zur Thür hinausgeworfen. Er hatte, in sich ver¬ sunken, da gesessen, bis die Stunde der Befreiung schlug. Nichts von der Außenwelt war zu ihm ge¬ drungen; da war es doch natürlich, daß er sich jetzt orientiren wollte in der ihm fremd gewordenen. Wohl hatte es durch die dicken Mauern geklungen von außerordentlichen Dingen, von einer Stimmung, die nie da gewesen, von einem heißen Fieber, das die Glieder schüttle, von einem Geist im Volke, der den langen Winterschlaf von den Lidern streife. Im Gefängniß träumt man lebendiger von der Freiheit. Er aber hatte auf seinem Holzbett stumm gelächelt; seine Träume waren anderwärts.
Und jetzt lächelte er wieder, wenn er durch die bewegten und stillen Straßen ging. Sie waren so breit, so todt und so geräuschvoll, wie immer; die Mühlen klapperten, die Menschen schwatzten wie immer. "Was suchen Sie, Bovillard?" fragte ein Bekannter, der ihm nicht ausweichen können. -- "Die Stimmung," war seine Antwort. Der Calculator stutzte, aber er erinnerte sich, daß Bovillard Klavier spielte. "Sie suchen einen Stimmer? Ihr Klavier" -- "Ist total verstimmt," antwortete der junge Mann und wandte ihm den Rücken.
Ein Plakat an der Ecke! Vielleicht ein Aufruf des Königs an sein Volk? -- Nein, verlorne Sachen, drei Auktionen! Doch, auf der andern Seite eine obrigkeitliche Bekanntmachung: eine Warnung vor falschen Zweigroschenstücken, die sich in Ostfriesland
zur Thür hinausgeworfen. Er hatte, in ſich ver¬ ſunken, da geſeſſen, bis die Stunde der Befreiung ſchlug. Nichts von der Außenwelt war zu ihm ge¬ drungen; da war es doch natürlich, daß er ſich jetzt orientiren wollte in der ihm fremd gewordenen. Wohl hatte es durch die dicken Mauern geklungen von außerordentlichen Dingen, von einer Stimmung, die nie da geweſen, von einem heißen Fieber, das die Glieder ſchüttle, von einem Geiſt im Volke, der den langen Winterſchlaf von den Lidern ſtreife. Im Gefängniß träumt man lebendiger von der Freiheit. Er aber hatte auf ſeinem Holzbett ſtumm gelächelt; ſeine Träume waren anderwärts.
Und jetzt lächelte er wieder, wenn er durch die bewegten und ſtillen Straßen ging. Sie waren ſo breit, ſo todt und ſo geräuſchvoll, wie immer; die Mühlen klapperten, die Menſchen ſchwatzten wie immer. „Was ſuchen Sie, Bovillard?“ fragte ein Bekannter, der ihm nicht ausweichen können. — „Die Stimmung,“ war ſeine Antwort. Der Calculator ſtutzte, aber er erinnerte ſich, daß Bovillard Klavier ſpielte. „Sie ſuchen einen Stimmer? Ihr Klavier“ — „Iſt total verſtimmt,“ antwortete der junge Mann und wandte ihm den Rücken.
Ein Plakat an der Ecke! Vielleicht ein Aufruf des Königs an ſein Volk? — Nein, verlorne Sachen, drei Auktionen! Doch, auf der andern Seite eine obrigkeitliche Bekanntmachung: eine Warnung vor falſchen Zweigroſchenſtücken, die ſich in Oſtfriesland
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zur Thür hinausgeworfen. Er hatte, in ſich ver¬
ſunken, da geſeſſen, bis die Stunde der Befreiung
ſchlug. Nichts von der Außenwelt war zu ihm ge¬
drungen; da war es doch natürlich, daß er ſich jetzt
orientiren wollte in der ihm fremd gewordenen.
Wohl hatte es durch die dicken Mauern geklungen
von außerordentlichen Dingen, von einer Stimmung,
die nie da geweſen, von einem heißen Fieber, das
die Glieder ſchüttle, von einem Geiſt im Volke, der
den langen Winterſchlaf von den Lidern ſtreife. Im
Gefängniß träumt man lebendiger von der Freiheit.
Er aber hatte auf ſeinem Holzbett ſtumm gelächelt;
ſeine Träume waren anderwärts.
Und jetzt lächelte er wieder, wenn er durch die
bewegten und ſtillen Straßen ging. Sie waren ſo
breit, ſo todt und ſo geräuſchvoll, wie immer; die
Mühlen klapperten, die Menſchen ſchwatzten wie immer.
„Was ſuchen Sie, Bovillard?“ fragte ein Bekannter,
der ihm nicht ausweichen können. — „Die Stimmung,“
war ſeine Antwort. Der Calculator ſtutzte, aber er
erinnerte ſich, daß Bovillard Klavier ſpielte. „Sie
ſuchen einen Stimmer? Ihr Klavier“ — „Iſt total
verſtimmt,“ antwortete der junge Mann und wandte
ihm den Rücken.
Ein Plakat an der Ecke! Vielleicht ein Aufruf
des Königs an ſein Volk? — Nein, verlorne Sachen,
drei Auktionen! Doch, auf der andern Seite eine
obrigkeitliche Bekanntmachung: eine Warnung vor
falſchen Zweigroſchenſtücken, die ſich in Oſtfriesland
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/323>, abgerufen am 29.11.2024.
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