hätte er eine Wollust darin empfunden, wenn er mit seinen Händen ihm die Kehle zuschnüren, wenn er ihn erwürgen können." Den Arm mit der geballten Faust streckte er aus -- zum Zweikampf mit einem Luftbilde? Aber indem er ihm in dem Augenblicke einen tödtlichen Haß schwor, übergoß ihn die Röthe der Scham. Wie vielen hätte er Todhaß schwören müssen, die alle Zeugen seiner Beschämung gewesen. Noch eine andere Erinnerung stieg auf, er drückte mit der Faust gegen die Stirn und athmete schwer. Dann suchte sein Auge an der Wand drüben, nach der Thür, durch welche Adelheid fortgeführt ward: "Und von dem Schuft!" Es war das erste laute Wort, und der Schall schien die neckischen Geister zu wecken, die an der Stätte der Zerstörung geschlum¬ mert hatten.
Im letzten Sonnenstrahl, der durch die obern Scheiben drang, wirbelte der dichte Staub, der sich noch immer nicht gesetzt hatte. Es schwirrte in der Luft von Fäsern und Federn, die Gardinen hingen zerrissen von den Fenstern, der Spiegel war zerschla¬ gen, Stühle und Tische, umgestürzt, den weiblichen Figuren auf den Schildereien hatte man mit Kohle große Bärte angemalt. Er stieß die Thür auf. Im Vorzimmer war es still und leer. Schien er doch zu suchen, ob nicht jemand wie er zurückgeblieben wäre, ob er nicht vielleicht ein stilles Schluchzen höre? Es waren die Tauben auf dem Dache. Er sah sich noch ein Mal um, ehe er die Wohnung verlasse, und
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hätte er eine Wolluſt darin empfunden, wenn er mit ſeinen Händen ihm die Kehle zuſchnüren, wenn er ihn erwürgen können.“ Den Arm mit der geballten Fauſt ſtreckte er aus — zum Zweikampf mit einem Luftbilde? Aber indem er ihm in dem Augenblicke einen tödtlichen Haß ſchwor, übergoß ihn die Röthe der Scham. Wie vielen hätte er Todhaß ſchwören müſſen, die alle Zeugen ſeiner Beſchämung geweſen. Noch eine andere Erinnerung ſtieg auf, er drückte mit der Fauſt gegen die Stirn und athmete ſchwer. Dann ſuchte ſein Auge an der Wand drüben, nach der Thür, durch welche Adelheid fortgeführt ward: „Und von dem Schuft!“ Es war das erſte laute Wort, und der Schall ſchien die neckiſchen Geiſter zu wecken, die an der Stätte der Zerſtörung geſchlum¬ mert hatten.
Im letzten Sonnenſtrahl, der durch die obern Scheiben drang, wirbelte der dichte Staub, der ſich noch immer nicht geſetzt hatte. Es ſchwirrte in der Luft von Fäſern und Federn, die Gardinen hingen zerriſſen von den Fenſtern, der Spiegel war zerſchla¬ gen, Stühle und Tiſche, umgeſtürzt, den weiblichen Figuren auf den Schildereien hatte man mit Kohle große Bärte angemalt. Er ſtieß die Thür auf. Im Vorzimmer war es ſtill und leer. Schien er doch zu ſuchen, ob nicht jemand wie er zurückgeblieben wäre, ob er nicht vielleicht ein ſtilles Schluchzen höre? Es waren die Tauben auf dem Dache. Er ſah ſich noch ein Mal um, ehe er die Wohnung verlaſſe, und
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hätte er eine Wolluſt darin empfunden, wenn er mit
ſeinen Händen ihm die Kehle zuſchnüren, wenn er
ihn erwürgen können.“ Den Arm mit der geballten
Fauſt ſtreckte er aus — zum Zweikampf mit einem
Luftbilde? Aber indem er ihm in dem Augenblicke
einen tödtlichen Haß ſchwor, übergoß ihn die Röthe
der Scham. Wie vielen hätte er Todhaß ſchwören
müſſen, die alle Zeugen ſeiner Beſchämung geweſen.
Noch eine andere Erinnerung ſtieg auf, er drückte
mit der Fauſt gegen die Stirn und athmete ſchwer.
Dann ſuchte ſein Auge an der Wand drüben, nach
der Thür, durch welche Adelheid fortgeführt ward:
„Und von dem Schuft!“ Es war das erſte laute
Wort, und der Schall ſchien die neckiſchen Geiſter zu
wecken, die an der Stätte der Zerſtörung geſchlum¬
mert hatten.
Im letzten Sonnenſtrahl, der durch die obern
Scheiben drang, wirbelte der dichte Staub, der ſich
noch immer nicht geſetzt hatte. Es ſchwirrte in der
Luft von Fäſern und Federn, die Gardinen hingen
zerriſſen von den Fenſtern, der Spiegel war zerſchla¬
gen, Stühle und Tiſche, umgeſtürzt, den weiblichen
Figuren auf den Schildereien hatte man mit Kohle
große Bärte angemalt. Er ſtieß die Thür auf. Im
Vorzimmer war es ſtill und leer. Schien er doch zu
ſuchen, ob nicht jemand wie er zurückgeblieben wäre,
ob er nicht vielleicht ein ſtilles Schluchzen höre? Es
waren die Tauben auf dem Dache. Er ſah ſich noch
ein Mal um, ehe er die Wohnung verlaſſe, und
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/335>, abgerufen am 24.11.2024.
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