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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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seiner Stirn und die Brust hob sich wie eine Meeres¬
welle als er aufsprang und nach einer Waffe griff.
"Mord!" "Todtschlag!" "Polizei!" -- "Blut!" schrieen
verwirrte Stimmen. Dem Stuhle, den der Rasende
wie eine Keule in der Luft schwang, hätte der Ga¬
lanteriedegen, den der andere rasch gezogen, nicht
parirt. Aber die Obristin faßte nach dem Stuhlbein,
als der Degen schon mit einem gefährlichen Parir¬
stoß nach der Brust zückte. Jülli sah die Spitze fun¬
keln, sie hing an Louis Brust, sie umklammerte seinen
Hals, ein Schild, das ihn schützte, aber ihm die freie
Bewegung raubte: "Louis nicht Dein Blut!" Der
Stoß des nur zur Vertheidigung gezückten Degens
hätte tödtlich werden können, wo der Feind in blinder
Wuth sich auf den Gegner gestürzt hatte, als Adel¬
heid dem Cavalier in den Arm fiel: "Um Gottes,
um Gottes Barmherzigkeit willen, kein Blut um
mich!"

Es war alles das Werk eines Momentes. Die
Degenspitze hatte Jüllis Schulter gestreift; es rieselte
roth von ihrem Nacken. Im selben Augenblick trennte
ein dritter Fremder die Kämpfer. "Auch Mord und
Blut in diesem Sündenhaus." Des Predigers Ge¬
sicht war krampfhaft verzogen, er hob die zitternden
Arme gegen die Obristin, er drohte ihr. Aber die
Stimme schien auch ihm zu versagen. Er griff in
die Tasche und warf ihr eine kleine Börse zu Füßen:
"Weib mach Dich bezahlt mit meinem Sparpfennig."

Der Lärm hatte inzwischen einen bacchantischen

ſeiner Stirn und die Bruſt hob ſich wie eine Meeres¬
welle als er aufſprang und nach einer Waffe griff.
„Mord!“ „Todtſchlag!“ „Polizei!“ — „Blut!“ ſchrieen
verwirrte Stimmen. Dem Stuhle, den der Raſende
wie eine Keule in der Luft ſchwang, hätte der Ga¬
lanteriedegen, den der andere raſch gezogen, nicht
parirt. Aber die Obriſtin faßte nach dem Stuhlbein,
als der Degen ſchon mit einem gefährlichen Parir¬
ſtoß nach der Bruſt zückte. Jülli ſah die Spitze fun¬
keln, ſie hing an Louis Bruſt, ſie umklammerte ſeinen
Hals, ein Schild, das ihn ſchützte, aber ihm die freie
Bewegung raubte: „Louis nicht Dein Blut!“ Der
Stoß des nur zur Vertheidigung gezückten Degens
hätte tödtlich werden können, wo der Feind in blinder
Wuth ſich auf den Gegner geſtürzt hatte, als Adel¬
heid dem Cavalier in den Arm fiel: „Um Gottes,
um Gottes Barmherzigkeit willen, kein Blut um
mich!“

Es war alles das Werk eines Momentes. Die
Degenſpitze hatte Jüllis Schulter geſtreift; es rieſelte
roth von ihrem Nacken. Im ſelben Augenblick trennte
ein dritter Fremder die Kämpfer. „Auch Mord und
Blut in dieſem Sündenhaus.“ Des Predigers Ge¬
ſicht war krampfhaft verzogen, er hob die zitternden
Arme gegen die Obriſtin, er drohte ihr. Aber die
Stimme ſchien auch ihm zu verſagen. Er griff in
die Taſche und warf ihr eine kleine Börſe zu Füßen:
„Weib mach Dich bezahlt mit meinem Sparpfennig.“

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[303/0317] ſeiner Stirn und die Bruſt hob ſich wie eine Meeres¬ welle als er aufſprang und nach einer Waffe griff. „Mord!“ „Todtſchlag!“ „Polizei!“ — „Blut!“ ſchrieen verwirrte Stimmen. Dem Stuhle, den der Raſende wie eine Keule in der Luft ſchwang, hätte der Ga¬ lanteriedegen, den der andere raſch gezogen, nicht parirt. Aber die Obriſtin faßte nach dem Stuhlbein, als der Degen ſchon mit einem gefährlichen Parir¬ ſtoß nach der Bruſt zückte. Jülli ſah die Spitze fun¬ keln, ſie hing an Louis Bruſt, ſie umklammerte ſeinen Hals, ein Schild, das ihn ſchützte, aber ihm die freie Bewegung raubte: „Louis nicht Dein Blut!“ Der Stoß des nur zur Vertheidigung gezückten Degens hätte tödtlich werden können, wo der Feind in blinder Wuth ſich auf den Gegner geſtürzt hatte, als Adel¬ heid dem Cavalier in den Arm fiel: „Um Gottes, um Gottes Barmherzigkeit willen, kein Blut um mich!“ Es war alles das Werk eines Momentes. Die Degenſpitze hatte Jüllis Schulter geſtreift; es rieſelte roth von ihrem Nacken. Im ſelben Augenblick trennte ein dritter Fremder die Kämpfer. „Auch Mord und Blut in dieſem Sündenhaus.“ Des Predigers Ge¬ ſicht war krampfhaft verzogen, er hob die zitternden Arme gegen die Obriſtin, er drohte ihr. Aber die Stimme ſchien auch ihm zu verſagen. Er griff in die Taſche und warf ihr eine kleine Börſe zu Füßen: „Weib mach Dich bezahlt mit meinem Sparpfennig.“ Der Lärm hatte inzwiſchen einen bacchantiſchen

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/317>, abgerufen am 18.05.2024.