Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie wankte; aber sie schauderte vor der Obristin, die
sie auffangen wollte. Sie tappte mit aufgehobenen
Armen, als der junge Mann eine Bewegung machte,
war's, seine Beute wieder zu ergreifen, war's der
Ohnmächtigen beizustehen. Aber die Erscheinung
eines andern fremden Mannes, der ein: "Halt, mein
Herr!" ihm entgegen rief, veränderte die Scene.

Es war ein hochgewachsener Mann von leichtem,
vornehmen Anstande. In seinem blassen, ausdrucks¬
vollen Gesicht, in dem man einen Philosophen, Staats¬
mann, wenigstens einen Denker erkennen mögen,
brannten auch zwei dunkle Augen, nicht groß, aber
bedeutend durch den Ausdruck edlen Zornes, der in
ihnen glühte. Ein Mann von mittleren Jahren, der aber
durch die Entrüstung, den Stolz seiner Haltung, die
Elasticität der Bewegung, um vieles jünger schien.
Es war ohne Zweifel das bedeutendste, ausdruckvollste
Gesicht im Zimmer, vielleicht was man überhaupt
in diesem Räumen gesehen, ein Mann, in dem jeder
Muskelzug, jede Bewegung die Weltkenntniß und
Erfahrung ausdrückten und ein Mann, der geboren
schien, um zu imponiren. Den leichten Umwurf¬
mantel, mit dem er ins Zimmer getreten, hatte er
schon an der Thür abgeworfen und stand im schwar¬
zen Civilhofcostüm dem andern gegenüber.

Auf dem Gesichte dieses Jüngern, dem die Lei¬
denschaften viele Falten eingedrückt hatten, suchte
man indeß umsonst nach einem Zuge, der eine Incli¬
nation verrieth, sich imponiren zu lassen. Mit einem

Sie wankte; aber ſie ſchauderte vor der Obriſtin, die
ſie auffangen wollte. Sie tappte mit aufgehobenen
Armen, als der junge Mann eine Bewegung machte,
war's, ſeine Beute wieder zu ergreifen, war's der
Ohnmächtigen beizuſtehen. Aber die Erſcheinung
eines andern fremden Mannes, der ein: „Halt, mein
Herr!“ ihm entgegen rief, veränderte die Scene.

Es war ein hochgewachſener Mann von leichtem,
vornehmen Anſtande. In ſeinem blaſſen, ausdrucks¬
vollen Geſicht, in dem man einen Philoſophen, Staats¬
mann, wenigſtens einen Denker erkennen mögen,
brannten auch zwei dunkle Augen, nicht groß, aber
bedeutend durch den Ausdruck edlen Zornes, der in
ihnen glühte. Ein Mann von mittleren Jahren, der aber
durch die Entrüſtung, den Stolz ſeiner Haltung, die
Elaſticität der Bewegung, um vieles jünger ſchien.
Es war ohne Zweifel das bedeutendſte, ausdruckvollſte
Geſicht im Zimmer, vielleicht was man überhaupt
in dieſem Räumen geſehen, ein Mann, in dem jeder
Muskelzug, jede Bewegung die Weltkenntniß und
Erfahrung ausdrückten und ein Mann, der geboren
ſchien, um zu imponiren. Den leichten Umwurf¬
mantel, mit dem er ins Zimmer getreten, hatte er
ſchon an der Thür abgeworfen und ſtand im ſchwar¬
zen Civilhofcoſtüm dem andern gegenüber.

Auf dem Geſichte dieſes Jüngern, dem die Lei¬
denſchaften viele Falten eingedrückt hatten, ſuchte
man indeß umſonſt nach einem Zuge, der eine Incli¬
nation verrieth, ſich imponiren zu laſſen. Mit einem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0315" n="301"/>
        <p>Sie wankte; aber &#x017F;ie &#x017F;chauderte vor der Obri&#x017F;tin, die<lb/>
&#x017F;ie auffangen wollte. Sie tappte mit aufgehobenen<lb/>
Armen, als der junge Mann eine Bewegung machte,<lb/>
war's, &#x017F;eine Beute wieder zu ergreifen, war's der<lb/>
Ohnmächtigen beizu&#x017F;tehen. Aber die Er&#x017F;cheinung<lb/>
eines andern fremden Mannes, der ein: &#x201E;Halt, mein<lb/>
Herr!&#x201C; ihm entgegen rief, veränderte die Scene.</p><lb/>
        <p>Es war ein hochgewach&#x017F;ener Mann von leichtem,<lb/>
vornehmen An&#x017F;tande. In &#x017F;einem bla&#x017F;&#x017F;en, ausdrucks¬<lb/>
vollen Ge&#x017F;icht, in dem man einen Philo&#x017F;ophen, Staats¬<lb/>
mann, wenig&#x017F;tens einen Denker erkennen mögen,<lb/>
brannten auch zwei dunkle Augen, nicht groß, aber<lb/>
bedeutend durch den Ausdruck edlen Zornes, der in<lb/>
ihnen glühte. Ein Mann von mittleren Jahren, der aber<lb/>
durch die Entrü&#x017F;tung, den Stolz &#x017F;einer Haltung, die<lb/>
Ela&#x017F;ticität der Bewegung, um vieles jünger &#x017F;chien.<lb/>
Es war ohne Zweifel das bedeutend&#x017F;te, ausdruckvoll&#x017F;te<lb/>
Ge&#x017F;icht im Zimmer, vielleicht was man überhaupt<lb/>
in die&#x017F;em Räumen ge&#x017F;ehen, ein Mann, in dem jeder<lb/>
Muskelzug, jede Bewegung die Weltkenntniß und<lb/>
Erfahrung ausdrückten und ein Mann, der geboren<lb/>
&#x017F;chien, um zu imponiren. Den leichten Umwurf¬<lb/>
mantel, mit dem er ins Zimmer getreten, hatte er<lb/>
&#x017F;chon an der Thür abgeworfen und &#x017F;tand im &#x017F;chwar¬<lb/>
zen Civilhofco&#x017F;tüm dem andern gegenüber.</p><lb/>
        <p>Auf dem Ge&#x017F;ichte die&#x017F;es Jüngern, dem die Lei¬<lb/>
den&#x017F;chaften viele Falten eingedrückt hatten, &#x017F;uchte<lb/>
man indeß um&#x017F;on&#x017F;t nach einem Zuge, der eine Incli¬<lb/>
nation verrieth, &#x017F;ich imponiren zu la&#x017F;&#x017F;en. Mit einem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0315] Sie wankte; aber ſie ſchauderte vor der Obriſtin, die ſie auffangen wollte. Sie tappte mit aufgehobenen Armen, als der junge Mann eine Bewegung machte, war's, ſeine Beute wieder zu ergreifen, war's der Ohnmächtigen beizuſtehen. Aber die Erſcheinung eines andern fremden Mannes, der ein: „Halt, mein Herr!“ ihm entgegen rief, veränderte die Scene. Es war ein hochgewachſener Mann von leichtem, vornehmen Anſtande. In ſeinem blaſſen, ausdrucks¬ vollen Geſicht, in dem man einen Philoſophen, Staats¬ mann, wenigſtens einen Denker erkennen mögen, brannten auch zwei dunkle Augen, nicht groß, aber bedeutend durch den Ausdruck edlen Zornes, der in ihnen glühte. Ein Mann von mittleren Jahren, der aber durch die Entrüſtung, den Stolz ſeiner Haltung, die Elaſticität der Bewegung, um vieles jünger ſchien. Es war ohne Zweifel das bedeutendſte, ausdruckvollſte Geſicht im Zimmer, vielleicht was man überhaupt in dieſem Räumen geſehen, ein Mann, in dem jeder Muskelzug, jede Bewegung die Weltkenntniß und Erfahrung ausdrückten und ein Mann, der geboren ſchien, um zu imponiren. Den leichten Umwurf¬ mantel, mit dem er ins Zimmer getreten, hatte er ſchon an der Thür abgeworfen und ſtand im ſchwar¬ zen Civilhofcoſtüm dem andern gegenüber. Auf dem Geſichte dieſes Jüngern, dem die Lei¬ denſchaften viele Falten eingedrückt hatten, ſuchte man indeß umſonſt nach einem Zuge, der eine Incli¬ nation verrieth, ſich imponiren zu laſſen. Mit einem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/315
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/315>, abgerufen am 18.05.2024.