Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.Das Erste, das ihr nach langem Nachdenken und Studieren in der katholischen Religion widerstrebte, war die Lehre von der ewigen Verdammnis und das Dogma der Unfehlbarkeit. Sie zögerte nicht, das eine und das andere zu verwerfen. Was blieb denn Wahres? Dies wurde mehrere Jahre hindurch der Gegenstand des fortgesetzten Suchens, nach dem sie mit einem Eifer, mit einer geistigen Unruhe, die schwer zu schildern ist, forschte. Kritische, philosophische, moralische und metaphysische Schriften waren damals ihre Lieblingslektüre. Die Zeit verging unmerklich und mit einemmale war Manon in das Alter gekommen, wo die Freude zu gefallen, einen grossen Raum in der Vorstellung einnimmt. An der Stelle ihrer Memoiren, wo sie davon spricht, entwirft sie eine Schilderung ihres Aeusseren: "Mein Gesicht hatte nichts Auffallendes, als eine grosse Frische und viel Sanftheit im Ausdruck; wenn man jeden Zug eingehend betrachtet, fragt man sich, wo die Schönheit eigentlich steckt, kein einziger ist regelmässig, alle zusammen gefallen. Mein Mund ist etwas gross, man sieht tausend schönere, aber keiner von ihnen hat ein sanfteres und verführerischeres Lächeln. Das Auge hingegen ist nicht sehr gross und zeigt eine graublaue Farbe. Die Augen treten etwas hervor, der Blick ist offen, frei, lebhaft und milde; braune Augenbrauen, die in der Farbe den Haaren gleichen und gut gezeichnet sind. Die Augen wechseln in ihrem Ausdruck wie die liebevolle Seele, deren Regungen sie malen; sie setzen manchmal durch den Ernst und den Stolz in Erstaunen, aber sie schmeicheln häufiger und muntern auf. Die Nase verursacht mir einigen Kummer, ich finde sie etwas stark an der Spitze, indessen im Ensemble betrachtet, und besonders im Profil gesehen, verdirbt sie nicht das übrige. Eine breite offene Stirn, stark gewölbte Augenhöhlen, in der Mitte ein deutliches Y, von Adern gebildet, die bei der geringsten Erregung merklich hervortreten; sie ist dadurch von der Unbedeutendheit, die man an vielen anderen findet, verschont. Das Erste, das ihr nach langem Nachdenken und Studieren in der katholischen Religion widerstrebte, war die Lehre von der ewigen Verdammnis und das Dogma der Unfehlbarkeit. Sie zögerte nicht, das eine und das andere zu verwerfen. Was blieb denn Wahres? Dies wurde mehrere Jahre hindurch der Gegenstand des fortgesetzten Suchens, nach dem sie mit einem Eifer, mit einer geistigen Unruhe, die schwer zu schildern ist, forschte. Kritische, philosophische, moralische und metaphysische Schriften waren damals ihre Lieblingslektüre. Die Zeit verging unmerklich und mit einemmale war Manon in das Alter gekommen, wo die Freude zu gefallen, einen grossen Raum in der Vorstellung einnimmt. An der Stelle ihrer Memoiren, wo sie davon spricht, entwirft sie eine Schilderung ihres Aeusseren: „Mein Gesicht hatte nichts Auffallendes, als eine grosse Frische und viel Sanftheit im Ausdruck; wenn man jeden Zug eingehend betrachtet, fragt man sich, wo die Schönheit eigentlich steckt, kein einziger ist regelmässig, alle zusammen gefallen. Mein Mund ist etwas gross, man sieht tausend schönere, aber keiner von ihnen hat ein sanfteres und verführerischeres Lächeln. Das Auge hingegen ist nicht sehr gross und zeigt eine graublaue Farbe. Die Augen treten etwas hervor, der Blick ist offen, frei, lebhaft und milde; braune Augenbrauen, die in der Farbe den Haaren gleichen und gut gezeichnet sind. Die Augen wechseln in ihrem Ausdruck wie die liebevolle Seele, deren Regungen sie malen; sie setzen manchmal durch den Ernst und den Stolz in Erstaunen, aber sie schmeicheln häufiger und muntern auf. Die Nase verursacht mir einigen Kummer, ich finde sie etwas stark an der Spitze, indessen im Ensemble betrachtet, und besonders im Profil gesehen, verdirbt sie nicht das übrige. Eine breite offene Stirn, stark gewölbte Augenhöhlen, in der Mitte ein deutliches Y, von Adern gebildet, die bei der geringsten Erregung merklich hervortreten; sie ist dadurch von der Unbedeutendheit, die man an vielen anderen findet, verschont. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0090" n="71"/> <p> Das Erste, das ihr nach langem Nachdenken und Studieren in der katholischen Religion widerstrebte, war die Lehre von der ewigen Verdammnis und das Dogma der Unfehlbarkeit. Sie zögerte nicht, das eine und das andere zu verwerfen. Was blieb denn Wahres? Dies wurde mehrere Jahre hindurch der Gegenstand des fortgesetzten Suchens, nach dem sie mit einem Eifer, mit einer geistigen Unruhe, die schwer zu schildern ist, forschte. Kritische, philosophische, moralische und metaphysische Schriften waren damals ihre Lieblingslektüre.</p> <p>Die Zeit verging unmerklich und mit einemmale war Manon in das Alter gekommen, wo die Freude zu gefallen, einen grossen Raum in der Vorstellung einnimmt.</p> <p>An der Stelle ihrer Memoiren, wo sie davon spricht, entwirft sie eine Schilderung ihres Aeusseren: „Mein Gesicht hatte nichts Auffallendes, als eine grosse Frische und viel Sanftheit im Ausdruck; wenn man jeden Zug eingehend betrachtet, fragt man sich, wo die Schönheit eigentlich steckt, kein einziger ist regelmässig, alle zusammen gefallen. Mein Mund ist etwas gross, man sieht tausend schönere, aber keiner von ihnen hat ein sanfteres und verführerischeres Lächeln. Das Auge hingegen ist nicht sehr gross und zeigt eine graublaue Farbe. Die Augen treten etwas hervor, der Blick ist offen, frei, lebhaft und milde; braune Augenbrauen, die in der Farbe den Haaren gleichen und gut gezeichnet sind. Die Augen wechseln in ihrem Ausdruck wie die liebevolle Seele, deren Regungen sie malen; sie setzen manchmal durch den Ernst und den Stolz in Erstaunen, aber sie schmeicheln häufiger und muntern auf. Die Nase verursacht mir einigen Kummer, ich finde sie etwas stark an der Spitze, indessen im Ensemble betrachtet, und besonders im Profil gesehen, verdirbt sie nicht das übrige. Eine breite offene Stirn, stark gewölbte Augenhöhlen, in der Mitte ein deutliches Y, von Adern gebildet, die bei der geringsten Erregung merklich hervortreten; sie ist dadurch von der Unbedeutendheit, die man an vielen anderen findet, verschont. </p> </div> </body> </text> </TEI> [71/0090]
Das Erste, das ihr nach langem Nachdenken und Studieren in der katholischen Religion widerstrebte, war die Lehre von der ewigen Verdammnis und das Dogma der Unfehlbarkeit. Sie zögerte nicht, das eine und das andere zu verwerfen. Was blieb denn Wahres? Dies wurde mehrere Jahre hindurch der Gegenstand des fortgesetzten Suchens, nach dem sie mit einem Eifer, mit einer geistigen Unruhe, die schwer zu schildern ist, forschte. Kritische, philosophische, moralische und metaphysische Schriften waren damals ihre Lieblingslektüre.
Die Zeit verging unmerklich und mit einemmale war Manon in das Alter gekommen, wo die Freude zu gefallen, einen grossen Raum in der Vorstellung einnimmt.
An der Stelle ihrer Memoiren, wo sie davon spricht, entwirft sie eine Schilderung ihres Aeusseren: „Mein Gesicht hatte nichts Auffallendes, als eine grosse Frische und viel Sanftheit im Ausdruck; wenn man jeden Zug eingehend betrachtet, fragt man sich, wo die Schönheit eigentlich steckt, kein einziger ist regelmässig, alle zusammen gefallen. Mein Mund ist etwas gross, man sieht tausend schönere, aber keiner von ihnen hat ein sanfteres und verführerischeres Lächeln. Das Auge hingegen ist nicht sehr gross und zeigt eine graublaue Farbe. Die Augen treten etwas hervor, der Blick ist offen, frei, lebhaft und milde; braune Augenbrauen, die in der Farbe den Haaren gleichen und gut gezeichnet sind. Die Augen wechseln in ihrem Ausdruck wie die liebevolle Seele, deren Regungen sie malen; sie setzen manchmal durch den Ernst und den Stolz in Erstaunen, aber sie schmeicheln häufiger und muntern auf. Die Nase verursacht mir einigen Kummer, ich finde sie etwas stark an der Spitze, indessen im Ensemble betrachtet, und besonders im Profil gesehen, verdirbt sie nicht das übrige. Eine breite offene Stirn, stark gewölbte Augenhöhlen, in der Mitte ein deutliches Y, von Adern gebildet, die bei der geringsten Erregung merklich hervortreten; sie ist dadurch von der Unbedeutendheit, die man an vielen anderen findet, verschont.
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