"I Herr Jesus, wer redt denn auch gegen sie! Aber den Blick vergeß ich nicht, auf ihrem Todtenbett, wie die selige Frau zurückschauerte: Ach wie sieht sie die Kinder an! sagten Sie, nämlich die Frau Geheim¬ räthin auf dem Todtenbett. Und so riß Sie die Kinder an sich und dann sagten Sie: Ach sie hat so spitze Finger!"
"Das waren Visionen, sie war im hitzigen Fieber."
"Aber die Frau Geheimräthin Schwägerin ver¬ kniffte ordentlich den Mund und sagten: Mein Gott, als ob ich mich um die Bälger risse! Und dann sagte die Sterbende, und da war sie nicht mehr im Fieber: die Charlotte, die hat wenigstens ein wei¬ ches Herz! -- Und da hatte die Selige recht, und ich habe die Kinder lieb gehabt, als wenn's meine eignen wären, und wenn's nicht die Kinder wären, i da wäre ich ja schon längst aus dem Hause, wo man so mit mir umgeht."
Dem Geheimerath schien unangenehm zu Muthe zu werden, da Charlotte in einen Thränenstrom aus¬ brach, der nicht mehr zu stillen schien.
"Es war auch nicht so gemeint, sagte er endlich, -- Sie soll ja nicht auf der Stelle fort, -- ich meinte nur --"
"Es werden sich schon Andre finden, -- o das weiß ich, -- ich weiß auch wer. Und wenn die Selige das von oben sieht, wie die Schwägerin mit ihren spitzen Fingern die Kleinen liebkost, dann wird
„I Herr Jeſus, wer redt denn auch gegen ſie! Aber den Blick vergeß ich nicht, auf ihrem Todtenbett, wie die ſelige Frau zurückſchauerte: Ach wie ſieht ſie die Kinder an! ſagten Sie, nämlich die Frau Geheim¬ räthin auf dem Todtenbett. Und ſo riß Sie die Kinder an ſich und dann ſagten Sie: Ach ſie hat ſo ſpitze Finger!“
„Das waren Viſionen, ſie war im hitzigen Fieber.“
„Aber die Frau Geheimräthin Schwägerin ver¬ kniffte ordentlich den Mund und ſagten: Mein Gott, als ob ich mich um die Bälger riſſe! Und dann ſagte die Sterbende, und da war ſie nicht mehr im Fieber: die Charlotte, die hat wenigſtens ein wei¬ ches Herz! — Und da hatte die Selige recht, und ich habe die Kinder lieb gehabt, als wenn's meine eignen wären, und wenn's nicht die Kinder wären, i da wäre ich ja ſchon längſt aus dem Hauſe, wo man ſo mit mir umgeht.“
Dem Geheimerath ſchien unangenehm zu Muthe zu werden, da Charlotte in einen Thränenſtrom aus¬ brach, der nicht mehr zu ſtillen ſchien.
„Es war auch nicht ſo gemeint, ſagte er endlich, — Sie ſoll ja nicht auf der Stelle fort, — ich meinte nur —“
„Es werden ſich ſchon Andre finden, — o das weiß ich, — ich weiß auch wer. Und wenn die Selige das von oben ſieht, wie die Schwägerin mit ihren ſpitzen Fingern die Kleinen liebkoſt, dann wird
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„I Herr Jeſus, wer redt denn auch gegen ſie! Aber
den Blick vergeß ich nicht, auf ihrem Todtenbett, wie
die ſelige Frau zurückſchauerte: Ach wie ſieht ſie die
Kinder an! ſagten Sie, nämlich die Frau Geheim¬
räthin auf dem Todtenbett. Und ſo riß Sie die
Kinder an ſich und dann ſagten Sie: Ach ſie hat ſo
ſpitze Finger!“
„Das waren Viſionen, ſie war im hitzigen
Fieber.“
„Aber die Frau Geheimräthin Schwägerin ver¬
kniffte ordentlich den Mund und ſagten: Mein Gott,
als ob ich mich um die Bälger riſſe! Und dann
ſagte die Sterbende, und da war ſie nicht mehr im
Fieber: die Charlotte, die hat wenigſtens ein wei¬
ches Herz! — Und da hatte die Selige recht, und
ich habe die Kinder lieb gehabt, als wenn's meine
eignen wären, und wenn's nicht die Kinder wären,
i da wäre ich ja ſchon längſt aus dem Hauſe, wo
man ſo mit mir umgeht.“
Dem Geheimerath ſchien unangenehm zu Muthe
zu werden, da Charlotte in einen Thränenſtrom aus¬
brach, der nicht mehr zu ſtillen ſchien.
„Es war auch nicht ſo gemeint, ſagte er endlich,
— Sie ſoll ja nicht auf der Stelle fort, — ich meinte
nur —“
„Es werden ſich ſchon Andre finden, — o das
weiß ich, — ich weiß auch wer. Und wenn die
Selige das von oben ſieht, wie die Schwägerin mit
ihren ſpitzen Fingern die Kleinen liebkoſt, dann wird
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/19>, abgerufen am 22.11.2024.
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