samen Blick auf sie zu werfen, zwei dunkle Augen, aber er wandte sie rasch auf die Teller, die er trug. Ward sie beobachtet, hatte man auch in ihre Gesell¬ schaft Lauscher geschickt, von Seiten der clairvoyanten Gesandten oder Gesandtinnen? -- Sie wollte in den Saal. Aber der Fürstin nacheilen, welche ihr eben so brüst den Rücken gedreht! Sie umfaßte Adelheid. So hatte die Gargazin auch sie vorhin umfaßt. Sie zog sie auf ein Kanape, sie spielte mit ihrer Hand; sie sagte, sie flüsterte ihr tausend schöne Dinge ins Ohr. Adelheids Gesicht glühte. O sie war weit liebenswürdiger, lebhafter, zuvorkommender gegen die Tochter als gegen die Mutter. Alle gruppirten sich, näher oder ferner, um diesen Mittelpunkt. Nach der Wirthin sah Niemand, es kam Niemand in den Sinn, daß sie abgeschlossen war. Der Legationsrath stand in einer Fensternische, weit jenseits, die Arme unter¬ schlungen, und beobachtete die Gruppen, sein Gesicht unbeweglich wie immer; aber als der Strahl seines Auges sie traf, glaubte sie in dem Auge eine an sie gerichtete Bemerkung zu lesen. War es ein Vorwurf, Bedauern, Mitleid?
"Warum sich der Gesellschaft entziehen, ma belle- soeur?" rief der Geheimrath Schwager, der zufällig aus einem hinteren Zimmer kommend, der Wirthin entgegentrat, als sie die beste Partie ergriff, weil kein Mensch sich um sie, sich auch nicht um die Menschen zu kümmern, sondern um die Teller und Tische.
ſamen Blick auf ſie zu werfen, zwei dunkle Augen, aber er wandte ſie raſch auf die Teller, die er trug. Ward ſie beobachtet, hatte man auch in ihre Geſell¬ ſchaft Lauſcher geſchickt, von Seiten der clairvoyanten Geſandten oder Geſandtinnen? — Sie wollte in den Saal. Aber der Fürſtin nacheilen, welche ihr eben ſo brüſt den Rücken gedreht! Sie umfaßte Adelheid. So hatte die Gargazin auch ſie vorhin umfaßt. Sie zog ſie auf ein Kanape, ſie ſpielte mit ihrer Hand; ſie ſagte, ſie flüſterte ihr tauſend ſchöne Dinge ins Ohr. Adelheids Geſicht glühte. O ſie war weit liebenswürdiger, lebhafter, zuvorkommender gegen die Tochter als gegen die Mutter. Alle gruppirten ſich, näher oder ferner, um dieſen Mittelpunkt. Nach der Wirthin ſah Niemand, es kam Niemand in den Sinn, daß ſie abgeſchloſſen war. Der Legationsrath ſtand in einer Fenſterniſche, weit jenſeits, die Arme unter¬ ſchlungen, und beobachtete die Gruppen, ſein Geſicht unbeweglich wie immer; aber als der Strahl ſeines Auges ſie traf, glaubte ſie in dem Auge eine an ſie gerichtete Bemerkung zu leſen. War es ein Vorwurf, Bedauern, Mitleid?
„Warum ſich der Geſellſchaft entziehen, ma belle- soeur?“ rief der Geheimrath Schwager, der zufällig aus einem hinteren Zimmer kommend, der Wirthin entgegentrat, als ſie die beſte Partie ergriff, weil kein Menſch ſich um ſie, ſich auch nicht um die Menſchen zu kümmern, ſondern um die Teller und Tiſche.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0145"n="135"/>ſamen Blick auf ſie zu werfen, zwei dunkle Augen,<lb/>
aber er wandte ſie raſch auf die Teller, die er trug.<lb/>
Ward ſie beobachtet, hatte man auch in ihre Geſell¬<lb/>ſchaft Lauſcher geſchickt, von Seiten der clairvoyanten<lb/>
Geſandten oder Geſandtinnen? — Sie wollte in den<lb/>
Saal. Aber der Fürſtin nacheilen, welche ihr eben<lb/>ſo brüſt den Rücken gedreht! Sie umfaßte Adelheid.<lb/>
So hatte die Gargazin auch ſie vorhin umfaßt. Sie<lb/>
zog ſie auf ein Kanape, ſie ſpielte mit ihrer Hand;<lb/>ſie ſagte, ſie flüſterte ihr tauſend ſchöne Dinge ins<lb/>
Ohr. Adelheids Geſicht glühte. O ſie war weit<lb/>
liebenswürdiger, lebhafter, zuvorkommender gegen die<lb/>
Tochter als gegen die Mutter. Alle gruppirten ſich,<lb/>
näher oder ferner, um dieſen Mittelpunkt. Nach der<lb/>
Wirthin ſah Niemand, es kam Niemand in den Sinn,<lb/>
daß ſie abgeſchloſſen war. Der Legationsrath ſtand<lb/>
in einer Fenſterniſche, weit jenſeits, die Arme unter¬<lb/>ſchlungen, und beobachtete die Gruppen, ſein Geſicht<lb/>
unbeweglich wie immer; aber als der Strahl ſeines<lb/>
Auges ſie traf, glaubte ſie in dem Auge eine an ſie<lb/>
gerichtete Bemerkung zu leſen. War es ein Vorwurf,<lb/>
Bedauern, Mitleid?</p><lb/><p>„Warum ſich der Geſellſchaft entziehen, <hirendition="#aq">ma belle-<lb/>
soeur</hi>?“ rief der Geheimrath Schwager, der zufällig<lb/>
aus einem hinteren Zimmer kommend, der Wirthin<lb/>
entgegentrat, als ſie die beſte Partie ergriff, weil<lb/>
kein Menſch ſich um ſie, ſich auch nicht um die<lb/>
Menſchen zu kümmern, ſondern um die Teller und<lb/>
Tiſche.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[135/0145]
ſamen Blick auf ſie zu werfen, zwei dunkle Augen,
aber er wandte ſie raſch auf die Teller, die er trug.
Ward ſie beobachtet, hatte man auch in ihre Geſell¬
ſchaft Lauſcher geſchickt, von Seiten der clairvoyanten
Geſandten oder Geſandtinnen? — Sie wollte in den
Saal. Aber der Fürſtin nacheilen, welche ihr eben
ſo brüſt den Rücken gedreht! Sie umfaßte Adelheid.
So hatte die Gargazin auch ſie vorhin umfaßt. Sie
zog ſie auf ein Kanape, ſie ſpielte mit ihrer Hand;
ſie ſagte, ſie flüſterte ihr tauſend ſchöne Dinge ins
Ohr. Adelheids Geſicht glühte. O ſie war weit
liebenswürdiger, lebhafter, zuvorkommender gegen die
Tochter als gegen die Mutter. Alle gruppirten ſich,
näher oder ferner, um dieſen Mittelpunkt. Nach der
Wirthin ſah Niemand, es kam Niemand in den Sinn,
daß ſie abgeſchloſſen war. Der Legationsrath ſtand
in einer Fenſterniſche, weit jenſeits, die Arme unter¬
ſchlungen, und beobachtete die Gruppen, ſein Geſicht
unbeweglich wie immer; aber als der Strahl ſeines
Auges ſie traf, glaubte ſie in dem Auge eine an ſie
gerichtete Bemerkung zu leſen. War es ein Vorwurf,
Bedauern, Mitleid?
„Warum ſich der Geſellſchaft entziehen, ma belle-
soeur?“ rief der Geheimrath Schwager, der zufällig
aus einem hinteren Zimmer kommend, der Wirthin
entgegentrat, als ſie die beſte Partie ergriff, weil
kein Menſch ſich um ſie, ſich auch nicht um die
Menſchen zu kümmern, ſondern um die Teller und
Tiſche.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/145>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.