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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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Brief erhalten haben, sonst wäre er nicht verloren
gegangen. Ich mußte auf der Stelle zurück. Da
standen schon die Pedelle, vom Rector geschickt, und
brachten mich auf die Post, und der Herr Postver¬
walter hatte mir einen Platz bestellt, neben dem Schir¬
meister, daß er auf mich Acht habe. Und als ich
nun ins älterliche Haus kam! Meine arme Mutter
in Thränen und meine Schwestern! Acht Tage ward
ich in eine Kammer gesperrt, fast bei Wasser und
Brod und mußte die Psalmen auswendig lernen.
Aber das war noch gar nichts dagegen, wie mein
Vater mir da am achten Tage selbst die Thür öffnete,
und mich so mit unterschlagenen Armen ansah, ein
Blick, daß mir das Herz im Leibe zu Stein ward,
und mir ankündigte, daß es nun mit meinem Stu¬
diren aus sei. Nun versuche, Du ungerathener Sohn,
sprach er, ob Du durch dein ferneres Leben es wie¬
der gut machen kannst, daß Du Deines Vaters
Schweiß und Deiner Mutter und Schwester saure
Händearbeit zu solchen Extravaganzen vergeudet hast.
Der Bauerwagen stand vor der Thür, der mich in
eine kleine Stadt brachte, wo ich als unterster
Schreiber in einer Packkammer meine neue Carriere
anfangen mußte. Sehn Sie, das kostet mich Leipzig!"

Die Kriegsräthin war erstaunt, aber nicht ganz
unzufrieden, daß ihr Mann durch die Obristin zu
solchen vertraulichen Mittheilungen sich hinreißen ließ.
Diese machte ihm ein Compliment: "wer weiß,
wozu es gut gewesen. Die Studirten kämen oft

Brief erhalten haben, ſonſt wäre er nicht verloren
gegangen. Ich mußte auf der Stelle zurück. Da
ſtanden ſchon die Pedelle, vom Rector geſchickt, und
brachten mich auf die Poſt, und der Herr Poſtver¬
walter hatte mir einen Platz beſtellt, neben dem Schir¬
meiſter, daß er auf mich Acht habe. Und als ich
nun ins älterliche Haus kam! Meine arme Mutter
in Thränen und meine Schweſtern! Acht Tage ward
ich in eine Kammer geſperrt, faſt bei Waſſer und
Brod und mußte die Pſalmen auswendig lernen.
Aber das war noch gar nichts dagegen, wie mein
Vater mir da am achten Tage ſelbſt die Thür öffnete,
und mich ſo mit unterſchlagenen Armen anſah, ein
Blick, daß mir das Herz im Leibe zu Stein ward,
und mir ankündigte, daß es nun mit meinem Stu¬
diren aus ſei. Nun verſuche, Du ungerathener Sohn,
ſprach er, ob Du durch dein ferneres Leben es wie¬
der gut machen kannſt, daß Du Deines Vaters
Schweiß und Deiner Mutter und Schweſter ſaure
Händearbeit zu ſolchen Extravaganzen vergeudet haſt.
Der Bauerwagen ſtand vor der Thür, der mich in
eine kleine Stadt brachte, wo ich als unterſter
Schreiber in einer Packkammer meine neue Carriere
anfangen mußte. Sehn Sie, das koſtet mich Leipzig!“

Die Kriegsräthin war erſtaunt, aber nicht ganz
unzufrieden, daß ihr Mann durch die Obriſtin zu
ſolchen vertraulichen Mittheilungen ſich hinreißen ließ.
Dieſe machte ihm ein Compliment: „wer weiß,
wozu es gut geweſen. Die Studirten kämen oft

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[187/0201] Brief erhalten haben, ſonſt wäre er nicht verloren gegangen. Ich mußte auf der Stelle zurück. Da ſtanden ſchon die Pedelle, vom Rector geſchickt, und brachten mich auf die Poſt, und der Herr Poſtver¬ walter hatte mir einen Platz beſtellt, neben dem Schir¬ meiſter, daß er auf mich Acht habe. Und als ich nun ins älterliche Haus kam! Meine arme Mutter in Thränen und meine Schweſtern! Acht Tage ward ich in eine Kammer geſperrt, faſt bei Waſſer und Brod und mußte die Pſalmen auswendig lernen. Aber das war noch gar nichts dagegen, wie mein Vater mir da am achten Tage ſelbſt die Thür öffnete, und mich ſo mit unterſchlagenen Armen anſah, ein Blick, daß mir das Herz im Leibe zu Stein ward, und mir ankündigte, daß es nun mit meinem Stu¬ diren aus ſei. Nun verſuche, Du ungerathener Sohn, ſprach er, ob Du durch dein ferneres Leben es wie¬ der gut machen kannſt, daß Du Deines Vaters Schweiß und Deiner Mutter und Schweſter ſaure Händearbeit zu ſolchen Extravaganzen vergeudet haſt. Der Bauerwagen ſtand vor der Thür, der mich in eine kleine Stadt brachte, wo ich als unterſter Schreiber in einer Packkammer meine neue Carriere anfangen mußte. Sehn Sie, das koſtet mich Leipzig!“ Die Kriegsräthin war erſtaunt, aber nicht ganz unzufrieden, daß ihr Mann durch die Obriſtin zu ſolchen vertraulichen Mittheilungen ſich hinreißen ließ. Dieſe machte ihm ein Compliment: „wer weiß, wozu es gut geweſen. Die Studirten kämen oft

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/201>, abgerufen am 24.11.2024.