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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

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"Bete! sagte er, ihr die Hand reichend. Das
andere findet sich. Wenn ich -- es ist doch möglich,
daß ich -- vielleicht in ein Weinhaus geriethe, nicht
nach Hause käme, dann setz Dich morgen auf die Post.
Zu Deinem alten Vater! Die Stiefmutter ist ja todt.
Er braucht eine Pflege für seine alten Tage."

"Weil er blind ist, sieht er meine Schande nicht,
denkst Du. -- Ach die Leute da --"

"Das Nest! Erzähl ihnen von den vornehmen
Damen hier, auf die sie nicht mit Fingern weisen.
-- Dummheit, ward kein Mädchen dort verführt,
lief keine mit ihrem Geliebten fort, und kehrte wie¬
der. Du hast Dich mit ihm überworfen, und willst
solide werden. In dem Beutel ist genug, damit
kannst Du einen Putzladen anfangen. Putzen will
sich jede, auch in einem Nest. Vielleicht machst Du
auch die Lehmkabache Deines Vaters damit schulden¬
frei, und dann ist Alles gut."

"Adieu, Louis, sprach sie, ich danke Dir auch
recht schön. -- Ja es wird Alles gut werden."

Sie hatte sich nach dem Fenster umgewandt, und
stopfte heftig mit dem Finger die Erde im Resedatopf.
Sie durchstach die Wurzeln.

"Auf Wiedersehn!" sagte er, die Klinke in der
Hand.

Er sah sich noch einmal um. Die volle Gluth
der Sonne fiel auf ihr Gesicht; dennoch war es
todtenblaß, die Zähne klappten unmerklich unter den
fest geschlossenen Lippen. Sie verließ plötzlich die

„Bete! ſagte er, ihr die Hand reichend. Das
andere findet ſich. Wenn ich — es iſt doch möglich,
daß ich — vielleicht in ein Weinhaus geriethe, nicht
nach Hauſe käme, dann ſetz Dich morgen auf die Poſt.
Zu Deinem alten Vater! Die Stiefmutter iſt ja todt.
Er braucht eine Pflege für ſeine alten Tage.“

„Weil er blind iſt, ſieht er meine Schande nicht,
denkſt Du. — Ach die Leute da —“

„Das Neſt! Erzähl ihnen von den vornehmen
Damen hier, auf die ſie nicht mit Fingern weiſen.
— Dummheit, ward kein Mädchen dort verführt,
lief keine mit ihrem Geliebten fort, und kehrte wie¬
der. Du haſt Dich mit ihm überworfen, und willſt
ſolide werden. In dem Beutel iſt genug, damit
kannſt Du einen Putzladen anfangen. Putzen will
ſich jede, auch in einem Neſt. Vielleicht machſt Du
auch die Lehmkabache Deines Vaters damit ſchulden¬
frei, und dann iſt Alles gut.“

„Adieu, Louis, ſprach ſie, ich danke Dir auch
recht ſchön. — Ja es wird Alles gut werden.“

Sie hatte ſich nach dem Fenſter umgewandt, und
ſtopfte heftig mit dem Finger die Erde im Reſedatopf.
Sie durchſtach die Wurzeln.

„Auf Wiederſehn!“ ſagte er, die Klinke in der
Hand.

Er ſah ſich noch einmal um. Die volle Gluth
der Sonne fiel auf ihr Geſicht; dennoch war es
todtenblaß, die Zähne klappten unmerklich unter den
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[171/0181] „Bete! ſagte er, ihr die Hand reichend. Das andere findet ſich. Wenn ich — es iſt doch möglich, daß ich — vielleicht in ein Weinhaus geriethe, nicht nach Hauſe käme, dann ſetz Dich morgen auf die Poſt. Zu Deinem alten Vater! Die Stiefmutter iſt ja todt. Er braucht eine Pflege für ſeine alten Tage.“ „Weil er blind iſt, ſieht er meine Schande nicht, denkſt Du. — Ach die Leute da —“ „Das Neſt! Erzähl ihnen von den vornehmen Damen hier, auf die ſie nicht mit Fingern weiſen. — Dummheit, ward kein Mädchen dort verführt, lief keine mit ihrem Geliebten fort, und kehrte wie¬ der. Du haſt Dich mit ihm überworfen, und willſt ſolide werden. In dem Beutel iſt genug, damit kannſt Du einen Putzladen anfangen. Putzen will ſich jede, auch in einem Neſt. Vielleicht machſt Du auch die Lehmkabache Deines Vaters damit ſchulden¬ frei, und dann iſt Alles gut.“ „Adieu, Louis, ſprach ſie, ich danke Dir auch recht ſchön. — Ja es wird Alles gut werden.“ Sie hatte ſich nach dem Fenſter umgewandt, und ſtopfte heftig mit dem Finger die Erde im Reſedatopf. Sie durchſtach die Wurzeln. „Auf Wiederſehn!“ ſagte er, die Klinke in der Hand. Er ſah ſich noch einmal um. Die volle Gluth der Sonne fiel auf ihr Geſicht; dennoch war es todtenblaß, die Zähne klappten unmerklich unter den feſt geſchloſſenen Lippen. Sie verließ plötzlich die

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/181>, abgerufen am 26.11.2024.