Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Mamsell zu adoptiren, so wäre es kein Wunder, wenn
die ihr den Kopf nun heiß mache.

In gewissen Kreisen sprach man von einem
intimen Verhältniß der Geheimräthin mit dem Le¬
gationsrath. Der Legationsrath behielt bei den An¬
spielungen seine vollkommene Ruhe, und rühmte die
Bildung und den eminenten Scharfblick der geist¬
reichen Frau. Ein Liebender bewundert nicht mit der
klaren Ruhe des Verstandes eine Geliebte. Die
Gevatterinnen wußten, daß er nur seltene Besuche
machte, immer in der allgemeinen Besuchsstunde, sie
wußten von der Dienerschaft, daß er sich stets in den
Formen des feinsten Anstandes bewege. Ihre Ge¬
spräche flogen in höhere Regionen der Wissenschaft,
oder betrafen Geschäfte. Die Lupinus besorgte selbst
ihre Geldangelegenheiten, und Wandel hatte ihr gute
Hypotheken nachgewiesen und die Pfandbriefe, die er
für die sichersten hielt, anempfohlen. Er war ein
Freund des Geheimrathes, den dieser oft stundenlang
in seinem Studirzimmer festhielt. Wandel war ein
lebendiges Lexicon für alle Ausgaben des Horaz.
Und wie theilnehmend hatte er sich bei dem letzten
Unglücksfall, der das Haus betraf, benommen, wenn
man den Todesfall des alten Bedienten so nennen
kann. Wie lange war man darauf vorbereitet ge¬
wesen, obgleich Geheimrath Mucius gesagt, er könne
sich noch zehn Jahr quälen. "Wie recht hatte Ihre
Frau Gemahlin, hatte er zum Geheimrath gesagt,
die immer besorgte, daß er an einem acuten Anfall

Mamſell zu adoptiren, ſo wäre es kein Wunder, wenn
die ihr den Kopf nun heiß mache.

In gewiſſen Kreiſen ſprach man von einem
intimen Verhältniß der Geheimräthin mit dem Le¬
gationsrath. Der Legationsrath behielt bei den An¬
ſpielungen ſeine vollkommene Ruhe, und rühmte die
Bildung und den eminenten Scharfblick der geiſt¬
reichen Frau. Ein Liebender bewundert nicht mit der
klaren Ruhe des Verſtandes eine Geliebte. Die
Gevatterinnen wußten, daß er nur ſeltene Beſuche
machte, immer in der allgemeinen Beſuchsſtunde, ſie
wußten von der Dienerſchaft, daß er ſich ſtets in den
Formen des feinſten Anſtandes bewege. Ihre Ge¬
ſpräche flogen in höhere Regionen der Wiſſenſchaft,
oder betrafen Geſchäfte. Die Lupinus beſorgte ſelbſt
ihre Geldangelegenheiten, und Wandel hatte ihr gute
Hypotheken nachgewieſen und die Pfandbriefe, die er
für die ſicherſten hielt, anempfohlen. Er war ein
Freund des Geheimrathes, den dieſer oft ſtundenlang
in ſeinem Studirzimmer feſthielt. Wandel war ein
lebendiges Lexicon für alle Ausgaben des Horaz.
Und wie theilnehmend hatte er ſich bei dem letzten
Unglücksfall, der das Haus betraf, benommen, wenn
man den Todesfall des alten Bedienten ſo nennen
kann. Wie lange war man darauf vorbereitet ge¬
weſen, obgleich Geheimrath Mucius geſagt, er könne
ſich noch zehn Jahr quälen. „Wie recht hatte Ihre
Frau Gemahlin, hatte er zum Geheimrath geſagt,
die immer beſorgte, daß er an einem acuten Anfall

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014" n="4"/>
Mam&#x017F;ell zu adoptiren, &#x017F;o wäre es kein Wunder, wenn<lb/>
die ihr den Kopf nun heiß mache.</p><lb/>
        <p>In gewi&#x017F;&#x017F;en Krei&#x017F;en &#x017F;prach man von einem<lb/>
intimen Verhältniß der Geheimräthin mit dem Le¬<lb/>
gationsrath. Der Legationsrath behielt bei den An¬<lb/>
&#x017F;pielungen &#x017F;eine vollkommene Ruhe, und rühmte die<lb/>
Bildung und den eminenten Scharfblick der gei&#x017F;<lb/>
reichen Frau. Ein Liebender bewundert nicht mit der<lb/>
klaren Ruhe des Ver&#x017F;tandes eine Geliebte. Die<lb/>
Gevatterinnen wußten, daß er nur &#x017F;eltene Be&#x017F;uche<lb/>
machte, immer in der allgemeinen Be&#x017F;uchs&#x017F;tunde, &#x017F;ie<lb/>
wußten von der Diener&#x017F;chaft, daß er &#x017F;ich &#x017F;tets in den<lb/>
Formen des fein&#x017F;ten An&#x017F;tandes bewege. Ihre Ge¬<lb/>
&#x017F;präche flogen in höhere Regionen der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft,<lb/>
oder betrafen Ge&#x017F;chäfte. Die Lupinus be&#x017F;orgte &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
ihre Geldangelegenheiten, und Wandel hatte ihr gute<lb/>
Hypotheken nachgewie&#x017F;en und die Pfandbriefe, die er<lb/>
für die &#x017F;icher&#x017F;ten hielt, anempfohlen. Er war ein<lb/>
Freund des Geheimrathes, den die&#x017F;er oft &#x017F;tundenlang<lb/>
in &#x017F;einem Studirzimmer fe&#x017F;thielt. Wandel war ein<lb/>
lebendiges Lexicon für alle Ausgaben des Horaz.<lb/>
Und wie theilnehmend hatte er &#x017F;ich bei dem letzten<lb/>
Unglücksfall, der das Haus betraf, benommen, wenn<lb/>
man den Todesfall des alten Bedienten &#x017F;o nennen<lb/>
kann. Wie lange war man darauf vorbereitet ge¬<lb/>
we&#x017F;en, obgleich Geheimrath Mucius ge&#x017F;agt, er könne<lb/>
&#x017F;ich noch zehn Jahr quälen. &#x201E;Wie recht hatte Ihre<lb/>
Frau Gemahlin, hatte er zum Geheimrath ge&#x017F;agt,<lb/>
die immer be&#x017F;orgte, daß er an einem acuten Anfall<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0014] Mamſell zu adoptiren, ſo wäre es kein Wunder, wenn die ihr den Kopf nun heiß mache. In gewiſſen Kreiſen ſprach man von einem intimen Verhältniß der Geheimräthin mit dem Le¬ gationsrath. Der Legationsrath behielt bei den An¬ ſpielungen ſeine vollkommene Ruhe, und rühmte die Bildung und den eminenten Scharfblick der geiſt¬ reichen Frau. Ein Liebender bewundert nicht mit der klaren Ruhe des Verſtandes eine Geliebte. Die Gevatterinnen wußten, daß er nur ſeltene Beſuche machte, immer in der allgemeinen Beſuchsſtunde, ſie wußten von der Dienerſchaft, daß er ſich ſtets in den Formen des feinſten Anſtandes bewege. Ihre Ge¬ ſpräche flogen in höhere Regionen der Wiſſenſchaft, oder betrafen Geſchäfte. Die Lupinus beſorgte ſelbſt ihre Geldangelegenheiten, und Wandel hatte ihr gute Hypotheken nachgewieſen und die Pfandbriefe, die er für die ſicherſten hielt, anempfohlen. Er war ein Freund des Geheimrathes, den dieſer oft ſtundenlang in ſeinem Studirzimmer feſthielt. Wandel war ein lebendiges Lexicon für alle Ausgaben des Horaz. Und wie theilnehmend hatte er ſich bei dem letzten Unglücksfall, der das Haus betraf, benommen, wenn man den Todesfall des alten Bedienten ſo nennen kann. Wie lange war man darauf vorbereitet ge¬ weſen, obgleich Geheimrath Mucius geſagt, er könne ſich noch zehn Jahr quälen. „Wie recht hatte Ihre Frau Gemahlin, hatte er zum Geheimrath geſagt, die immer beſorgte, daß er an einem acuten Anfall

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/14
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/14>, abgerufen am 27.11.2024.