir, hat mir
wohl geſagt: Warum giebſt Du Dich noch mit ihnen
ab, warum opferſt Du Dich ihnen! Du kennſt ſie ja,
und Undank iſt der Welt Lohn. Ja, ich kenne ſie,
und Undank bleibt der Welt Lohn!“
„Charlotte! rief das blaſſe Geſicht der Geheim¬
räthin, die an der Schwelle ſtehen blieb. Bedenke
Sie, wo Sie iſt.“
„Ja, Frau Geheimräthin, das bedenke ich auch,
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/38>, abgerufen am 08.07.2024.
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