Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

noch sehr wohl, war so benommen von olympischer Lust,
daß er sich die Weste aufriß und das Füßchen an sein
pochendes Herz drückte. Darüber verlor die Grazie
das Uebergewicht, und ehe wirs uns versahen, um¬
faßte er sie, und trug sie fort."

Bovillard sah nicht, wie der Minister mit der
Hand abwehrend winkte. "Wie die Najade sich schalk¬
haft sträubte, ihr Zephyr flatterte, eine Attitüde
Excellenz, ich wünschte, Sie hätten es sehn können.
Das war doch ein Jubel, eine Admiration! "Der
Sabinerinnen Raub!" wie aus einem Munde scholls.
"Ein leibhafter Johann von Bologna!"

"Was öffnen Sie die Gräber der Vergangen¬
heit, Bovillard! Ich ward ein schlichter Hausmann."

"War's denn was Böses?"

"Eine Verirrung doch wohl, liebster Freund.
Das müssen wir zugeben, aber die edelsten Empfin¬
dungen lagen zum Grunde. Es war mir oft so wie
in der Brüdergemeinde. Aller Schein, aller Stan¬
desunterschied, das Drückende unsrer Verhältnisse
sinkt wie ein Schleier. Der Bruder- und Schwester¬
kuß drückt das Siegel der Humanität der edlen Gleich¬
heit auf unsre Lippen, und nun fallen mit den Ti¬
teln alle beengenden Rücksichten fort. Man fühlte sich
wieder in der Natur, dem Ursprünglichen näher ge¬
rückt, das Herz geht auf, man schließt es unwillkühr¬
lich weiter auf, vielleicht weiter als man sollte --
aber es ist ja eben dieser Drang, der uns glücklich
macht."

noch ſehr wohl, war ſo benommen von olympiſcher Luſt,
daß er ſich die Weſte aufriß und das Füßchen an ſein
pochendes Herz drückte. Darüber verlor die Grazie
das Uebergewicht, und ehe wirs uns verſahen, um¬
faßte er ſie, und trug ſie fort.“

Bovillard ſah nicht, wie der Miniſter mit der
Hand abwehrend winkte. „Wie die Najade ſich ſchalk¬
haft ſträubte, ihr Zephyr flatterte, eine Attitüde
Excellenz, ich wünſchte, Sie hätten es ſehn können.
Das war doch ein Jubel, eine Admiration! „Der
Sabinerinnen Raub!“ wie aus einem Munde ſcholls.
„Ein leibhafter Johann von Bologna!“

„Was öffnen Sie die Gräber der Vergangen¬
heit, Bovillard! Ich ward ein ſchlichter Hausmann.“

„War's denn was Böſes?“

„Eine Verirrung doch wohl, liebſter Freund.
Das müſſen wir zugeben, aber die edelſten Empfin¬
dungen lagen zum Grunde. Es war mir oft ſo wie
in der Brüdergemeinde. Aller Schein, aller Stan¬
desunterſchied, das Drückende unſrer Verhältniſſe
ſinkt wie ein Schleier. Der Bruder- und Schweſter¬
kuß drückt das Siegel der Humanität der edlen Gleich¬
heit auf unſre Lippen, und nun fallen mit den Ti¬
teln alle beengenden Rückſichten fort. Man fühlte ſich
wieder in der Natur, dem Urſprünglichen näher ge¬
rückt, das Herz geht auf, man ſchließt es unwillkühr¬
lich weiter auf, vielleicht weiter als man ſollte —
aber es iſt ja eben dieſer Drang, der uns glücklich
macht.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0252" n="238"/>
noch &#x017F;ehr wohl, war &#x017F;o benommen von olympi&#x017F;cher Lu&#x017F;t,<lb/>
daß er &#x017F;ich die We&#x017F;te aufriß und das Füßchen an &#x017F;ein<lb/>
pochendes Herz drückte. Darüber verlor die Grazie<lb/>
das Uebergewicht, und ehe wirs uns ver&#x017F;ahen, um¬<lb/>
faßte er &#x017F;ie, und trug &#x017F;ie fort.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Bovillard &#x017F;ah nicht, wie der Mini&#x017F;ter mit der<lb/>
Hand abwehrend winkte. &#x201E;Wie die Najade &#x017F;ich &#x017F;chalk¬<lb/>
haft &#x017F;träubte, ihr Zephyr flatterte, eine Attitüde<lb/>
Excellenz, ich wün&#x017F;chte, Sie hätten es &#x017F;ehn können.<lb/>
Das war doch ein Jubel, eine Admiration! &#x201E;Der<lb/>
Sabinerinnen Raub!&#x201C; wie aus einem Munde &#x017F;cholls.<lb/>
&#x201E;Ein leibhafter Johann von Bologna!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was öffnen Sie die Gräber der Vergangen¬<lb/>
heit, Bovillard! Ich ward ein &#x017F;chlichter Hausmann.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;War's denn was Bö&#x017F;es?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Eine Verirrung doch wohl, lieb&#x017F;ter Freund.<lb/>
Das mü&#x017F;&#x017F;en wir zugeben, aber die edel&#x017F;ten Empfin¬<lb/>
dungen lagen zum Grunde. Es war mir oft &#x017F;o wie<lb/>
in der Brüdergemeinde. Aller Schein, aller Stan¬<lb/>
desunter&#x017F;chied, das Drückende un&#x017F;rer Verhältni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
&#x017F;inkt wie ein Schleier. Der Bruder- und Schwe&#x017F;ter¬<lb/>
kuß drückt das Siegel der Humanität der edlen Gleich¬<lb/>
heit auf un&#x017F;re Lippen, und nun fallen mit den Ti¬<lb/>
teln alle beengenden Rück&#x017F;ichten fort. Man fühlte &#x017F;ich<lb/>
wieder in der Natur, dem Ur&#x017F;prünglichen näher ge¬<lb/>
rückt, das Herz geht auf, man &#x017F;chließt es unwillkühr¬<lb/>
lich weiter auf, vielleicht weiter als man &#x017F;ollte &#x2014;<lb/>
aber es i&#x017F;t ja eben die&#x017F;er Drang, der uns glücklich<lb/>
macht.&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0252] noch ſehr wohl, war ſo benommen von olympiſcher Luſt, daß er ſich die Weſte aufriß und das Füßchen an ſein pochendes Herz drückte. Darüber verlor die Grazie das Uebergewicht, und ehe wirs uns verſahen, um¬ faßte er ſie, und trug ſie fort.“ Bovillard ſah nicht, wie der Miniſter mit der Hand abwehrend winkte. „Wie die Najade ſich ſchalk¬ haft ſträubte, ihr Zephyr flatterte, eine Attitüde Excellenz, ich wünſchte, Sie hätten es ſehn können. Das war doch ein Jubel, eine Admiration! „Der Sabinerinnen Raub!“ wie aus einem Munde ſcholls. „Ein leibhafter Johann von Bologna!“ „Was öffnen Sie die Gräber der Vergangen¬ heit, Bovillard! Ich ward ein ſchlichter Hausmann.“ „War's denn was Böſes?“ „Eine Verirrung doch wohl, liebſter Freund. Das müſſen wir zugeben, aber die edelſten Empfin¬ dungen lagen zum Grunde. Es war mir oft ſo wie in der Brüdergemeinde. Aller Schein, aller Stan¬ desunterſchied, das Drückende unſrer Verhältniſſe ſinkt wie ein Schleier. Der Bruder- und Schweſter¬ kuß drückt das Siegel der Humanität der edlen Gleich¬ heit auf unſre Lippen, und nun fallen mit den Ti¬ teln alle beengenden Rückſichten fort. Man fühlte ſich wieder in der Natur, dem Urſprünglichen näher ge¬ rückt, das Herz geht auf, man ſchließt es unwillkühr¬ lich weiter auf, vielleicht weiter als man ſollte — aber es iſt ja eben dieſer Drang, der uns glücklich macht.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/252
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/252>, abgerufen am 21.05.2024.