Welt vor Gewimmer und Thränen auszuhalten sei! Die Jungfer sagte: sie sei ein armes Mädchen, und wisse nicht, wie sie dazu komme. Die Geheimräthin antwortete ihr mit Würde, ob sie glaube, daß die armen Mädchen weniger litten als die vornehmen Damen, die ihre Schmerzen verhalten müßten? Sie ermahnte sie zur Duldung, zum Gehorsam, zur Tu¬ gend, und entließ sie.
Die moralische Vorhaltung schien auf die Pre¬ digerin selbst keine Rückwirkung geübt zu haben. Sie saß entkleidet an ihrem Bett, das Gesicht im Ellen¬ bogen gestützt, und starrte in die Lichtschnuppen der Kerze. Da fiel ihr Auge, den Lichtstrahlen folgend, auf ein Spinnengewebe am Winkel der Zimmerdecke. Es war Freitag. Das Reinigungsgeschäft sollte erst am Sonnabend erfolgen. Die dicke Spinne, die sie heut nicht zum ersten Male bemerkt, lag schlafend in der Mitte des Raubnetzes, das sie ausgespannt, ge¬ sättigt und erschlafft schien es von dem Mordgeschäft, worauf die todten Fliegen im Netz deuteten. Die Geheimräthin stand auf und nahm den Armleuchter. Ihre Augen waren scharf, ihr Arm aber reichte nicht bis an die Decke. Ein Kitzel die Nemesis zu spielen überkam sie. Die Bäume im Hofe, vom Winde be¬ wegt, schlugen gegen das Fenster. Das war doch keine warnende Stimme! Es war ja kein Unrecht, ein solches mörderisches Ungeziefer zu vertilgen, das selbst seine Netze ausspannt zur Vertilgung seiner Mitgeschöpfe. Sie holte einen Stuhl. Auch der
Welt vor Gewimmer und Thränen auszuhalten ſei! Die Jungfer ſagte: ſie ſei ein armes Mädchen, und wiſſe nicht, wie ſie dazu komme. Die Geheimräthin antwortete ihr mit Würde, ob ſie glaube, daß die armen Mädchen weniger litten als die vornehmen Damen, die ihre Schmerzen verhalten müßten? Sie ermahnte ſie zur Duldung, zum Gehorſam, zur Tu¬ gend, und entließ ſie.
Die moraliſche Vorhaltung ſchien auf die Pre¬ digerin ſelbſt keine Rückwirkung geübt zu haben. Sie ſaß entkleidet an ihrem Bett, das Geſicht im Ellen¬ bogen geſtützt, und ſtarrte in die Lichtſchnuppen der Kerze. Da fiel ihr Auge, den Lichtſtrahlen folgend, auf ein Spinnengewebe am Winkel der Zimmerdecke. Es war Freitag. Das Reinigungsgeſchäft ſollte erſt am Sonnabend erfolgen. Die dicke Spinne, die ſie heut nicht zum erſten Male bemerkt, lag ſchlafend in der Mitte des Raubnetzes, das ſie ausgeſpannt, ge¬ ſättigt und erſchlafft ſchien es von dem Mordgeſchäft, worauf die todten Fliegen im Netz deuteten. Die Geheimräthin ſtand auf und nahm den Armleuchter. Ihre Augen waren ſcharf, ihr Arm aber reichte nicht bis an die Decke. Ein Kitzel die Nemeſis zu ſpielen überkam ſie. Die Bäume im Hofe, vom Winde be¬ wegt, ſchlugen gegen das Fenſter. Das war doch keine warnende Stimme! Es war ja kein Unrecht, ein ſolches mörderiſches Ungeziefer zu vertilgen, das ſelbſt ſeine Netze ausſpannt zur Vertilgung ſeiner Mitgeſchöpfe. Sie holte einen Stuhl. Auch der
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Welt vor Gewimmer und Thränen auszuhalten ſei!
Die Jungfer ſagte: ſie ſei ein armes Mädchen, und
wiſſe nicht, wie ſie dazu komme. Die Geheimräthin
antwortete ihr mit Würde, ob ſie glaube, daß die
armen Mädchen weniger litten als die vornehmen
Damen, die ihre Schmerzen verhalten müßten? Sie
ermahnte ſie zur Duldung, zum Gehorſam, zur Tu¬
gend, und entließ ſie.
Die moraliſche Vorhaltung ſchien auf die Pre¬
digerin ſelbſt keine Rückwirkung geübt zu haben. Sie
ſaß entkleidet an ihrem Bett, das Geſicht im Ellen¬
bogen geſtützt, und ſtarrte in die Lichtſchnuppen der
Kerze. Da fiel ihr Auge, den Lichtſtrahlen folgend,
auf ein Spinnengewebe am Winkel der Zimmerdecke.
Es war Freitag. Das Reinigungsgeſchäft ſollte erſt
am Sonnabend erfolgen. Die dicke Spinne, die ſie
heut nicht zum erſten Male bemerkt, lag ſchlafend in
der Mitte des Raubnetzes, das ſie ausgeſpannt, ge¬
ſättigt und erſchlafft ſchien es von dem Mordgeſchäft,
worauf die todten Fliegen im Netz deuteten. Die
Geheimräthin ſtand auf und nahm den Armleuchter.
Ihre Augen waren ſcharf, ihr Arm aber reichte nicht
bis an die Decke. Ein Kitzel die Nemeſis zu ſpielen
überkam ſie. Die Bäume im Hofe, vom Winde be¬
wegt, ſchlugen gegen das Fenſter. Das war doch
keine warnende Stimme! Es war ja kein Unrecht,
ein ſolches mörderiſches Ungeziefer zu vertilgen, das
ſelbſt ſeine Netze ausſpannt zur Vertilgung ſeiner
Mitgeſchöpfe. Sie holte einen Stuhl. Auch der
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/85>, abgerufen am 22.11.2024.
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