agen! Die kurzen Röckchen, das paßt doch wirklich nicht mehr."
Nach einer kurzen Pause sagte der Vater: "Soll andere Kleider bekommen, hab's schon in meinem Etat mir zurecht gelegt."
In solcher nachgiebigen Laune war er seit Jahren nicht gewesen. Ein Eisen muß man schmieden so lange es heiß ist.
"Sie spricht auch noch manchmal wie ein Kind."
"Ist Dir das wieder nicht recht? Soll ich das auch anders machen."
"Du nicht, Alter, nein, aber die Erziehung. Die Nähschule und die andre, nun ja so lange ging es, aber wir sind doch nun was andres. Das Bis¬ chen französisch, das ist ja gar nichts. Sieh mal des Inspectors Töchter, die über uns wohnen, wie parliren die schon! Und wovon sprechen sie nicht wenn sie in Gesellschaft sind, von römischer Geschichte und Bonaparte und Afrika, und von dem Dichter Schiller wissen Dir die Tischlertöchter drüben ganze Gedichte auswendig. Mir ist da oft zu Muthe, als müßte ich mich verkriechen, weil ich davon nichts gelernt. Nun ich bin eine alte Frau, oder werde's doch werden, aber um die Adelheid thut's mir oft in der Seele weh, wenn sie so gar nicht mitsprechen kann. Nicht einmal einen Roman hat sie gelesen und ein einziges Mal ist sie in der Komödie gewesen. Gott sei Dank sie hat Mutter-Witz, daß sie's ihnen geben kann, und darum behält sie Respect. Aber, lieber Mann, fran¬
agen! Die kurzen Röckchen, das paßt doch wirklich nicht mehr.“
Nach einer kurzen Pauſe ſagte der Vater: „Soll andere Kleider bekommen, hab's ſchon in meinem Etat mir zurecht gelegt.“
In ſolcher nachgiebigen Laune war er ſeit Jahren nicht geweſen. Ein Eiſen muß man ſchmieden ſo lange es heiß iſt.
„Sie ſpricht auch noch manchmal wie ein Kind.“
„Iſt Dir das wieder nicht recht? Soll ich das auch anders machen.“
„Du nicht, Alter, nein, aber die Erziehung. Die Nähſchule und die andre, nun ja ſo lange ging es, aber wir ſind doch nun was andres. Das Bis¬ chen franzöſiſch, das iſt ja gar nichts. Sieh mal des Inſpectors Töchter, die über uns wohnen, wie parliren die ſchon! Und wovon ſprechen ſie nicht wenn ſie in Geſellſchaft ſind, von römiſcher Geſchichte und Bonaparte und Afrika, und von dem Dichter Schiller wiſſen Dir die Tiſchlertöchter drüben ganze Gedichte auswendig. Mir iſt da oft zu Muthe, als müßte ich mich verkriechen, weil ich davon nichts gelernt. Nun ich bin eine alte Frau, oder werde's doch werden, aber um die Adelheid thut's mir oft in der Seele weh, wenn ſie ſo gar nicht mitſprechen kann. Nicht einmal einen Roman hat ſie geleſen und ein einziges Mal iſt ſie in der Komödie geweſen. Gott ſei Dank ſie hat Mutter-Witz, daß ſie's ihnen geben kann, und darum behält ſie Reſpect. Aber, lieber Mann, fran¬
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agen! Die kurzen Röckchen, das paßt doch wirklich
nicht mehr.“
Nach einer kurzen Pauſe ſagte der Vater: „Soll
andere Kleider bekommen, hab's ſchon in meinem
Etat mir zurecht gelegt.“
In ſolcher nachgiebigen Laune war er ſeit Jahren
nicht geweſen. Ein Eiſen muß man ſchmieden ſo
lange es heiß iſt.
„Sie ſpricht auch noch manchmal wie ein Kind.“
„Iſt Dir das wieder nicht recht? Soll ich das
auch anders machen.“
„Du nicht, Alter, nein, aber die Erziehung.
Die Nähſchule und die andre, nun ja ſo lange ging
es, aber wir ſind doch nun was andres. Das Bis¬
chen franzöſiſch, das iſt ja gar nichts. Sieh mal
des Inſpectors Töchter, die über uns wohnen, wie
parliren die ſchon! Und wovon ſprechen ſie nicht wenn
ſie in Geſellſchaft ſind, von römiſcher Geſchichte und
Bonaparte und Afrika, und von dem Dichter Schiller
wiſſen Dir die Tiſchlertöchter drüben ganze Gedichte
auswendig. Mir iſt da oft zu Muthe, als müßte
ich mich verkriechen, weil ich davon nichts gelernt.
Nun ich bin eine alte Frau, oder werde's doch werden,
aber um die Adelheid thut's mir oft in der Seele
weh, wenn ſie ſo gar nicht mitſprechen kann. Nicht
einmal einen Roman hat ſie geleſen und ein einziges
Mal iſt ſie in der Komödie geweſen. Gott ſei Dank
ſie hat Mutter-Witz, daß ſie's ihnen geben kann, und
darum behält ſie Reſpect. Aber, lieber Mann, fran¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/142>, abgerufen am 07.05.2024.
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