"So getraue ich mir zu, ihm eine gute, treue Frau zu sein."
"Daran zweifle ich nicht. Aber Du wirst es ihn doch fühlen lassen, welche Opfer Du ihm ge¬ bracht. Du wirst ihm nicht täglich sagen: das und das hätte ich sein können, wenn ich Dich nicht gehei¬ rathet, Ihr werdet Euch nicht immer zanken, noch wird er Dich Abends und Morgens mit verweinten Augen sehen; aber Du kannst Dich nicht enthalten es ihn empfinden zu lassen, was Du empfindest. Augenblicke werden kommen, wo Du Reue fühlst. Je länger Du Dich anstrengst es zu verbergen, je stärker bricht es einmal unwillkürlich heraus. Er ist ein guter Mensch, aber wenn er empfindlich wird, was ich ihm nicht verdenke, bricht es wohl los, nicht ästhetisch, sondern recht irdisch materiell. Hast Du dann Thränen, so ist das noch das beste. Hast Du keine, so schraubst Du Dich zurück in Deine Resi¬ gnation, Du verschließest Dich in die Burg Deines Selbstgefühls. Bist Du erst da isolirt, mein Kind, so begnügst Du Dich bald nicht mehr mit der Ver¬ theidigung, sondern Du machst Ausfälle. Keine Festung hält sich auf die Dauer, wenn der Com¬ mandant nicht die Gelegenheit benutzt, die sich ihm zur Offensive bietet, und dann -- dann ist der Kriegs¬ zustand gegen alle erklärt -- Du stehst wie ich. Täusche Dich doch nicht, als ob Du nicht jetzt schon darin lebtest! Auf Walter bist Du ungehalten, daß er nicht ernstere Anstalten trifft; da fliegt manches
„So getraue ich mir zu, ihm eine gute, treue Frau zu ſein.“
„Daran zweifle ich nicht. Aber Du wirſt es ihn doch fühlen laſſen, welche Opfer Du ihm ge¬ bracht. Du wirſt ihm nicht täglich ſagen: das und das hätte ich ſein können, wenn ich Dich nicht gehei¬ rathet, Ihr werdet Euch nicht immer zanken, noch wird er Dich Abends und Morgens mit verweinten Augen ſehen; aber Du kannſt Dich nicht enthalten es ihn empfinden zu laſſen, was Du empfindeſt. Augenblicke werden kommen, wo Du Reue fühlſt. Je länger Du Dich anſtrengſt es zu verbergen, je ſtärker bricht es einmal unwillkürlich heraus. Er iſt ein guter Menſch, aber wenn er empfindlich wird, was ich ihm nicht verdenke, bricht es wohl los, nicht äſthetiſch, ſondern recht irdiſch materiell. Haſt Du dann Thränen, ſo iſt das noch das beſte. Haſt Du keine, ſo ſchraubſt Du Dich zurück in Deine Reſi¬ gnation, Du verſchließeſt Dich in die Burg Deines Selbſtgefühls. Biſt Du erſt da iſolirt, mein Kind, ſo begnügſt Du Dich bald nicht mehr mit der Ver¬ theidigung, ſondern Du machſt Ausfälle. Keine Feſtung hält ſich auf die Dauer, wenn der Com¬ mandant nicht die Gelegenheit benutzt, die ſich ihm zur Offenſive bietet, und dann — dann iſt der Kriegs¬ zuſtand gegen alle erklärt — Du ſtehſt wie ich. Täuſche Dich doch nicht, als ob Du nicht jetzt ſchon darin lebteſt! Auf Walter biſt Du ungehalten, daß er nicht ernſtere Anſtalten trifft; da fliegt manches
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„So getraue ich mir zu, ihm eine gute, treue
Frau zu ſein.“
„Daran zweifle ich nicht. Aber Du wirſt es
ihn doch fühlen laſſen, welche Opfer Du ihm ge¬
bracht. Du wirſt ihm nicht täglich ſagen: das und
das hätte ich ſein können, wenn ich Dich nicht gehei¬
rathet, Ihr werdet Euch nicht immer zanken, noch
wird er Dich Abends und Morgens mit verweinten
Augen ſehen; aber Du kannſt Dich nicht enthalten
es ihn empfinden zu laſſen, was Du empfindeſt.
Augenblicke werden kommen, wo Du Reue fühlſt.
Je länger Du Dich anſtrengſt es zu verbergen, je
ſtärker bricht es einmal unwillkürlich heraus. Er
iſt ein guter Menſch, aber wenn er empfindlich wird,
was ich ihm nicht verdenke, bricht es wohl los, nicht
äſthetiſch, ſondern recht irdiſch materiell. Haſt Du
dann Thränen, ſo iſt das noch das beſte. Haſt Du
keine, ſo ſchraubſt Du Dich zurück in Deine Reſi¬
gnation, Du verſchließeſt Dich in die Burg Deines
Selbſtgefühls. Biſt Du erſt da iſolirt, mein Kind,
ſo begnügſt Du Dich bald nicht mehr mit der Ver¬
theidigung, ſondern Du machſt Ausfälle. Keine
Feſtung hält ſich auf die Dauer, wenn der Com¬
mandant nicht die Gelegenheit benutzt, die ſich ihm
zur Offenſive bietet, und dann — dann iſt der Kriegs¬
zuſtand gegen alle erklärt — Du ſtehſt wie ich.
Täuſche Dich doch nicht, als ob Du nicht jetzt ſchon
darin lebteſt! Auf Walter biſt Du ungehalten, daß
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/226>, abgerufen am 22.11.2024.
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