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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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thier merkt auch gar nicht, wie ich ihr neulich auf
den Fuß trat. Denn sie ist zu ganz was anderm,
weil sie ein feines sittsames Mädchen ist, und 's noch
weit mehr werden wird, und Ihr könntet mal froh
sein, wenn Ihr ihr die Schuhbänder zumachen dürft.
Aber Mädchen, was hast Du Dir wieder die Schuh
schief getreten! Bei dem Dinge hilft doch auch keine
Vernunft. Und wie breit der Fuß wird, das kommt
davon, wie Du beim Tanzen ranzest. Die Jülli hat
noch ein ganz schmales Füßchen; aber die hält auch
auf Anstand. Und das neue Kleid, zu Weihnachten
erst hast Du's gekriegt, und wie sieht's schon wieder
aus, daß Gott erbarm!"

"Ma chere tante, wann krieg' ich das bombasin
Kleid?"

"Ei was, laß' Dir's von den Herren schenken."

"Die Herren sind nicht so generös."

"Wenn sie Dich so mit den Beinen schlenkern
sehen unter dem Stuhl, und so rekeln mit dem
Ellenbogen über die Lehne, da sollen sie sich wohl
Wunder was vorstellen, was Ihr seid. Zu meiner
Zeit, sag' ich, kerzengrad saßen sie auf dem Stuhl,
und so schlugen sie die Augen nieder, wenn ein Herr
zu ihnen sprach, aber da verstanden sie auch zu bitten
und da waren die Herren auch generös."

"Man soll die Herren nicht rupfen. Das haben
ma chere tante immer gesagt. Na nu, ist's nu
nicht wahr?"

"Sie unverschämtes Geschöpf! Was das für

thier merkt auch gar nicht, wie ich ihr neulich auf
den Fuß trat. Denn ſie iſt zu ganz was anderm,
weil ſie ein feines ſittſames Mädchen iſt, und 's noch
weit mehr werden wird, und Ihr könntet mal froh
ſein, wenn Ihr ihr die Schuhbänder zumachen dürft.
Aber Mädchen, was haſt Du Dir wieder die Schuh
ſchief getreten! Bei dem Dinge hilft doch auch keine
Vernunft. Und wie breit der Fuß wird, das kommt
davon, wie Du beim Tanzen ranzeſt. Die Jülli hat
noch ein ganz ſchmales Füßchen; aber die hält auch
auf Anſtand. Und das neue Kleid, zu Weihnachten
erſt haſt Du's gekriegt, und wie ſieht's ſchon wieder
aus, daß Gott erbarm!“

Ma chère tante, wann krieg' ich das bombaſin
Kleid?“

„Ei was, laß' Dir's von den Herren ſchenken.“

„Die Herren ſind nicht ſo generös.“

„Wenn ſie Dich ſo mit den Beinen ſchlenkern
ſehen unter dem Stuhl, und ſo rekeln mit dem
Ellenbogen über die Lehne, da ſollen ſie ſich wohl
Wunder was vorſtellen, was Ihr ſeid. Zu meiner
Zeit, ſag' ich, kerzengrad ſaßen ſie auf dem Stuhl,
und ſo ſchlugen ſie die Augen nieder, wenn ein Herr
zu ihnen ſprach, aber da verſtanden ſie auch zu bitten
und da waren die Herren auch generös.“

„Man ſoll die Herren nicht rupfen. Das haben
ma chère tante immer geſagt. Na nu, iſt's nu
nicht wahr?“

„Sie unverſchämtes Geſchöpf! Was das für

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[279/0293] thier merkt auch gar nicht, wie ich ihr neulich auf den Fuß trat. Denn ſie iſt zu ganz was anderm, weil ſie ein feines ſittſames Mädchen iſt, und 's noch weit mehr werden wird, und Ihr könntet mal froh ſein, wenn Ihr ihr die Schuhbänder zumachen dürft. Aber Mädchen, was haſt Du Dir wieder die Schuh ſchief getreten! Bei dem Dinge hilft doch auch keine Vernunft. Und wie breit der Fuß wird, das kommt davon, wie Du beim Tanzen ranzeſt. Die Jülli hat noch ein ganz ſchmales Füßchen; aber die hält auch auf Anſtand. Und das neue Kleid, zu Weihnachten erſt haſt Du's gekriegt, und wie ſieht's ſchon wieder aus, daß Gott erbarm!“ „Ma chère tante, wann krieg' ich das bombaſin Kleid?“ „Ei was, laß' Dir's von den Herren ſchenken.“ „Die Herren ſind nicht ſo generös.“ „Wenn ſie Dich ſo mit den Beinen ſchlenkern ſehen unter dem Stuhl, und ſo rekeln mit dem Ellenbogen über die Lehne, da ſollen ſie ſich wohl Wunder was vorſtellen, was Ihr ſeid. Zu meiner Zeit, ſag' ich, kerzengrad ſaßen ſie auf dem Stuhl, und ſo ſchlugen ſie die Augen nieder, wenn ein Herr zu ihnen ſprach, aber da verſtanden ſie auch zu bitten und da waren die Herren auch generös.“ „Man ſoll die Herren nicht rupfen. Das haben ma chère tante immer geſagt. Na nu, iſt's nu nicht wahr?“ „Sie unverſchämtes Geſchöpf! Was das für

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/293>, abgerufen am 24.11.2024.