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Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.

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mit mehr Vergnügen anhört, als das schönst gesungene ,Kyrie eleison' oder das ,Salvum fac regem.'" Man kann sich vorstellen, welchen Eindruck eine so lebhafte Rede und diese Mischung der aus Pindar und der heiligen Schrift entlehnten Bilder auf die Zuhörer machte, besonders da sie aus so schönem Munde kam. Ein stürmischer Applaus rauschte durch den Saal, als sie geendet hatte. Man beschloss, einen Aufruf zu verfassen und an die 59 Distrikte und die 83 Departements zu verschicken. Entsprechend dem Kirchenbeschluss von Nicaea, der besagt, dass auch Frauen Seele und Verstand wie die Männer haben, musste man sie ermutigen, einen eben solch guten Gebrauch davon zu machen wie die Vorrednerin!

Aber ihre Teilnahme an den öffentlichen Vorgängen hatte Theroigne nicht bloss Freunde, sondern noch mehr Feinde geschaffen. Schon auf der Galerie der Nationalversammlung war sie vielen Unannehmlichkeiten ausgesetzt, da den dort anwesenden Aristokraten ihr Eifer und ihre Aufrichtigkeit missfielen, sie stichelten und wussten ihr jeden Tag mit neuen Ungezogenheiten lästig zu fallen. Aber auch die eigenen Gesinnungsgenossen, die anstatt ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sie noch obendrein lächerlich machten, boten Grund zur Klage. Dazu kamen noch die ungerechten Verdächtigungen, sie sei an den Vorgängen des 5. und 6. Oktober schuld, man suchte sie mit der Drohung zu schrecken, man werde die Klage gegen sie erheben. Trotzdem sie sich völlig unschuldig wusste, dachte sie doch nicht ohne Angst an diese Möglichkeit, und erinnerte sich an all die schuldlos Verurteilten des Chatelet-Gefängnisses. Des einen war sie sich bewusst, sich durch ihr freimütiges Benehmen viele Feinde zugezogen zu haben. Dazu kam noch eines.

Theroigne hatte sich gewöhnt im Ueberfluss, ohne Berechnung, zu leben, so dass der Reichtum, der ihr von ihrem ehemaligen Bräutigam zugekommen war, mit der Zeit sehr zusammenschmolz. Sie sah ein, dass sie völlig

mit mehr Vergnügen anhört, als das schönst gesungene ‚Kyrie eleïson‘ oder das ‚Salvum fac regem.‘“ Man kann sich vorstellen, welchen Eindruck eine so lebhafte Rede und diese Mischung der aus Pindar und der heiligen Schrift entlehnten Bilder auf die Zuhörer machte, besonders da sie aus so schönem Munde kam. Ein stürmischer Applaus rauschte durch den Saal, als sie geendet hatte. Man beschloss, einen Aufruf zu verfassen und an die 59 Distrikte und die 83 Departements zu verschicken. Entsprechend dem Kirchenbeschluss von Nicaea, der besagt, dass auch Frauen Seele und Verstand wie die Männer haben, musste man sie ermutigen, einen eben solch guten Gebrauch davon zu machen wie die Vorrednerin!

Aber ihre Teilnahme an den öffentlichen Vorgängen hatte Théroigne nicht bloss Freunde, sondern noch mehr Feinde geschaffen. Schon auf der Galerie der Nationalversammlung war sie vielen Unannehmlichkeiten ausgesetzt, da den dort anwesenden Aristokraten ihr Eifer und ihre Aufrichtigkeit missfielen, sie stichelten und wussten ihr jeden Tag mit neuen Ungezogenheiten lästig zu fallen. Aber auch die eigenen Gesinnungsgenossen, die anstatt ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sie noch obendrein lächerlich machten, boten Grund zur Klage. Dazu kamen noch die ungerechten Verdächtigungen, sie sei an den Vorgängen des 5. und 6. Oktober schuld, man suchte sie mit der Drohung zu schrecken, man werde die Klage gegen sie erheben. Trotzdem sie sich völlig unschuldig wusste, dachte sie doch nicht ohne Angst an diese Möglichkeit, und erinnerte sich an all die schuldlos Verurteilten des Châtelet-Gefängnisses. Des einen war sie sich bewusst, sich durch ihr freimütiges Benehmen viele Feinde zugezogen zu haben. Dazu kam noch eines.

Théroigne hatte sich gewöhnt im Ueberfluss, ohne Berechnung, zu leben, so dass der Reichtum, der ihr von ihrem ehemaligen Bräutigam zugekommen war, mit der Zeit sehr zusammenschmolz. Sie sah ein, dass sie völlig

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[20/0037] mit mehr Vergnügen anhört, als das schönst gesungene ‚Kyrie eleïson‘ oder das ‚Salvum fac regem.‘“ Man kann sich vorstellen, welchen Eindruck eine so lebhafte Rede und diese Mischung der aus Pindar und der heiligen Schrift entlehnten Bilder auf die Zuhörer machte, besonders da sie aus so schönem Munde kam. Ein stürmischer Applaus rauschte durch den Saal, als sie geendet hatte. Man beschloss, einen Aufruf zu verfassen und an die 59 Distrikte und die 83 Departements zu verschicken. Entsprechend dem Kirchenbeschluss von Nicaea, der besagt, dass auch Frauen Seele und Verstand wie die Männer haben, musste man sie ermutigen, einen eben solch guten Gebrauch davon zu machen wie die Vorrednerin! Aber ihre Teilnahme an den öffentlichen Vorgängen hatte Théroigne nicht bloss Freunde, sondern noch mehr Feinde geschaffen. Schon auf der Galerie der Nationalversammlung war sie vielen Unannehmlichkeiten ausgesetzt, da den dort anwesenden Aristokraten ihr Eifer und ihre Aufrichtigkeit missfielen, sie stichelten und wussten ihr jeden Tag mit neuen Ungezogenheiten lästig zu fallen. Aber auch die eigenen Gesinnungsgenossen, die anstatt ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sie noch obendrein lächerlich machten, boten Grund zur Klage. Dazu kamen noch die ungerechten Verdächtigungen, sie sei an den Vorgängen des 5. und 6. Oktober schuld, man suchte sie mit der Drohung zu schrecken, man werde die Klage gegen sie erheben. Trotzdem sie sich völlig unschuldig wusste, dachte sie doch nicht ohne Angst an diese Möglichkeit, und erinnerte sich an all die schuldlos Verurteilten des Châtelet-Gefängnisses. Des einen war sie sich bewusst, sich durch ihr freimütiges Benehmen viele Feinde zugezogen zu haben. Dazu kam noch eines. Théroigne hatte sich gewöhnt im Ueberfluss, ohne Berechnung, zu leben, so dass der Reichtum, der ihr von ihrem ehemaligen Bräutigam zugekommen war, mit der Zeit sehr zusammenschmolz. Sie sah ein, dass sie völlig

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Zitationshilfe: Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906/37>, abgerufen am 29.03.2024.