Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

"Der Du nicht mein Sohn sein willst, Du
weißt doch, daß ich nicht Minister bin, und die De¬
peschen sind nicht an mich."

Louis war noch um einen Schritt näher getreten,
er hatte des Vaters Arm ergriffen, er sah ihn mit
einem Blick an, den der Geheimrath nicht ertrug:

"Wenn ihr Kind in's Wasser fiel, springt die Mut¬
ter nach, auch wenn sie nicht schwimmen kann. Der
Naturtrieb ist's, sie kann nicht ohne das Kind leben;
sie will mit ihm untergehen. Hier handelt sich's um
Untergang; unser Vaterland geht an der Donau
unter. Wie Gebirgsbäche nach einem Platzregen ein
Thal überschwemmen, so stampfen des Feindes Hufen
auf unserem eigenen theuren vaterländischen Boden
die Quellen auf. Aus unserem Blut, aus unseren
Brüdern recrutirt er sein Heer. Der Baier zieht
mit ihm, wie der Schakal dem Löwen folgt, Baden
ist längst gezwungen; in diesem Augenblick, der
Courier bringt die Nachricht, schließt auch Würtem¬
berg sich an; die Kleinern, die Größern, die Größten
reißt er, er reißt alle mit sich. Nur wir glaubten
uns von besserer Natur, zu groß, wir schrieben
Friedrichs Namen mit Ellenbuchstaben an unsre
Gränze. Da liegt die falsche Rechnung. Eine Tra¬
dition war's, ein Nebelschild, ein Dunstbild. Seine
Sappeurs haben unseren Gränzpfahl niedergehauen,
seine Kanonen rollen, seine Reiter sprengen darüber.
Der schwarzweiße Pfahl liegt im Graben, der Adler
zertreten, es giebt keine Preußische Gränze mehr, es

„Der Du nicht mein Sohn ſein willſt, Du
weißt doch, daß ich nicht Miniſter bin, und die De¬
peſchen ſind nicht an mich.“

Louis war noch um einen Schritt näher getreten,
er hatte des Vaters Arm ergriffen, er ſah ihn mit
einem Blick an, den der Geheimrath nicht ertrug:

„Wenn ihr Kind in's Waſſer fiel, ſpringt die Mut¬
ter nach, auch wenn ſie nicht ſchwimmen kann. Der
Naturtrieb iſt's, ſie kann nicht ohne das Kind leben;
ſie will mit ihm untergehen. Hier handelt ſich's um
Untergang; unſer Vaterland geht an der Donau
unter. Wie Gebirgsbäche nach einem Platzregen ein
Thal überſchwemmen, ſo ſtampfen des Feindes Hufen
auf unſerem eigenen theuren vaterländiſchen Boden
die Quellen auf. Aus unſerem Blut, aus unſeren
Brüdern recrutirt er ſein Heer. Der Baier zieht
mit ihm, wie der Schakal dem Löwen folgt, Baden
iſt längſt gezwungen; in dieſem Augenblick, der
Courier bringt die Nachricht, ſchließt auch Würtem¬
berg ſich an; die Kleinern, die Größern, die Größten
reißt er, er reißt alle mit ſich. Nur wir glaubten
uns von beſſerer Natur, zu groß, wir ſchrieben
Friedrichs Namen mit Ellenbuchſtaben an unſre
Gränze. Da liegt die falſche Rechnung. Eine Tra¬
dition war's, ein Nebelſchild, ein Dunſtbild. Seine
Sappeurs haben unſeren Gränzpfahl niedergehauen,
ſeine Kanonen rollen, ſeine Reiter ſprengen darüber.
Der ſchwarzweiße Pfahl liegt im Graben, der Adler
zertreten, es giebt keine Preußiſche Gränze mehr, es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0337" n="327"/>
        <p>&#x201E;Der Du nicht mein Sohn &#x017F;ein will&#x017F;t, Du<lb/>
weißt doch, daß ich nicht Mini&#x017F;ter bin, und die De¬<lb/>
pe&#x017F;chen &#x017F;ind nicht an mich.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Louis war noch um einen Schritt näher getreten,<lb/>
er hatte des Vaters Arm ergriffen, er &#x017F;ah ihn mit<lb/>
einem Blick an, den der Geheimrath nicht ertrug:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wenn ihr Kind in's Wa&#x017F;&#x017F;er fiel, &#x017F;pringt die Mut¬<lb/>
ter nach, auch wenn &#x017F;ie nicht &#x017F;chwimmen kann. Der<lb/>
Naturtrieb i&#x017F;t's, &#x017F;ie kann nicht ohne das Kind leben;<lb/>
&#x017F;ie will mit ihm untergehen. Hier handelt &#x017F;ich's um<lb/>
Untergang; un&#x017F;er Vaterland geht an der Donau<lb/>
unter. Wie Gebirgsbäche nach einem Platzregen ein<lb/>
Thal über&#x017F;chwemmen, &#x017F;o &#x017F;tampfen des Feindes Hufen<lb/>
auf un&#x017F;erem eigenen theuren vaterländi&#x017F;chen Boden<lb/>
die Quellen auf. Aus un&#x017F;erem Blut, aus un&#x017F;eren<lb/>
Brüdern recrutirt er &#x017F;ein Heer. Der Baier zieht<lb/>
mit ihm, wie der Schakal dem Löwen folgt, Baden<lb/>
i&#x017F;t läng&#x017F;t gezwungen; in die&#x017F;em Augenblick, der<lb/>
Courier bringt die Nachricht, &#x017F;chließt auch Würtem¬<lb/>
berg &#x017F;ich an; die Kleinern, die Größern, die Größten<lb/>
reißt er, er reißt alle mit &#x017F;ich. Nur wir glaubten<lb/>
uns von be&#x017F;&#x017F;erer Natur, zu groß, wir &#x017F;chrieben<lb/>
Friedrichs Namen mit Ellenbuch&#x017F;taben an un&#x017F;re<lb/>
Gränze. Da liegt die fal&#x017F;che Rechnung. Eine Tra¬<lb/>
dition war's, ein Nebel&#x017F;child, ein Dun&#x017F;tbild. Seine<lb/>
Sappeurs haben un&#x017F;eren Gränzpfahl niedergehauen,<lb/>
&#x017F;eine Kanonen rollen, &#x017F;eine Reiter &#x017F;prengen darüber.<lb/>
Der &#x017F;chwarzweiße Pfahl liegt im Graben, der Adler<lb/>
zertreten, es giebt keine Preußi&#x017F;che Gränze mehr, es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[327/0337] „Der Du nicht mein Sohn ſein willſt, Du weißt doch, daß ich nicht Miniſter bin, und die De¬ peſchen ſind nicht an mich.“ Louis war noch um einen Schritt näher getreten, er hatte des Vaters Arm ergriffen, er ſah ihn mit einem Blick an, den der Geheimrath nicht ertrug: „Wenn ihr Kind in's Waſſer fiel, ſpringt die Mut¬ ter nach, auch wenn ſie nicht ſchwimmen kann. Der Naturtrieb iſt's, ſie kann nicht ohne das Kind leben; ſie will mit ihm untergehen. Hier handelt ſich's um Untergang; unſer Vaterland geht an der Donau unter. Wie Gebirgsbäche nach einem Platzregen ein Thal überſchwemmen, ſo ſtampfen des Feindes Hufen auf unſerem eigenen theuren vaterländiſchen Boden die Quellen auf. Aus unſerem Blut, aus unſeren Brüdern recrutirt er ſein Heer. Der Baier zieht mit ihm, wie der Schakal dem Löwen folgt, Baden iſt längſt gezwungen; in dieſem Augenblick, der Courier bringt die Nachricht, ſchließt auch Würtem¬ berg ſich an; die Kleinern, die Größern, die Größten reißt er, er reißt alle mit ſich. Nur wir glaubten uns von beſſerer Natur, zu groß, wir ſchrieben Friedrichs Namen mit Ellenbuchſtaben an unſre Gränze. Da liegt die falſche Rechnung. Eine Tra¬ dition war's, ein Nebelſchild, ein Dunſtbild. Seine Sappeurs haben unſeren Gränzpfahl niedergehauen, ſeine Kanonen rollen, ſeine Reiter ſprengen darüber. Der ſchwarzweiße Pfahl liegt im Graben, der Adler zertreten, es giebt keine Preußiſche Gränze mehr, es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/337
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/337>, abgerufen am 05.12.2024.