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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

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nicht um Dir das Herz zu erleichtern, habe ich ge¬
sprochen."

Er wollte sie noch einmal an sein Herz drücken.
Aber sie entwandte sich sanft seinen Armen.

"Keinen Kuß auf eine Unwahrheit. Es muß
jetzt volle Wahrheit zwischen uns sein."

"Unwahrheit!"

Sie nickte mit einem thränenfeuchten Blick. "Laß
mich nur einen Augenblick Athem schöpfen."

Sie hatte sich an den Tisch gesetzt, der Kopf
gleitete in die Arme. Er hatte sich leise an ihren
Stuhl gestellt und legte sanft den Arm auf ihre
Schulter. "Ich habe Dich lieb und bin bei Dir
und Du hast mich auch lieb. Was hindert Dich
noch?"

"Ich habe Dich lieb gehabt, seitdem ich Dich
gekannt, sagte sie ruhig sich zurücklehnend, wie einen
Bruder, vor dem ich mein Herz offen legen konnte.
Habe ichs nicht gethan? Und wenn ichs nicht that,
war es, weil ich dachte, Du läsest ja schon in meiner
Seele wie in einem offenen Buche. Aber seit der --
der fürchterlichen Geschichte ward es noch anders.
Du allein bliebst immer derselbe gegen mich. Die
andern -- erst wußten sie nicht, wie sie mich ansehn
sollten, und wichen mir aus. Nachher überschütteten
sie mich mit Liebkosungen und Bewunderung, und
machten aus mir wunder was, was ich nicht bin.
Ich war doch nicht schlechter, nicht besser, Gott weiß
es -- aber was ich nun bin, nun ja, was ich besser

II. 15

nicht um Dir das Herz zu erleichtern, habe ich ge¬
ſprochen.“

Er wollte ſie noch einmal an ſein Herz drücken.
Aber ſie entwandte ſich ſanft ſeinen Armen.

„Keinen Kuß auf eine Unwahrheit. Es muß
jetzt volle Wahrheit zwiſchen uns ſein.“

„Unwahrheit!“

Sie nickte mit einem thränenfeuchten Blick. „Laß
mich nur einen Augenblick Athem ſchöpfen.“

Sie hatte ſich an den Tiſch geſetzt, der Kopf
gleitete in die Arme. Er hatte ſich leiſe an ihren
Stuhl geſtellt und legte ſanft den Arm auf ihre
Schulter. „Ich habe Dich lieb und bin bei Dir
und Du haſt mich auch lieb. Was hindert Dich
noch?“

„Ich habe Dich lieb gehabt, ſeitdem ich Dich
gekannt, ſagte ſie ruhig ſich zurücklehnend, wie einen
Bruder, vor dem ich mein Herz offen legen konnte.
Habe ichs nicht gethan? Und wenn ichs nicht that,
war es, weil ich dachte, Du läſeſt ja ſchon in meiner
Seele wie in einem offenen Buche. Aber ſeit der —
der fürchterlichen Geſchichte ward es noch anders.
Du allein bliebſt immer derſelbe gegen mich. Die
andern — erſt wußten ſie nicht, wie ſie mich anſehn
ſollten, und wichen mir aus. Nachher überſchütteten
ſie mich mit Liebkoſungen und Bewunderung, und
machten aus mir wunder was, was ich nicht bin.
Ich war doch nicht ſchlechter, nicht beſſer, Gott weiß
es — aber was ich nun bin, nun ja, was ich beſſer

II. 15
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[225/0235] nicht um Dir das Herz zu erleichtern, habe ich ge¬ ſprochen.“ Er wollte ſie noch einmal an ſein Herz drücken. Aber ſie entwandte ſich ſanft ſeinen Armen. „Keinen Kuß auf eine Unwahrheit. Es muß jetzt volle Wahrheit zwiſchen uns ſein.“ „Unwahrheit!“ Sie nickte mit einem thränenfeuchten Blick. „Laß mich nur einen Augenblick Athem ſchöpfen.“ Sie hatte ſich an den Tiſch geſetzt, der Kopf gleitete in die Arme. Er hatte ſich leiſe an ihren Stuhl geſtellt und legte ſanft den Arm auf ihre Schulter. „Ich habe Dich lieb und bin bei Dir und Du haſt mich auch lieb. Was hindert Dich noch?“ „Ich habe Dich lieb gehabt, ſeitdem ich Dich gekannt, ſagte ſie ruhig ſich zurücklehnend, wie einen Bruder, vor dem ich mein Herz offen legen konnte. Habe ichs nicht gethan? Und wenn ichs nicht that, war es, weil ich dachte, Du läſeſt ja ſchon in meiner Seele wie in einem offenen Buche. Aber ſeit der — der fürchterlichen Geſchichte ward es noch anders. Du allein bliebſt immer derſelbe gegen mich. Die andern — erſt wußten ſie nicht, wie ſie mich anſehn ſollten, und wichen mir aus. Nachher überſchütteten ſie mich mit Liebkoſungen und Bewunderung, und machten aus mir wunder was, was ich nicht bin. Ich war doch nicht ſchlechter, nicht beſſer, Gott weiß es — aber was ich nun bin, nun ja, was ich beſſer II. 15

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/235>, abgerufen am 28.11.2024.