Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine leichte Röthe überflog die blassen Wangen der
Geheimräthin Lupinus. Sie neigte sich anmuthig
über den Wagenrand, sein Anliegen zu hören.

"Erlauben Sie, daß ich französisch spreche, sagte
er, wegen der Zuhörer." Es blieb zweifelhaft, ob
er die Gassenbevölkerung meinte, die sich schon um
den Wagen drängte, oder Adelheid, die noch an sei¬
nen Armen hing. In einer fließenden kurzen Dar¬
stellung, mit einem Accent, in welchem die Geheime¬
räthin den Pariser zu erkennen glaubte, erzählte er
die scandalösen Vorfälle in dem Hause, ohne alle
Personen, die darin verwickelt waren, zu nennen,
und den wahrscheinlichen Grund, wie das arglistige
Weib das junge Mädchen in ihr Garn gelockt. "Sie
sehen, Madame, schloß er, die schreckliche Lage, in
welche eine Verkettung von Umständen die Tochter
ehrbarer Eltern gebracht hat. Wenn es mir auch
dort mit meinem Degen gelang, sie vor der Brutalität
zu schützen, so ist der Stahl doch eine ganz unzu¬
längliche Waffe gegen böse Vermuthungen und die
aufgeregte Populace hier. Ich rufe vertrauensvoll
Ihre Hülfe an. Meine Bitte, sie in Ihrem Wagen
aufzunehmen und den Eltern zu überliefern, ist nur
der geringste Theil meines Anliegens. Die Ehren¬
rettung des jungen Mädchens erfordert einen offenen
Akt der Anerkennung. Wenn Sie sich entschließen
könnten, sie hier öffentlich zu embrassiren, so ist ihre
Ehre wenigstens vor diesem Straßenpublikum reta¬
blirt. Denn wer kann zweifeln, wenn eine Dame

Eine leichte Röthe überflog die blaſſen Wangen der
Geheimräthin Lupinus. Sie neigte ſich anmuthig
über den Wagenrand, ſein Anliegen zu hören.

„Erlauben Sie, daß ich franzöſiſch ſpreche, ſagte
er, wegen der Zuhörer.“ Es blieb zweifelhaft, ob
er die Gaſſenbevölkerung meinte, die ſich ſchon um
den Wagen drängte, oder Adelheid, die noch an ſei¬
nen Armen hing. In einer fließenden kurzen Dar¬
ſtellung, mit einem Accent, in welchem die Geheime¬
räthin den Pariſer zu erkennen glaubte, erzählte er
die ſcandalöſen Vorfälle in dem Hauſe, ohne alle
Perſonen, die darin verwickelt waren, zu nennen,
und den wahrſcheinlichen Grund, wie das argliſtige
Weib das junge Mädchen in ihr Garn gelockt. „Sie
ſehen, Madame, ſchloß er, die ſchreckliche Lage, in
welche eine Verkettung von Umſtänden die Tochter
ehrbarer Eltern gebracht hat. Wenn es mir auch
dort mit meinem Degen gelang, ſie vor der Brutalität
zu ſchützen, ſo iſt der Stahl doch eine ganz unzu¬
längliche Waffe gegen böſe Vermuthungen und die
aufgeregte Populace hier. Ich rufe vertrauensvoll
Ihre Hülfe an. Meine Bitte, ſie in Ihrem Wagen
aufzunehmen und den Eltern zu überliefern, iſt nur
der geringſte Theil meines Anliegens. Die Ehren¬
rettung des jungen Mädchens erfordert einen offenen
Akt der Anerkennung. Wenn Sie ſich entſchließen
könnten, ſie hier öffentlich zu embraſſiren, ſo iſt ihre
Ehre wenigſtens vor dieſem Straßenpublikum reta¬
blirt. Denn wer kann zweifeln, wenn eine Dame

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0328" n="314"/>
Eine leichte Röthe überflog die bla&#x017F;&#x017F;en Wangen der<lb/>
Geheimräthin Lupinus. Sie neigte &#x017F;ich anmuthig<lb/>
über den Wagenrand, &#x017F;ein Anliegen zu hören.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Erlauben Sie, daß ich franzö&#x017F;i&#x017F;ch &#x017F;preche, &#x017F;agte<lb/>
er, wegen der Zuhörer.&#x201C; Es blieb zweifelhaft, ob<lb/>
er die Ga&#x017F;&#x017F;enbevölkerung meinte, die &#x017F;ich &#x017F;chon um<lb/>
den Wagen drängte, oder Adelheid, die noch an &#x017F;ei¬<lb/>
nen Armen hing. In einer fließenden kurzen Dar¬<lb/>
&#x017F;tellung, mit einem Accent, in welchem die Geheime¬<lb/>
räthin den Pari&#x017F;er zu erkennen glaubte, erzählte er<lb/>
die &#x017F;candalö&#x017F;en Vorfälle in dem Hau&#x017F;e, ohne alle<lb/>
Per&#x017F;onen, die darin verwickelt waren, zu nennen,<lb/>
und den wahr&#x017F;cheinlichen Grund, wie das argli&#x017F;tige<lb/>
Weib das junge Mädchen in ihr Garn gelockt. &#x201E;Sie<lb/>
&#x017F;ehen, Madame, &#x017F;chloß er, die &#x017F;chreckliche Lage, in<lb/>
welche eine Verkettung von Um&#x017F;tänden die Tochter<lb/>
ehrbarer Eltern gebracht hat. Wenn es mir auch<lb/>
dort mit meinem Degen gelang, &#x017F;ie vor der Brutalität<lb/>
zu &#x017F;chützen, &#x017F;o i&#x017F;t der Stahl doch eine ganz unzu¬<lb/>
längliche Waffe gegen bö&#x017F;e Vermuthungen und die<lb/>
aufgeregte Populace hier. Ich rufe vertrauensvoll<lb/>
Ihre Hülfe an. Meine Bitte, &#x017F;ie in Ihrem Wagen<lb/>
aufzunehmen und den Eltern zu überliefern, i&#x017F;t nur<lb/>
der gering&#x017F;te Theil meines Anliegens. Die Ehren¬<lb/>
rettung des jungen Mädchens erfordert einen offenen<lb/>
Akt der Anerkennung. Wenn Sie &#x017F;ich ent&#x017F;chließen<lb/>
könnten, &#x017F;ie hier öffentlich zu embra&#x017F;&#x017F;iren, &#x017F;o i&#x017F;t ihre<lb/>
Ehre wenig&#x017F;tens vor die&#x017F;em Straßenpublikum reta¬<lb/>
blirt. Denn wer kann zweifeln, wenn eine Dame<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0328] Eine leichte Röthe überflog die blaſſen Wangen der Geheimräthin Lupinus. Sie neigte ſich anmuthig über den Wagenrand, ſein Anliegen zu hören. „Erlauben Sie, daß ich franzöſiſch ſpreche, ſagte er, wegen der Zuhörer.“ Es blieb zweifelhaft, ob er die Gaſſenbevölkerung meinte, die ſich ſchon um den Wagen drängte, oder Adelheid, die noch an ſei¬ nen Armen hing. In einer fließenden kurzen Dar¬ ſtellung, mit einem Accent, in welchem die Geheime¬ räthin den Pariſer zu erkennen glaubte, erzählte er die ſcandalöſen Vorfälle in dem Hauſe, ohne alle Perſonen, die darin verwickelt waren, zu nennen, und den wahrſcheinlichen Grund, wie das argliſtige Weib das junge Mädchen in ihr Garn gelockt. „Sie ſehen, Madame, ſchloß er, die ſchreckliche Lage, in welche eine Verkettung von Umſtänden die Tochter ehrbarer Eltern gebracht hat. Wenn es mir auch dort mit meinem Degen gelang, ſie vor der Brutalität zu ſchützen, ſo iſt der Stahl doch eine ganz unzu¬ längliche Waffe gegen böſe Vermuthungen und die aufgeregte Populace hier. Ich rufe vertrauensvoll Ihre Hülfe an. Meine Bitte, ſie in Ihrem Wagen aufzunehmen und den Eltern zu überliefern, iſt nur der geringſte Theil meines Anliegens. Die Ehren¬ rettung des jungen Mädchens erfordert einen offenen Akt der Anerkennung. Wenn Sie ſich entſchließen könnten, ſie hier öffentlich zu embraſſiren, ſo iſt ihre Ehre wenigſtens vor dieſem Straßenpublikum reta¬ blirt. Denn wer kann zweifeln, wenn eine Dame

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/328
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/328>, abgerufen am 18.05.2024.