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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

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ihnen sich hin, hört er auf zu berechnen, verfolgt er
eine Phantasie, ist er schon verloren. Das Weib in
seiner anscheinend beschränkteren Sphäre kann ihre
ganze Kraft weit leichter auf einen bestimmten Ge¬
genstand concentriren, und wie sie den Mann be¬
herrscht, wenn sie will, warum nicht die Welt!"

"Spötter!"

"Dem Weibe gab die Natur die feine Beo¬
bachtungskraft, die wir nur mit unendlicher Anstrengung
uns aneignen, die Gabe aus Symptomen, die un¬
serem in die Ferne schweifenden Blick entgehen,
Seelenzustände, vergangene und künftige Begeben¬
heiten zu entziffern. Vermag sie's, Herrin zu werden
über ihre Neigungen, Vorurtheile, ihre Liebe und
ihren Haß, ihre Impulse und abergläubige Vor¬
stellungen; vermag sie's, ihre Bestrebungen, ihre Liebe
und ihren Haß auf größere Dinge zu richten, als
den Untergang einer Rivalin, die Protection eines
Günstlings, dann, sage ich Ihnen, kann sie mit
ihren außerordentlichen Mitteln Großes, Außerordent¬
liches, warum nicht das Größte."

Die Geheimräthin schwieg nachsinnend. Sie
hielt es für den Moment geeignet, seitwärts ab¬
zuspringen: "Sie wollen die Begeisterung nicht gel¬
ten lassen," sagte sie wieder aufblickend.

"Ich kann einen Trunkenen beneiden, aber nur
so lange er es ist."

"Damit streichen Sie aus der Geschichte ihre
schönsten Thaten."

ihnen ſich hin, hört er auf zu berechnen, verfolgt er
eine Phantaſie, iſt er ſchon verloren. Das Weib in
ſeiner anſcheinend beſchränkteren Sphäre kann ihre
ganze Kraft weit leichter auf einen beſtimmten Ge¬
genſtand concentriren, und wie ſie den Mann be¬
herrſcht, wenn ſie will, warum nicht die Welt!“

„Spötter!“

„Dem Weibe gab die Natur die feine Beo¬
bachtungskraft, die wir nur mit unendlicher Anſtrengung
uns aneignen, die Gabe aus Symptomen, die un¬
ſerem in die Ferne ſchweifenden Blick entgehen,
Seelenzuſtände, vergangene und künftige Begeben¬
heiten zu entziffern. Vermag ſie's, Herrin zu werden
über ihre Neigungen, Vorurtheile, ihre Liebe und
ihren Haß, ihre Impulſe und abergläubige Vor¬
ſtellungen; vermag ſie's, ihre Beſtrebungen, ihre Liebe
und ihren Haß auf größere Dinge zu richten, als
den Untergang einer Rivalin, die Protection eines
Günſtlings, dann, ſage ich Ihnen, kann ſie mit
ihren außerordentlichen Mitteln Großes, Außerordent¬
liches, warum nicht das Größte.“

Die Geheimräthin ſchwieg nachſinnend. Sie
hielt es für den Moment geeignet, ſeitwärts ab¬
zuſpringen: „Sie wollen die Begeiſterung nicht gel¬
ten laſſen,“ ſagte ſie wieder aufblickend.

„Ich kann einen Trunkenen beneiden, aber nur
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[63/0073] ihnen ſich hin, hört er auf zu berechnen, verfolgt er eine Phantaſie, iſt er ſchon verloren. Das Weib in ſeiner anſcheinend beſchränkteren Sphäre kann ihre ganze Kraft weit leichter auf einen beſtimmten Ge¬ genſtand concentriren, und wie ſie den Mann be¬ herrſcht, wenn ſie will, warum nicht die Welt!“ „Spötter!“ „Dem Weibe gab die Natur die feine Beo¬ bachtungskraft, die wir nur mit unendlicher Anſtrengung uns aneignen, die Gabe aus Symptomen, die un¬ ſerem in die Ferne ſchweifenden Blick entgehen, Seelenzuſtände, vergangene und künftige Begeben¬ heiten zu entziffern. Vermag ſie's, Herrin zu werden über ihre Neigungen, Vorurtheile, ihre Liebe und ihren Haß, ihre Impulſe und abergläubige Vor¬ ſtellungen; vermag ſie's, ihre Beſtrebungen, ihre Liebe und ihren Haß auf größere Dinge zu richten, als den Untergang einer Rivalin, die Protection eines Günſtlings, dann, ſage ich Ihnen, kann ſie mit ihren außerordentlichen Mitteln Großes, Außerordent¬ liches, warum nicht das Größte.“ Die Geheimräthin ſchwieg nachſinnend. Sie hielt es für den Moment geeignet, ſeitwärts ab¬ zuſpringen: „Sie wollen die Begeiſterung nicht gel¬ ten laſſen,“ ſagte ſie wieder aufblickend. „Ich kann einen Trunkenen beneiden, aber nur ſo lange er es iſt.“ „Damit ſtreichen Sie aus der Geſchichte ihre ſchönſten Thaten.“

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/73>, abgerufen am 21.11.2024.