Der Wirth senkte seinen Blick, und antwortete mit leiser Stimme: "Sie ist bestimmt, den Schleier zu ergreifen, und wünscht in stiller Betrachtung die Tage bis zu ihrer gelobten Einweihung zu verbringen."
Dazu faltete der Maire die Hände. Während der Hauptmann entgegnete: "Jeder nach seinem Ge- schmack" und leise ein "Freut euch des Lebens" an- stimmte, worin allmählich die Deutsche Tischgesellschaft einstimmte, schnitt er bedächtig die Käserinden in viele künstliche Theile, und es war, als ruhe in jedem Theil- chen eine schwere, räthselhafte Aufgabe, so emsig theilte er und theilte wieder.
Der Abend am Kaminfeuer verging heiter. Der Wein hatte die deutschen Gemüther aufgeräumt, und der Maire war ein angenehmer Gesellschafter, sobald er die steifern Förmlichkeiten ablegen zu dürfen glaubte. Martin Jblou de St. A*** war näher den sechzigern als den funfzigern, von starkem Körperbau, und, wie es bei'm ersten Anblick schien, von ungeschwächter Ge- sundheit, doch verrieth sein Gesicht die Stürme früher Leidenschaften. Er trug sich auf alt französische Weise, in einem gestickten weit ausgeschnittenen Rocke, langer Weste und Schnallenschuhen. Die Perüke, wie es schien gefärbte Augenbraunen, und die beständig auf der Erde, oder auf den gefalteten Händen ruhenden Augen verbargen die Kühnheit, welche wol zuweilen
Der Wirth ſenkte ſeinen Blick, und antwortete mit leiſer Stimme: „Sie iſt beſtimmt, den Schleier zu ergreifen, und wünſcht in ſtiller Betrachtung die Tage bis zu ihrer gelobten Einweihung zu verbringen.“
Dazu faltete der Maire die Hände. Während der Hauptmann entgegnete: „Jeder nach ſeinem Ge- ſchmack“ und leiſe ein „Freut euch des Lebens“ an- ſtimmte, worin allmählich die Deutſche Tiſchgeſellſchaft einſtimmte, ſchnitt er bedächtig die Käſerinden in viele künſtliche Theile, und es war, als ruhe in jedem Theil- chen eine ſchwere, räthſelhafte Aufgabe, ſo emſig theilte er und theilte wieder.
Der Abend am Kaminfeuer verging heiter. Der Wein hatte die deutſchen Gemüther aufgeräumt, und der Maire war ein angenehmer Geſellſchafter, ſobald er die ſteifern Förmlichkeiten ablegen zu dürfen glaubte. Martin Jblou de St. A*** war näher den ſechzigern als den funfzigern, von ſtarkem Körperbau, und, wie es bei’m erſten Anblick ſchien, von ungeſchwächter Ge- ſundheit, doch verrieth ſein Geſicht die Stürme früher Leidenſchaften. Er trug ſich auf alt franzöſiſche Weiſe, in einem geſtickten weit ausgeſchnittenen Rocke, langer Weſte und Schnallenſchuhen. Die Perüke, wie es ſchien gefärbte Augenbraunen, und die beſtändig auf der Erde, oder auf den gefalteten Händen ruhenden Augen verbargen die Kühnheit, welche wol zuweilen
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Der Wirth ſenkte ſeinen Blick, und antwortete
mit leiſer Stimme: „Sie iſt beſtimmt, den Schleier
zu ergreifen, und wünſcht in ſtiller Betrachtung die
Tage bis zu ihrer gelobten Einweihung zu verbringen.“
Dazu faltete der Maire die Hände. Während
der Hauptmann entgegnete: „Jeder nach ſeinem Ge-
ſchmack“ und leiſe ein „Freut euch des Lebens“ an-
ſtimmte, worin allmählich die Deutſche Tiſchgeſellſchaft
einſtimmte, ſchnitt er bedächtig die Käſerinden in viele
künſtliche Theile, und es war, als ruhe in jedem Theil-
chen eine ſchwere, räthſelhafte Aufgabe, ſo emſig theilte
er und theilte wieder.
Der Abend am Kaminfeuer verging heiter. Der
Wein hatte die deutſchen Gemüther aufgeräumt, und
der Maire war ein angenehmer Geſellſchafter, ſobald
er die ſteifern Förmlichkeiten ablegen zu dürfen glaubte.
Martin Jblou de St. A*** war näher den ſechzigern
als den funfzigern, von ſtarkem Körperbau, und, wie
es bei’m erſten Anblick ſchien, von ungeſchwächter Ge-
ſundheit, doch verrieth ſein Geſicht die Stürme früher
Leidenſchaften. Er trug ſich auf alt franzöſiſche Weiſe,
in einem geſtickten weit ausgeſchnittenen Rocke, langer
Weſte und Schnallenſchuhen. Die Perüke, wie es
ſchien gefärbte Augenbraunen, und die beſtändig auf
der Erde, oder auf den gefalteten Händen ruhenden
Augen verbargen die Kühnheit, welche wol zuweilen
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Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830/61>, abgerufen am 30.07.2024.
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