Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

glück der armen Eltern gemalt, denen die Seiltänzer
ihre Kinder stehlen.

Beide sagten sich, sie wären beruhigt, aber beider
Herz klopfte, daß jeder das des andern hätte können
schlagen hören, als sie um die letzte Ecke zum Gens¬
d'armenmarkt bogen. -- Zwei Herzen und ein Schlag,
ein freudiges Ah! Ihre Fenster waren hell, sehr hell.
-- Die Hausthür offen. Die Magd des Wirthes
kam ihnen entgegen: "Na Gott sei Dank, daß Sie
da sind. Die Mamsell und die Kinder haben sich
schon zu Tode geängstigt." -- Auf der halben Treppe
sprang ihnen Adelheid entgegen: "Ach, mein lieber
Vater, meine liebe Mutter! Gott sei Dank." -- Der
Vater drückte sie an seine Brust, die Mutter riß sie
an sich. "Ach und ihr seid ganz durchnäßt. Schnell,
schnell, oben liegt Alles schon bereit." Die Kleinen
waren schon umgezogen in trocknen Kleidern. "Das
hat alles die Adelheid gethan!" -- "Nicht alles,
Mütterchen, die Jülli und die Karoline halfen, ach
und die gute Frau Obristin hat für uns gesorgt, wie
eine Mutter."

"Hat Euch im Wagen hergebracht?"

"Und war auch so naß und müde von der Reise.
Aber Gott bewahre! Anvertrautes Gut muß man
eher zurückliefern, als man an seines denkt, sagte sie.
Und Euer Vater ist ein guter Diener seines Königs.
Und der König geht vor allem, und heut ist sein Ge¬
burtstag. Denkt Euch, als wir ausgestiegen waren,
wollte sie die Kutsche zurückschicken, um Euch holen

glück der armen Eltern gemalt, denen die Seiltänzer
ihre Kinder ſtehlen.

Beide ſagten ſich, ſie wären beruhigt, aber beider
Herz klopfte, daß jeder das des andern hätte können
ſchlagen hören, als ſie um die letzte Ecke zum Gens¬
d’armenmarkt bogen. — Zwei Herzen und ein Schlag,
ein freudiges Ah! Ihre Fenſter waren hell, ſehr hell.
— Die Hausthür offen. Die Magd des Wirthes
kam ihnen entgegen: „Na Gott ſei Dank, daß Sie
da ſind. Die Mamſell und die Kinder haben ſich
ſchon zu Tode geängſtigt.“ — Auf der halben Treppe
ſprang ihnen Adelheid entgegen: „Ach, mein lieber
Vater, meine liebe Mutter! Gott ſei Dank.“ — Der
Vater drückte ſie an ſeine Bruſt, die Mutter riß ſie
an ſich. „Ach und ihr ſeid ganz durchnäßt. Schnell,
ſchnell, oben liegt Alles ſchon bereit.“ Die Kleinen
waren ſchon umgezogen in trocknen Kleidern. „Das
hat alles die Adelheid gethan!“ — „Nicht alles,
Mütterchen, die Jülli und die Karoline halfen, ach
und die gute Frau Obriſtin hat für uns geſorgt, wie
eine Mutter.“

„Hat Euch im Wagen hergebracht?“

„Und war auch ſo naß und müde von der Reiſe.
Aber Gott bewahre! Anvertrautes Gut muß man
eher zurückliefern, als man an ſeines denkt, ſagte ſie.
Und Euer Vater iſt ein guter Diener ſeines Königs.
Und der König geht vor allem, und heut iſt ſein Ge¬
burtstag. Denkt Euch, als wir ausgeſtiegen waren,
wollte ſie die Kutſche zurückſchicken, um Euch holen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0214" n="200"/>
glück der armen Eltern gemalt, denen die Seiltänzer<lb/>
ihre Kinder &#x017F;tehlen.</p><lb/>
        <p>Beide &#x017F;agten &#x017F;ich, &#x017F;ie wären beruhigt, aber beider<lb/>
Herz klopfte, daß jeder das des andern hätte können<lb/>
&#x017F;chlagen hören, als &#x017F;ie um die letzte Ecke zum Gens¬<lb/>
d&#x2019;armenmarkt bogen. &#x2014; Zwei Herzen und ein Schlag,<lb/>
ein freudiges Ah! Ihre Fen&#x017F;ter waren hell, &#x017F;ehr hell.<lb/>
&#x2014; Die Hausthür offen. Die Magd des Wirthes<lb/>
kam ihnen entgegen: &#x201E;Na Gott &#x017F;ei Dank, daß Sie<lb/>
da &#x017F;ind. Die Mam&#x017F;ell und die Kinder haben &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;chon zu Tode geäng&#x017F;tigt.&#x201C; &#x2014; Auf der halben Treppe<lb/>
&#x017F;prang ihnen Adelheid entgegen: &#x201E;Ach, mein lieber<lb/>
Vater, meine liebe Mutter! Gott &#x017F;ei Dank.&#x201C; &#x2014; Der<lb/>
Vater drückte &#x017F;ie an &#x017F;eine Bru&#x017F;t, die Mutter riß &#x017F;ie<lb/>
an &#x017F;ich. &#x201E;Ach und ihr &#x017F;eid ganz durchnäßt. Schnell,<lb/>
&#x017F;chnell, oben liegt Alles &#x017F;chon bereit.&#x201C; Die Kleinen<lb/>
waren &#x017F;chon umgezogen in trocknen Kleidern. &#x201E;Das<lb/>
hat alles die Adelheid gethan!&#x201C; &#x2014; &#x201E;Nicht alles,<lb/>
Mütterchen, die Jülli und die Karoline halfen, ach<lb/>
und die gute Frau Obri&#x017F;tin hat für uns ge&#x017F;orgt, wie<lb/>
eine Mutter.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hat Euch im Wagen hergebracht?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und war auch &#x017F;o naß und müde von der Rei&#x017F;e.<lb/>
Aber Gott bewahre! Anvertrautes Gut muß man<lb/>
eher zurückliefern, als man an &#x017F;eines denkt, &#x017F;agte &#x017F;ie.<lb/>
Und Euer Vater i&#x017F;t ein guter Diener &#x017F;eines Königs.<lb/>
Und der König geht vor allem, und heut i&#x017F;t &#x017F;ein Ge¬<lb/>
burtstag. Denkt Euch, als wir ausge&#x017F;tiegen waren,<lb/>
wollte &#x017F;ie die Kut&#x017F;che zurück&#x017F;chicken, um Euch holen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0214] glück der armen Eltern gemalt, denen die Seiltänzer ihre Kinder ſtehlen. Beide ſagten ſich, ſie wären beruhigt, aber beider Herz klopfte, daß jeder das des andern hätte können ſchlagen hören, als ſie um die letzte Ecke zum Gens¬ d’armenmarkt bogen. — Zwei Herzen und ein Schlag, ein freudiges Ah! Ihre Fenſter waren hell, ſehr hell. — Die Hausthür offen. Die Magd des Wirthes kam ihnen entgegen: „Na Gott ſei Dank, daß Sie da ſind. Die Mamſell und die Kinder haben ſich ſchon zu Tode geängſtigt.“ — Auf der halben Treppe ſprang ihnen Adelheid entgegen: „Ach, mein lieber Vater, meine liebe Mutter! Gott ſei Dank.“ — Der Vater drückte ſie an ſeine Bruſt, die Mutter riß ſie an ſich. „Ach und ihr ſeid ganz durchnäßt. Schnell, ſchnell, oben liegt Alles ſchon bereit.“ Die Kleinen waren ſchon umgezogen in trocknen Kleidern. „Das hat alles die Adelheid gethan!“ — „Nicht alles, Mütterchen, die Jülli und die Karoline halfen, ach und die gute Frau Obriſtin hat für uns geſorgt, wie eine Mutter.“ „Hat Euch im Wagen hergebracht?“ „Und war auch ſo naß und müde von der Reiſe. Aber Gott bewahre! Anvertrautes Gut muß man eher zurückliefern, als man an ſeines denkt, ſagte ſie. Und Euer Vater iſt ein guter Diener ſeines Königs. Und der König geht vor allem, und heut iſt ſein Ge¬ burtstag. Denkt Euch, als wir ausgeſtiegen waren, wollte ſie die Kutſche zurückſchicken, um Euch holen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/214
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/214>, abgerufen am 27.11.2024.