Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

stamm am Ufer des künstlichen Baches stellen, um
sich im Wasser zu spiegeln. Der Minister hielt ihn
am Rockschooß zurück: "Um Gottes Willen, er kippt
über. Mein Gärtner hat ihn erst heut Morgen aus
Treptow eingefahren."

"En verite! sagte der Geheimerath, die Täuschung
ist mir lieb, denn ich wollte schon mit Ihnen zürnen,
einen solchen Kernbaum umzuhauen!"

"Wo sollte ein Baum von solchen Dimensionen
auf diesem Boden fortkommen, entgegnete der Mi¬
nister, über die Täuschung doch nicht ganz unzufrieden.
Wenn ich auf etwas mir zu Gute thue, ist es nächst
meinem Weinbau, von dem Sie ja wohl schon ge¬
lesen haben werden, setzte er lächelnd hinzu, auf
meine Kühe. Es ist holsteinische Zucht. Beyme will
in Steglitz auch den Versuch machen, ich zweifle aber,
daß sie ihm fortkommen. -- Und mit welchen Vor¬
urtheilen ich zu kämpfen hatte! Zwei Kuhhirten mußte
ich entlassen. Der eine hielt das Schweizergeläut den
Kühen für schädlich! Wohin sehen Sie dort?"

"Was ist das blendende Weiß da?"

"Meinen Sie das Stückchen Stadtmauer, worauf
die Sonne scheint. Der Theil ist neu geweißt."

"Sollt' ich mich so getäuscht haben! -- Richtig!
Sie springt da grade über die Büsche. Wissen, Ex¬
cellenz, es ist eine Thorheit -- aber die Phantasie
geht oft mit uns durch -- in dem Augenblick dacht'
ich an Schnee. Man könnte der Illusion zu Hülfe
kommen. Ich meine --"

ſtamm am Ufer des künſtlichen Baches ſtellen, um
ſich im Waſſer zu ſpiegeln. Der Miniſter hielt ihn
am Rockſchooß zurück: „Um Gottes Willen, er kippt
über. Mein Gärtner hat ihn erſt heut Morgen aus
Treptow eingefahren.“

„En verité! ſagte der Geheimerath, die Täuſchung
iſt mir lieb, denn ich wollte ſchon mit Ihnen zürnen,
einen ſolchen Kernbaum umzuhauen!“

„Wo ſollte ein Baum von ſolchen Dimenſionen
auf dieſem Boden fortkommen, entgegnete der Mi¬
niſter, über die Täuſchung doch nicht ganz unzufrieden.
Wenn ich auf etwas mir zu Gute thue, iſt es nächſt
meinem Weinbau, von dem Sie ja wohl ſchon ge¬
leſen haben werden, ſetzte er lächelnd hinzu, auf
meine Kühe. Es iſt holſteiniſche Zucht. Beyme will
in Steglitz auch den Verſuch machen, ich zweifle aber,
daß ſie ihm fortkommen. — Und mit welchen Vor¬
urtheilen ich zu kämpfen hatte! Zwei Kuhhirten mußte
ich entlaſſen. Der eine hielt das Schweizergeläut den
Kühen für ſchädlich! Wohin ſehen Sie dort?“

„Was iſt das blendende Weiß da?“

„Meinen Sie das Stückchen Stadtmauer, worauf
die Sonne ſcheint. Der Theil iſt neu geweißt.“

„Sollt' ich mich ſo getäuſcht haben! — Richtig!
Sie ſpringt da grade über die Büſche. Wiſſen, Ex¬
cellenz, es iſt eine Thorheit — aber die Phantaſie
geht oft mit uns durch — in dem Augenblick dacht'
ich an Schnee. Man könnte der Illuſion zu Hülfe
kommen. Ich meine —“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0242" n="228"/>
&#x017F;tamm am Ufer des kün&#x017F;tlichen Baches &#x017F;tellen, um<lb/>
&#x017F;ich im Wa&#x017F;&#x017F;er zu &#x017F;piegeln. Der Mini&#x017F;ter hielt ihn<lb/>
am Rock&#x017F;chooß zurück: &#x201E;Um Gottes Willen, er kippt<lb/>
über. Mein Gärtner hat ihn er&#x017F;t heut Morgen aus<lb/>
Treptow eingefahren.&#x201C;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">&#x201E;En verité!</hi> &#x017F;agte der Geheimerath, die Täu&#x017F;chung<lb/>
i&#x017F;t mir lieb, denn ich wollte &#x017F;chon mit Ihnen zürnen,<lb/>
einen &#x017F;olchen Kernbaum umzuhauen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wo &#x017F;ollte ein Baum von &#x017F;olchen Dimen&#x017F;ionen<lb/>
auf die&#x017F;em Boden fortkommen, entgegnete der Mi¬<lb/>
ni&#x017F;ter, über die Täu&#x017F;chung doch nicht ganz unzufrieden.<lb/>
Wenn ich auf etwas mir zu Gute thue, i&#x017F;t es näch&#x017F;t<lb/>
meinem Weinbau, von dem Sie ja wohl &#x017F;chon ge¬<lb/>
le&#x017F;en haben werden, &#x017F;etzte er lächelnd hinzu, auf<lb/>
meine Kühe. Es i&#x017F;t hol&#x017F;teini&#x017F;che Zucht. Beyme will<lb/>
in Steglitz auch den Ver&#x017F;uch machen, ich zweifle aber,<lb/>
daß &#x017F;ie ihm fortkommen. &#x2014; Und mit welchen Vor¬<lb/>
urtheilen ich zu kämpfen hatte! Zwei Kuhhirten mußte<lb/>
ich entla&#x017F;&#x017F;en. Der eine hielt das Schweizergeläut den<lb/>
Kühen für &#x017F;chädlich! Wohin &#x017F;ehen Sie dort?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was i&#x017F;t das blendende Weiß da?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Meinen Sie das Stückchen Stadtmauer, worauf<lb/>
die Sonne &#x017F;cheint. Der Theil i&#x017F;t neu geweißt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sollt' ich mich &#x017F;o getäu&#x017F;cht haben! &#x2014; Richtig!<lb/>
Sie &#x017F;pringt da grade über die Bü&#x017F;che. Wi&#x017F;&#x017F;en, Ex¬<lb/>
cellenz, es i&#x017F;t eine Thorheit &#x2014; aber die Phanta&#x017F;ie<lb/>
geht oft mit uns durch &#x2014; in dem Augenblick dacht'<lb/>
ich an Schnee. Man könnte der Illu&#x017F;ion zu Hülfe<lb/>
kommen. Ich meine &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0242] ſtamm am Ufer des künſtlichen Baches ſtellen, um ſich im Waſſer zu ſpiegeln. Der Miniſter hielt ihn am Rockſchooß zurück: „Um Gottes Willen, er kippt über. Mein Gärtner hat ihn erſt heut Morgen aus Treptow eingefahren.“ „En verité! ſagte der Geheimerath, die Täuſchung iſt mir lieb, denn ich wollte ſchon mit Ihnen zürnen, einen ſolchen Kernbaum umzuhauen!“ „Wo ſollte ein Baum von ſolchen Dimenſionen auf dieſem Boden fortkommen, entgegnete der Mi¬ niſter, über die Täuſchung doch nicht ganz unzufrieden. Wenn ich auf etwas mir zu Gute thue, iſt es nächſt meinem Weinbau, von dem Sie ja wohl ſchon ge¬ leſen haben werden, ſetzte er lächelnd hinzu, auf meine Kühe. Es iſt holſteiniſche Zucht. Beyme will in Steglitz auch den Verſuch machen, ich zweifle aber, daß ſie ihm fortkommen. — Und mit welchen Vor¬ urtheilen ich zu kämpfen hatte! Zwei Kuhhirten mußte ich entlaſſen. Der eine hielt das Schweizergeläut den Kühen für ſchädlich! Wohin ſehen Sie dort?“ „Was iſt das blendende Weiß da?“ „Meinen Sie das Stückchen Stadtmauer, worauf die Sonne ſcheint. Der Theil iſt neu geweißt.“ „Sollt' ich mich ſo getäuſcht haben! — Richtig! Sie ſpringt da grade über die Büſche. Wiſſen, Ex¬ cellenz, es iſt eine Thorheit — aber die Phantaſie geht oft mit uns durch — in dem Augenblick dacht' ich an Schnee. Man könnte der Illuſion zu Hülfe kommen. Ich meine —“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/242
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/242>, abgerufen am 24.11.2024.