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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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schneidender Laut der Todtenglocke, es klang und
wogte melodischer, wie ein Lobgesang, als sie ihrem
Retter ihren Dank aussprach, ihn versichernd, es werde
alles gelingen, alles gut werden, er sollte nicht sor¬
gen. Sie sprach sehr schnell. Der Legationsrath
kniff sich ängstlich in die Lippen, als sie Schiller'sche
Verse recitirte, von der Tugend, die kein leerer Wahn;
von der Welt, die das Strahlende zu schwärzen liebe,
aber die edlen Herzen schlügen überall, auch im Hause
des Verderbens. O wie würde sich ihr herrlicher
Lehrer freuen, welch ein Triumpf für ihn, daß sein
Wort in Erfüllung gehe: nur durch die Leiden,
die großen Leiden, entwickele sich die Seele. Und
wie erst würde ihr Vater sich freuen, wie sehne sie
sich, ihm in die Arme zu sinken. Da da! -- sie
zeigte an's Fenster. Die Thürme auf dem Gens¬
darmenmarkt glühten in der Abendsonne, in jener
wunderbarer Pracht, wie sie ein kalter nordischer
Abendhimmel zuweilen auf die Dächer und Spitzen
höherer Gebäude ausgießt; die gelben Streiflichter
am fernen Horizont deuteten aber dem Kenner, daß
diese schöne Röthe kein Vorbote eines schönen Tages
sei. "Mein Vater sieht sie auch aus seinem Fenster,
er freut sich, und er darf sich freuen, denn bald
werde ich auch in seine Arme stürzen, roth von dieser
Sonne angeleuchtet."

"Wickeln Sie sich fester in Ihr Tuch, Made¬
moiselle. Sie sind erhitzt, und es ist sehr kühl
draußen geworden." Das Gewitter, das sich aus¬

ſchneidender Laut der Todtenglocke, es klang und
wogte melodiſcher, wie ein Lobgeſang, als ſie ihrem
Retter ihren Dank ausſprach, ihn verſichernd, es werde
alles gelingen, alles gut werden, er ſollte nicht ſor¬
gen. Sie ſprach ſehr ſchnell. Der Legationsrath
kniff ſich ängſtlich in die Lippen, als ſie Schiller'ſche
Verſe recitirte, von der Tugend, die kein leerer Wahn;
von der Welt, die das Strahlende zu ſchwärzen liebe,
aber die edlen Herzen ſchlügen überall, auch im Hauſe
des Verderbens. O wie würde ſich ihr herrlicher
Lehrer freuen, welch ein Triumpf für ihn, daß ſein
Wort in Erfüllung gehe: nur durch die Leiden,
die großen Leiden, entwickele ſich die Seele. Und
wie erſt würde ihr Vater ſich freuen, wie ſehne ſie
ſich, ihm in die Arme zu ſinken. Da da! — ſie
zeigte an's Fenſter. Die Thürme auf dem Gens¬
darmenmarkt glühten in der Abendſonne, in jener
wunderbarer Pracht, wie ſie ein kalter nordiſcher
Abendhimmel zuweilen auf die Dächer und Spitzen
höherer Gebäude ausgießt; die gelben Streiflichter
am fernen Horizont deuteten aber dem Kenner, daß
dieſe ſchöne Röthe kein Vorbote eines ſchönen Tages
ſei. „Mein Vater ſieht ſie auch aus ſeinem Fenſter,
er freut ſich, und er darf ſich freuen, denn bald
werde ich auch in ſeine Arme ſtürzen, roth von dieſer
Sonne angeleuchtet.“

„Wickeln Sie ſich feſter in Ihr Tuch, Made¬
moiſelle. Sie ſind erhitzt, und es iſt ſehr kühl
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[311/0325] ſchneidender Laut der Todtenglocke, es klang und wogte melodiſcher, wie ein Lobgeſang, als ſie ihrem Retter ihren Dank ausſprach, ihn verſichernd, es werde alles gelingen, alles gut werden, er ſollte nicht ſor¬ gen. Sie ſprach ſehr ſchnell. Der Legationsrath kniff ſich ängſtlich in die Lippen, als ſie Schiller'ſche Verſe recitirte, von der Tugend, die kein leerer Wahn; von der Welt, die das Strahlende zu ſchwärzen liebe, aber die edlen Herzen ſchlügen überall, auch im Hauſe des Verderbens. O wie würde ſich ihr herrlicher Lehrer freuen, welch ein Triumpf für ihn, daß ſein Wort in Erfüllung gehe: nur durch die Leiden, die großen Leiden, entwickele ſich die Seele. Und wie erſt würde ihr Vater ſich freuen, wie ſehne ſie ſich, ihm in die Arme zu ſinken. Da da! — ſie zeigte an's Fenſter. Die Thürme auf dem Gens¬ darmenmarkt glühten in der Abendſonne, in jener wunderbarer Pracht, wie ſie ein kalter nordiſcher Abendhimmel zuweilen auf die Dächer und Spitzen höherer Gebäude ausgießt; die gelben Streiflichter am fernen Horizont deuteten aber dem Kenner, daß dieſe ſchöne Röthe kein Vorbote eines ſchönen Tages ſei. „Mein Vater ſieht ſie auch aus ſeinem Fenſter, er freut ſich, und er darf ſich freuen, denn bald werde ich auch in ſeine Arme ſtürzen, roth von dieſer Sonne angeleuchtet.“ „Wickeln Sie ſich feſter in Ihr Tuch, Made¬ moiſelle. Sie ſind erhitzt, und es iſt ſehr kühl draußen geworden.“ Das Gewitter, das ſich aus¬

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/325>, abgerufen am 18.05.2024.