Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

bitten, einmal bei dem Unterricht zugegen zu sein,
um ihr aufrichtig zu sagen, ob der neue Lehrer
was tauge.

Nur über eins war sie beruhigt. Bei diesem
Manne war für ihre Tochter keine Gefahr, auch
wenn sie einmal nicht in der Stunde zugegen wäre.
Er war ja viel älter, als sie gedacht und blaß und
hatte auch einige Pockennarben, und tanzen konnte er
gewiß nicht. Sie meinte, es ginge ihm wohl küm¬
merlich, obschon sie sich entsann, daß er einen feinen
Rock trug; und, um ihm etwas Gutes zu erzeigen,
dachte sie daran, ihm einen Freitisch anzubieten.

"Das würde sich nun nicht schicken," sagte der
Kriegsrath, der andern Tages von Erkundigungen
heim kam, die er im Interesse seines Kindes einge¬
zogen. Zuerst hatten ihn die gescheitesten Leute ver¬
sichert, der Herr van Asten wisse mehr als in tausend
Büchern steht, aber er habe den Tik, daß er das
Sprichwort zu schanden machen wolle: der spricht ja
wie ein Buch. Das wäre überhaupt jetzt Mode, daß
die gelehrten Leute nicht merken lassen wollten, daß
sie gelehrt wären.

Aber weit mehr verwunderte sich die Kriegsräthin,
als sie erfuhr, Herr van Asten habe einen angesehenen
Vater, den Principal des alten Handlungshauses in
der Spandauer Straße. Weil er jedoch zu der jungen
ästhetischen Schule halte, die man Romantiker nennt,
habe er sich mit seinem Vater überworfen, und sei
aus dessen Hause gezogen, und nehme keine Unter¬

I. 14

bitten, einmal bei dem Unterricht zugegen zu ſein,
um ihr aufrichtig zu ſagen, ob der neue Lehrer
was tauge.

Nur über eins war ſie beruhigt. Bei dieſem
Manne war für ihre Tochter keine Gefahr, auch
wenn ſie einmal nicht in der Stunde zugegen wäre.
Er war ja viel älter, als ſie gedacht und blaß und
hatte auch einige Pockennarben, und tanzen konnte er
gewiß nicht. Sie meinte, es ginge ihm wohl küm¬
merlich, obſchon ſie ſich entſann, daß er einen feinen
Rock trug; und, um ihm etwas Gutes zu erzeigen,
dachte ſie daran, ihm einen Freitiſch anzubieten.

„Das würde ſich nun nicht ſchicken,“ ſagte der
Kriegsrath, der andern Tages von Erkundigungen
heim kam, die er im Intereſſe ſeines Kindes einge¬
zogen. Zuerſt hatten ihn die geſcheiteſten Leute ver¬
ſichert, der Herr van Aſten wiſſe mehr als in tauſend
Büchern ſteht, aber er habe den Tik, daß er das
Sprichwort zu ſchanden machen wolle: der ſpricht ja
wie ein Buch. Das wäre überhaupt jetzt Mode, daß
die gelehrten Leute nicht merken laſſen wollten, daß
ſie gelehrt wären.

Aber weit mehr verwunderte ſich die Kriegsräthin,
als ſie erfuhr, Herr van Aſten habe einen angeſehenen
Vater, den Principal des alten Handlungshauſes in
der Spandauer Straße. Weil er jedoch zu der jungen
äſthetiſchen Schule halte, die man Romantiker nennt,
habe er ſich mit ſeinem Vater überworfen, und ſei
aus deſſen Hauſe gezogen, und nehme keine Unter¬

I. 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0223" n="209"/>
bitten, einmal bei dem Unterricht zugegen zu &#x017F;ein,<lb/>
um ihr aufrichtig zu &#x017F;agen, ob der neue Lehrer<lb/>
was tauge.</p><lb/>
        <p>Nur über eins war &#x017F;ie beruhigt. Bei die&#x017F;em<lb/>
Manne war für ihre Tochter keine Gefahr, auch<lb/>
wenn &#x017F;ie einmal nicht in der Stunde zugegen wäre.<lb/>
Er war ja viel älter, als &#x017F;ie gedacht und blaß und<lb/>
hatte auch einige Pockennarben, und tanzen konnte er<lb/>
gewiß nicht. Sie meinte, es ginge ihm wohl küm¬<lb/>
merlich, ob&#x017F;chon &#x017F;ie &#x017F;ich ent&#x017F;ann, daß er einen feinen<lb/>
Rock trug; und, um ihm etwas Gutes zu erzeigen,<lb/>
dachte &#x017F;ie daran, ihm einen Freiti&#x017F;ch anzubieten.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das würde &#x017F;ich nun nicht &#x017F;chicken,&#x201C; &#x017F;agte der<lb/>
Kriegsrath, der andern Tages von Erkundigungen<lb/>
heim kam, die er im Intere&#x017F;&#x017F;e &#x017F;eines Kindes einge¬<lb/>
zogen. Zuer&#x017F;t hatten ihn die ge&#x017F;cheite&#x017F;ten Leute ver¬<lb/>
&#x017F;ichert, der Herr van A&#x017F;ten wi&#x017F;&#x017F;e mehr als in tau&#x017F;end<lb/>
Büchern &#x017F;teht, aber er habe den Tik, daß er das<lb/>
Sprichwort zu &#x017F;chanden machen wolle: der &#x017F;pricht ja<lb/>
wie ein Buch. Das wäre überhaupt jetzt Mode, daß<lb/>
die gelehrten Leute nicht merken la&#x017F;&#x017F;en wollten, daß<lb/>
&#x017F;ie gelehrt wären.</p><lb/>
        <p>Aber weit mehr verwunderte &#x017F;ich die Kriegsräthin,<lb/>
als &#x017F;ie erfuhr, Herr van A&#x017F;ten habe einen ange&#x017F;ehenen<lb/>
Vater, den Principal des alten Handlungshau&#x017F;es in<lb/>
der Spandauer Straße. Weil er jedoch zu der jungen<lb/>
ä&#x017F;theti&#x017F;chen Schule halte, die man Romantiker nennt,<lb/>
habe er &#x017F;ich mit &#x017F;einem Vater überworfen, und &#x017F;ei<lb/>
aus de&#x017F;&#x017F;en Hau&#x017F;e gezogen, und nehme keine Unter¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I</hi>. 14<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0223] bitten, einmal bei dem Unterricht zugegen zu ſein, um ihr aufrichtig zu ſagen, ob der neue Lehrer was tauge. Nur über eins war ſie beruhigt. Bei dieſem Manne war für ihre Tochter keine Gefahr, auch wenn ſie einmal nicht in der Stunde zugegen wäre. Er war ja viel älter, als ſie gedacht und blaß und hatte auch einige Pockennarben, und tanzen konnte er gewiß nicht. Sie meinte, es ginge ihm wohl küm¬ merlich, obſchon ſie ſich entſann, daß er einen feinen Rock trug; und, um ihm etwas Gutes zu erzeigen, dachte ſie daran, ihm einen Freitiſch anzubieten. „Das würde ſich nun nicht ſchicken,“ ſagte der Kriegsrath, der andern Tages von Erkundigungen heim kam, die er im Intereſſe ſeines Kindes einge¬ zogen. Zuerſt hatten ihn die geſcheiteſten Leute ver¬ ſichert, der Herr van Aſten wiſſe mehr als in tauſend Büchern ſteht, aber er habe den Tik, daß er das Sprichwort zu ſchanden machen wolle: der ſpricht ja wie ein Buch. Das wäre überhaupt jetzt Mode, daß die gelehrten Leute nicht merken laſſen wollten, daß ſie gelehrt wären. Aber weit mehr verwunderte ſich die Kriegsräthin, als ſie erfuhr, Herr van Aſten habe einen angeſehenen Vater, den Principal des alten Handlungshauſes in der Spandauer Straße. Weil er jedoch zu der jungen äſthetiſchen Schule halte, die man Romantiker nennt, habe er ſich mit ſeinem Vater überworfen, und ſei aus deſſen Hauſe gezogen, und nehme keine Unter¬ I. 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/223
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/223>, abgerufen am 05.05.2024.