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Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.

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Das angekündigte Paket traf pünktlich ein, das Pulver wurde chemisch untersucht, als völlig ungefährlich befunden, die Schriften verglichen, und von ein und derselben Hand stammend erkannt. Die Pompadour sah in all dem einen blutigen Hohn, ja ein Verbrechen, und gab die strengsten Befehle, Latude dingfest zu machen. Er sass ahnungslos in seiner Wohnung und malte sich eben alle möglichen herrlichen Situationen aus, in die er durch die mächtige Protektion der Pompadour gelangen würde, als man kam, um ihn zu verhaften und in die Bastille zu führen, die er erst nach 35 Jahren, dank der kühnen, hochherzigen Bemühungen einer ihm völlig fremden Frau verlassen sollte.

Dem nur durch seine Qualen abwechslungsreichen Leben, das er so lange ertragen musste, suchte sich Latude wiederholt durch die Flucht zu entziehen: immer vergebens! Das erstemal wäre ihm die Flucht beinahe gelungen. Mit ihm war gleichzeitig ein Priester interniert, namens Saint-Sauveur, ein sehr gütiger Mensch, der den andern durch seine Gespräche und seine Bücher die Haft zu erleichtern suchte. Und eines Tages, nach neun Monaten der Gefangenschaft, als der Wunsch nach Freiheit wieder mächtig in Latude erwachte, benützte er die allgemeine Beliebtheit des Priesters, um zu entspringen.

Latude wurde täglich für zwei Stunden in einen der Bastille-Gärten hinabgeführt; wenn der Kerkermeister kam, um ihn zu holen, eilte er schneller als dieser die Treppe hinab. An jenem Tage, da er seinen Fluchtversuch im Sinne hatte, sprang er die Treppe in rasendem Tempo hinab; anstatt sich zum Garten zu wenden, lief er auf die entgegengesetzte Seite zu einem verschlossenen Tore, das aus dem Turm führte. Er klopfte, worauf die Wache öffnete, er fragte sie nach dem Abbe Saint-Sauveur und behauptete, dass er ihm schon zwei Stunden nachrenne, da der Priester ihm versprochen hätte, im Garten zu warten. Während Latude diese erfundene Geschichte hersagte, rannte er weiter, die Wache erkannte nicht, dass er ein Sträfling sei,

Das angekündigte Paket traf pünktlich ein, das Pulver wurde chemisch untersucht, als völlig ungefährlich befunden, die Schriften verglichen, und von ein und derselben Hand stammend erkannt. Die Pompadour sah in all dem einen blutigen Hohn, ja ein Verbrechen, und gab die strengsten Befehle, Latude dingfest zu machen. Er sass ahnungslos in seiner Wohnung und malte sich eben alle möglichen herrlichen Situationen aus, in die er durch die mächtige Protektion der Pompadour gelangen würde, als man kam, um ihn zu verhaften und in die Bastille zu führen, die er erst nach 35 Jahren, dank der kühnen, hochherzigen Bemühungen einer ihm völlig fremden Frau verlassen sollte.

Dem nur durch seine Qualen abwechslungsreichen Leben, das er so lange ertragen musste, suchte sich Latude wiederholt durch die Flucht zu entziehen: immer vergebens! Das erstemal wäre ihm die Flucht beinahe gelungen. Mit ihm war gleichzeitig ein Priester interniert, namens Saint-Sauveur, ein sehr gütiger Mensch, der den andern durch seine Gespräche und seine Bücher die Haft zu erleichtern suchte. Und eines Tages, nach neun Monaten der Gefangenschaft, als der Wunsch nach Freiheit wieder mächtig in Latude erwachte, benützte er die allgemeine Beliebtheit des Priesters, um zu entspringen.

Latude wurde täglich für zwei Stunden in einen der Bastille-Gärten hinabgeführt; wenn der Kerkermeister kam, um ihn zu holen, eilte er schneller als dieser die Treppe hinab. An jenem Tage, da er seinen Fluchtversuch im Sinne hatte, sprang er die Treppe in rasendem Tempo hinab; anstatt sich zum Garten zu wenden, lief er auf die entgegengesetzte Seite zu einem verschlossenen Tore, das aus dem Turm führte. Er klopfte, worauf die Wache öffnete, er fragte sie nach dem Abbé Saint-Sauveur und behauptete, dass er ihm schon zwei Stunden nachrenne, da der Priester ihm versprochen hätte, im Garten zu warten. Während Latude diese erfundene Geschichte hersagte, rannte er weiter, die Wache erkannte nicht, dass er ein Sträfling sei,

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[3/0019] Das angekündigte Paket traf pünktlich ein, das Pulver wurde chemisch untersucht, als völlig ungefährlich befunden, die Schriften verglichen, und von ein und derselben Hand stammend erkannt. Die Pompadour sah in all dem einen blutigen Hohn, ja ein Verbrechen, und gab die strengsten Befehle, Latude dingfest zu machen. Er sass ahnungslos in seiner Wohnung und malte sich eben alle möglichen herrlichen Situationen aus, in die er durch die mächtige Protektion der Pompadour gelangen würde, als man kam, um ihn zu verhaften und in die Bastille zu führen, die er erst nach 35 Jahren, dank der kühnen, hochherzigen Bemühungen einer ihm völlig fremden Frau verlassen sollte. Dem nur durch seine Qualen abwechslungsreichen Leben, das er so lange ertragen musste, suchte sich Latude wiederholt durch die Flucht zu entziehen: immer vergebens! Das erstemal wäre ihm die Flucht beinahe gelungen. Mit ihm war gleichzeitig ein Priester interniert, namens Saint-Sauveur, ein sehr gütiger Mensch, der den andern durch seine Gespräche und seine Bücher die Haft zu erleichtern suchte. Und eines Tages, nach neun Monaten der Gefangenschaft, als der Wunsch nach Freiheit wieder mächtig in Latude erwachte, benützte er die allgemeine Beliebtheit des Priesters, um zu entspringen. Latude wurde täglich für zwei Stunden in einen der Bastille-Gärten hinabgeführt; wenn der Kerkermeister kam, um ihn zu holen, eilte er schneller als dieser die Treppe hinab. An jenem Tage, da er seinen Fluchtversuch im Sinne hatte, sprang er die Treppe in rasendem Tempo hinab; anstatt sich zum Garten zu wenden, lief er auf die entgegengesetzte Seite zu einem verschlossenen Tore, das aus dem Turm führte. Er klopfte, worauf die Wache öffnete, er fragte sie nach dem Abbé Saint-Sauveur und behauptete, dass er ihm schon zwei Stunden nachrenne, da der Priester ihm versprochen hätte, im Garten zu warten. Während Latude diese erfundene Geschichte hersagte, rannte er weiter, die Wache erkannte nicht, dass er ein Sträfling sei,

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Zitationshilfe: Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906/19>, abgerufen am 19.04.2024.