daß sie sich von selbst fortspannen. Sie war die liebenswürdigste Wirthin, die für Jeden etwas An¬ genehmes in Bereitschaft hatte, aber es schien so spitz zugeschnitten, daß die Oekonomie dem Geschmeichelten nicht entging. Es blitzte, wo sie erschien, die Con¬ versation wogte in sanften Wellenlinien einer gewähl¬ ten Sprache, aber sie stockte plötzlich, wenn sie zu andern Kreisen sich wandte. Man fühlte sich genirt, wo sie hinzutrat, und frei, wenn sie den Rücken ge¬ dreht. Das wird freilich in allen Gesellschaftskreisen sein, wo eine an Geist und Bildung überragende Erscheinung der Unterhaltung ihr Siegel aufdrückt, die minder Gebildeten fühlen das unsichtbare Joch, die Magie des Geistes, gegen die sie, ohne sich selbst bloß zu geben, nicht rebelliren dürfen, sie fühlen sie sogar doppelt, wo der Geist sich zu ihren Vorstel¬ lungen herabläßt, und sie würdigt, in ihrer Sprache zu reden. Ader diese Gesellschaft war eine ungleich andere, als die gemischte, in der wir neulich die Ge¬ heimräthin zu beobachten Gelegenheit hatten. Sie war eine gewählte. Die Geheimräthin kannte Alle, sie wußte was man vermeiden, was man andeuten dürfe, und doch traf sie es nicht, daß es den Leuten wohl ward. Eine liebenswürdige Wirthin, eine geist¬ volle Frau! war das allgemeine Urtheil; wohlver¬ standen das, was zwei sich sagten, die sich und ihre Meinungen noch nicht kannten. Wenn sie sich ver¬ ständigten, kamen einige "Aber" hinterher. "Aber sehr scharf." -- "Geistreich, sehr geistreich, aber ihr
daß ſie ſich von ſelbſt fortſpannen. Sie war die liebenswürdigſte Wirthin, die für Jeden etwas An¬ genehmes in Bereitſchaft hatte, aber es ſchien ſo ſpitz zugeſchnitten, daß die Oekonomie dem Geſchmeichelten nicht entging. Es blitzte, wo ſie erſchien, die Con¬ verſation wogte in ſanften Wellenlinien einer gewähl¬ ten Sprache, aber ſie ſtockte plötzlich, wenn ſie zu andern Kreiſen ſich wandte. Man fühlte ſich genirt, wo ſie hinzutrat, und frei, wenn ſie den Rücken ge¬ dreht. Das wird freilich in allen Geſellſchaftskreiſen ſein, wo eine an Geiſt und Bildung überragende Erſcheinung der Unterhaltung ihr Siegel aufdrückt, die minder Gebildeten fühlen das unſichtbare Joch, die Magie des Geiſtes, gegen die ſie, ohne ſich ſelbſt bloß zu geben, nicht rebelliren dürfen, ſie fühlen ſie ſogar doppelt, wo der Geiſt ſich zu ihren Vorſtel¬ lungen herabläßt, und ſie würdigt, in ihrer Sprache zu reden. Ader dieſe Geſellſchaft war eine ungleich andere, als die gemiſchte, in der wir neulich die Ge¬ heimräthin zu beobachten Gelegenheit hatten. Sie war eine gewählte. Die Geheimräthin kannte Alle, ſie wußte was man vermeiden, was man andeuten dürfe, und doch traf ſie es nicht, daß es den Leuten wohl ward. Eine liebenswürdige Wirthin, eine geiſt¬ volle Frau! war das allgemeine Urtheil; wohlver¬ ſtanden das, was zwei ſich ſagten, die ſich und ihre Meinungen noch nicht kannten. Wenn ſie ſich ver¬ ſtändigten, kamen einige „Aber“ hinterher. „Aber ſehr ſcharf.“ — „Geiſtreich, ſehr geiſtreich, aber ihr
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daß ſie ſich von ſelbſt fortſpannen. Sie war die
liebenswürdigſte Wirthin, die für Jeden etwas An¬
genehmes in Bereitſchaft hatte, aber es ſchien ſo ſpitz
zugeſchnitten, daß die Oekonomie dem Geſchmeichelten
nicht entging. Es blitzte, wo ſie erſchien, die Con¬
verſation wogte in ſanften Wellenlinien einer gewähl¬
ten Sprache, aber ſie ſtockte plötzlich, wenn ſie zu
andern Kreiſen ſich wandte. Man fühlte ſich genirt,
wo ſie hinzutrat, und frei, wenn ſie den Rücken ge¬
dreht. Das wird freilich in allen Geſellſchaftskreiſen
ſein, wo eine an Geiſt und Bildung überragende
Erſcheinung der Unterhaltung ihr Siegel aufdrückt,
die minder Gebildeten fühlen das unſichtbare Joch,
die Magie des Geiſtes, gegen die ſie, ohne ſich ſelbſt
bloß zu geben, nicht rebelliren dürfen, ſie fühlen ſie
ſogar doppelt, wo der Geiſt ſich zu ihren Vorſtel¬
lungen herabläßt, und ſie würdigt, in ihrer Sprache
zu reden. Ader dieſe Geſellſchaft war eine ungleich
andere, als die gemiſchte, in der wir neulich die Ge¬
heimräthin zu beobachten Gelegenheit hatten. Sie
war eine gewählte. Die Geheimräthin kannte Alle,
ſie wußte was man vermeiden, was man andeuten
dürfe, und doch traf ſie es nicht, daß es den Leuten
wohl ward. Eine liebenswürdige Wirthin, eine geiſt¬
volle Frau! war das allgemeine Urtheil; wohlver¬
ſtanden das, was zwei ſich ſagten, die ſich und ihre
Meinungen noch nicht kannten. Wenn ſie ſich ver¬
ſtändigten, kamen einige „Aber“ hinterher. „Aber
ſehr ſcharf.“ — „Geiſtreich, ſehr geiſtreich, aber ihr
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/88>, abgerufen am 23.11.2024.
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