wußte? Nichts von Erschütterung. Man hatte von Wichtigerem zu plaudern: ob der Blutsturz des jun¬ gen Herrn Bovillard ein gefährlicher oder nur ein bischen Bluthusten war? Ob seine ganze Lügenpost nur eine Intrigue, um seiner Geliebten in einer in¬ teressanten Situation nahe zu kommen? Ob die Madame Lupinus im Recht ist oder die Gargazin? O wer da den Einblick gewönne in dies höchst in¬ tricate wichtige Ränkespiel der beiden Frauen! Ob die Lupinus, wie ihre Freunde sagen, wirklich die Tugendwächterin war für die hübsche Mamsell All¬ tag? Ob sie das junge Mädchen bewacht und be¬ wahrt hat vor der Leidenschaft für den jungen Wüst¬ ling, und ob sie nur in edler Entrüstung zurückwich, als die Sache zu einem öffentlichen Scandal um¬ schlug? Andre wissen ja wohl, sie hätte sie wie ein Cendrillon behandelt, ein moralischer Vampyr, mit Basiliskenblicken das Blut der Jugend und Phan¬ tasie dem Kinde ausgesogen, und es sei ein wahres Glück, daß die Fürstin sie ihr entrissen, ehe das herr¬ liche Geschöpf ein moralisches Skelett ward. Dann der wichtige Streit, ob ihre Ohnmacht Verstellung war, ein abgekartet Spiel, und ob ihr Bräutigam, der junge Gelehrte, nicht vielleicht absichtlich von den Officieren gereizt worden, ob es nicht auch Intrigue ist, daß er sich vergessen mußte, daß man ihn arre¬ tiren durfte, als er seiner Braut zu Hülfe sprang? O worüber sondern sich nicht die Parteien am Thee¬ tisch: ob der junge van Asten den Cornet wirklich am
wußte? Nichts von Erſchütterung. Man hatte von Wichtigerem zu plaudern: ob der Blutſturz des jun¬ gen Herrn Bovillard ein gefährlicher oder nur ein bischen Bluthuſten war? Ob ſeine ganze Lügenpoſt nur eine Intrigue, um ſeiner Geliebten in einer in¬ tereſſanten Situation nahe zu kommen? Ob die Madame Lupinus im Recht iſt oder die Gargazin? O wer da den Einblick gewönne in dies höchſt in¬ tricate wichtige Ränkeſpiel der beiden Frauen! Ob die Lupinus, wie ihre Freunde ſagen, wirklich die Tugendwächterin war für die hübſche Mamſell All¬ tag? Ob ſie das junge Mädchen bewacht und be¬ wahrt hat vor der Leidenſchaft für den jungen Wüſt¬ ling, und ob ſie nur in edler Entrüſtung zurückwich, als die Sache zu einem öffentlichen Scandal um¬ ſchlug? Andre wiſſen ja wohl, ſie hätte ſie wie ein Cendrillon behandelt, ein moraliſcher Vampyr, mit Baſiliskenblicken das Blut der Jugend und Phan¬ taſie dem Kinde ausgeſogen, und es ſei ein wahres Glück, daß die Fürſtin ſie ihr entriſſen, ehe das herr¬ liche Geſchöpf ein moraliſches Skelett ward. Dann der wichtige Streit, ob ihre Ohnmacht Verſtellung war, ein abgekartet Spiel, und ob ihr Bräutigam, der junge Gelehrte, nicht vielleicht abſichtlich von den Officieren gereizt worden, ob es nicht auch Intrigue iſt, daß er ſich vergeſſen mußte, daß man ihn arre¬ tiren durfte, als er ſeiner Braut zu Hülfe ſprang? O worüber ſondern ſich nicht die Parteien am Thee¬ tiſch: ob der junge van Aſten den Cornet wirklich am
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wußte? Nichts von Erſchütterung. Man hatte von
Wichtigerem zu plaudern: ob der Blutſturz des jun¬
gen Herrn Bovillard ein gefährlicher oder nur ein
bischen Bluthuſten war? Ob ſeine ganze Lügenpoſt
nur eine Intrigue, um ſeiner Geliebten in einer in¬
tereſſanten Situation nahe zu kommen? Ob die
Madame Lupinus im Recht iſt oder die Gargazin?
O wer da den Einblick gewönne in dies höchſt in¬
tricate wichtige Ränkeſpiel der beiden Frauen! Ob
die Lupinus, wie ihre Freunde ſagen, wirklich die
Tugendwächterin war für die hübſche Mamſell All¬
tag? Ob ſie das junge Mädchen bewacht und be¬
wahrt hat vor der Leidenſchaft für den jungen Wüſt¬
ling, und ob ſie nur in edler Entrüſtung zurückwich,
als die Sache zu einem öffentlichen Scandal um¬
ſchlug? Andre wiſſen ja wohl, ſie hätte ſie wie ein
Cendrillon behandelt, ein moraliſcher Vampyr, mit
Baſiliskenblicken das Blut der Jugend und Phan¬
taſie dem Kinde ausgeſogen, und es ſei ein wahres
Glück, daß die Fürſtin ſie ihr entriſſen, ehe das herr¬
liche Geſchöpf ein moraliſches Skelett ward. Dann
der wichtige Streit, ob ihre Ohnmacht Verſtellung
war, ein abgekartet Spiel, und ob ihr Bräutigam,
der junge Gelehrte, nicht vielleicht abſichtlich von den
Officieren gereizt worden, ob es nicht auch Intrigue
iſt, daß er ſich vergeſſen mußte, daß man ihn arre¬
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O worüber ſondern ſich nicht die Parteien am Thee¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/310>, abgerufen am 25.11.2024.
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