Nördlingen oder Ulm ist's vielleicht schon in diesem Mo¬ ment entschieden, und wir-- wir sehen zu und schlafen."
Der Geheimrath hatte sich ganz wieder gewonnen.
"Du weißt, ich liebe nicht Exaltation, am we¬ nigsten in Staatsangelegenheiten."
Er hatte sich auf einen Stuhl niedergelassen und fuhr mit einem Tuch über seine Stirn: "Wer leug¬ net, daß unsre Lage kritisch ist. Sie ist sehr bedenk¬ lich; ich will ernsthaft mit Dir sprechen, weil ich aus Deinem Affect heraus sehe, daß es Dir ernst ist. Es ist mir nicht unlieb, denn wer weiß, was noch kommt, wo Ernst noththut. Wir haben uns täuschen lassen, es ist sogar möglich, daß wir nicht zu rechter Zeit uns entschieden, uns nicht bei Zeiten wahre Alliirte verschafften. Es ist noch schlimmer, daß, wenn wir es jetzt wollten, man uns nicht mehr traut. Ja ich fürchte, Napoleon grollt uns im Innern mehr als einem seiner Gegner. So ist's, mein Herr Sohn, rief er aufstehend, ja so ist es. Und weil es so ist, dürfen wir grade jetzt nicht anders handeln, als wir gehandelt. Sollen wir, wo das Schicksal von Eu¬ ropa auf der Messerschneide schwebt, mit einem Mal außer uns gerathen, uns selbst verlieren, und dem Theil, der auf dem Punkt steht, zu verlieren, uns in die Arme werfen! Wir gingen mit ihm unter."
"Wenigstens wäre es ein männliches Ende -- "
"Eines, der sich selbst verloren giebt. So weit sind wir noch nicht. Aber wir sind in einer Lage, wo man nicht vorsichtig genug sein kann, wo man
Nördlingen oder Ulm iſt's vielleicht ſchon in dieſem Mo¬ ment entſchieden, und wir— wir ſehen zu und ſchlafen.“
Der Geheimrath hatte ſich ganz wieder gewonnen.
„Du weißt, ich liebe nicht Exaltation, am we¬ nigſten in Staatsangelegenheiten.“
Er hatte ſich auf einen Stuhl niedergelaſſen und fuhr mit einem Tuch über ſeine Stirn: „Wer leug¬ net, daß unſre Lage kritiſch iſt. Sie iſt ſehr bedenk¬ lich; ich will ernſthaft mit Dir ſprechen, weil ich aus Deinem Affect heraus ſehe, daß es Dir ernſt iſt. Es iſt mir nicht unlieb, denn wer weiß, was noch kommt, wo Ernſt noththut. Wir haben uns täuſchen laſſen, es iſt ſogar möglich, daß wir nicht zu rechter Zeit uns entſchieden, uns nicht bei Zeiten wahre Alliirte verſchafften. Es iſt noch ſchlimmer, daß, wenn wir es jetzt wollten, man uns nicht mehr traut. Ja ich fürchte, Napoleon grollt uns im Innern mehr als einem ſeiner Gegner. So iſt's, mein Herr Sohn, rief er aufſtehend, ja ſo iſt es. Und weil es ſo iſt, dürfen wir grade jetzt nicht anders handeln, als wir gehandelt. Sollen wir, wo das Schickſal von Eu¬ ropa auf der Meſſerſchneide ſchwebt, mit einem Mal außer uns gerathen, uns ſelbſt verlieren, und dem Theil, der auf dem Punkt ſteht, zu verlieren, uns in die Arme werfen! Wir gingen mit ihm unter.“
„Wenigſtens wäre es ein männliches Ende — “
„Eines, der ſich ſelbſt verloren giebt. So weit ſind wir noch nicht. Aber wir ſind in einer Lage, wo man nicht vorſichtig genug ſein kann, wo man
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Nördlingen oder Ulm iſt's vielleicht ſchon in dieſem Mo¬
ment entſchieden, und wir— wir ſehen zu und ſchlafen.“
Der Geheimrath hatte ſich ganz wieder gewonnen.
„Du weißt, ich liebe nicht Exaltation, am we¬
nigſten in Staatsangelegenheiten.“
Er hatte ſich auf einen Stuhl niedergelaſſen und
fuhr mit einem Tuch über ſeine Stirn: „Wer leug¬
net, daß unſre Lage kritiſch iſt. Sie iſt ſehr bedenk¬
lich; ich will ernſthaft mit Dir ſprechen, weil ich aus
Deinem Affect heraus ſehe, daß es Dir ernſt iſt.
Es iſt mir nicht unlieb, denn wer weiß, was noch
kommt, wo Ernſt noththut. Wir haben uns täuſchen
laſſen, es iſt ſogar möglich, daß wir nicht zu rechter
Zeit uns entſchieden, uns nicht bei Zeiten wahre
Alliirte verſchafften. Es iſt noch ſchlimmer, daß,
wenn wir es jetzt wollten, man uns nicht mehr traut.
Ja ich fürchte, Napoleon grollt uns im Innern mehr
als einem ſeiner Gegner. So iſt's, mein Herr Sohn,
rief er aufſtehend, ja ſo iſt es. Und weil es ſo iſt,
dürfen wir grade jetzt nicht anders handeln, als wir
gehandelt. Sollen wir, wo das Schickſal von Eu¬
ropa auf der Meſſerſchneide ſchwebt, mit einem Mal
außer uns gerathen, uns ſelbſt verlieren, und dem
Theil, der auf dem Punkt ſteht, zu verlieren, uns
in die Arme werfen! Wir gingen mit ihm unter.“
„Wenigſtens wäre es ein männliches Ende — “
„Eines, der ſich ſelbſt verloren giebt. So weit
ſind wir noch nicht. Aber wir ſind in einer Lage,
wo man nicht vorſichtig genug ſein kann, wo man
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/339>, abgerufen am 16.07.2024.
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