Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.und so kam es, dass Manon nun allein stand: "In einer Ehe, wo die Ehegatten nicht zusammenpassen, kann die Tugend des einen von beiden den Schein und den Frieden aufrechterhalten, aber der Mangel an Glück macht sich früher oder später geltend und führt mehr oder minder ernste Uebelstände herbei. Das Gerüst dieser Verbindungen ähnelt unserem politischen Staatssystem, es fehlt an der Grundlage, es muss eines Tages zusammenbrechen, trotz der in der Konstruktion angewandten Kunst." Alles ging gut in der Ehe von Manons Eltern, so lange die Frau jung war und Herr Phlipon in seinem Hause die Arbeit und die Freuden fand, die ihm entsprachen. Er war jedoch ein Jahr jünger als seine Frau und überdies begann sie frühzeitig zu kränkeln; er selbst verlor durch allerlei Ideen und Ablenkungen die Freude an seinem Berufe. Bald nach dem Trauerjahr nahm er sich eine Maitresse, um seiner Tochter keine Stiefmutter zu geben. Er begann zu spielen, um seine Verluste wieder wett zu machen. So kam es, dass er sich sachte zugrunde richtete. Manon sah, wie ihr von der Mutter vermachtes Erbe in der Hand des Vaters zerrann, aber sie hätte es unschicklich gefunden, ein Aufhebens davon zu machen, sie schwieg und fügte sich. Nun war sie meist allein in ihrer Behausung, zwischen den kleinen häuslichen Arbeiten und ihren Studien eingeschlossen, aber von beiden Beschäftigungen wurde sie häufig abberufen, um in Abwesenheit des Vaters Auskünfte zu erteilen. Ihre Studien wurden ihr teurer denn je, sie bildeten ihren Trost. Noch mehr als zuvor auf sich selbst angewiesen und häufig melancholisch gestimmt, fühlte sie das Bedürfnis zu schreiben. Sie liebte es, sich von ihren Gedanken Rechenschaft zu geben, ihre Feder half ihr, sich Klarheit zu verschaffen. Diese Aufsätze häuften sich immer mehr, sie gab ihnen einen Titel: "Werke der Musse und vermischte Betrachtungen". Niemals hatte sie auch nur den entferntesten Wunsch, Schriftstellerin zu werden; sie fand, und so kam es, dass Manon nun allein stand: „In einer Ehe, wo die Ehegatten nicht zusammenpassen, kann die Tugend des einen von beiden den Schein und den Frieden aufrechterhalten, aber der Mangel an Glück macht sich früher oder später geltend und führt mehr oder minder ernste Uebelstände herbei. Das Gerüst dieser Verbindungen ähnelt unserem politischen Staatssystem, es fehlt an der Grundlage, es muss eines Tages zusammenbrechen, trotz der in der Konstruktion angewandten Kunst.“ Alles ging gut in der Ehe von Manons Eltern, so lange die Frau jung war und Herr Phlipon in seinem Hause die Arbeit und die Freuden fand, die ihm entsprachen. Er war jedoch ein Jahr jünger als seine Frau und überdies begann sie frühzeitig zu kränkeln; er selbst verlor durch allerlei Ideen und Ablenkungen die Freude an seinem Berufe. Bald nach dem Trauerjahr nahm er sich eine Maitresse, um seiner Tochter keine Stiefmutter zu geben. Er begann zu spielen, um seine Verluste wieder wett zu machen. So kam es, dass er sich sachte zugrunde richtete. Manon sah, wie ihr von der Mutter vermachtes Erbe in der Hand des Vaters zerrann, aber sie hätte es unschicklich gefunden, ein Aufhebens davon zu machen, sie schwieg und fügte sich. Nun war sie meist allein in ihrer Behausung, zwischen den kleinen häuslichen Arbeiten und ihren Studien eingeschlossen, aber von beiden Beschäftigungen wurde sie häufig abberufen, um in Abwesenheit des Vaters Auskünfte zu erteilen. Ihre Studien wurden ihr teurer denn je, sie bildeten ihren Trost. Noch mehr als zuvor auf sich selbst angewiesen und häufig melancholisch gestimmt, fühlte sie das Bedürfnis zu schreiben. Sie liebte es, sich von ihren Gedanken Rechenschaft zu geben, ihre Feder half ihr, sich Klarheit zu verschaffen. Diese Aufsätze häuften sich immer mehr, sie gab ihnen einen Titel: „Werke der Musse und vermischte Betrachtungen“. Niemals hatte sie auch nur den entferntesten Wunsch, Schriftstellerin zu werden; sie fand, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0103" n="84"/> und so kam es, dass Manon nun allein stand: „In einer Ehe, wo die Ehegatten nicht zusammenpassen, kann die Tugend des einen von beiden den Schein und den Frieden aufrechterhalten, aber der Mangel an Glück macht sich früher oder später geltend und führt mehr oder minder ernste Uebelstände herbei. Das Gerüst dieser Verbindungen ähnelt unserem politischen Staatssystem, es fehlt an der Grundlage, es muss eines Tages zusammenbrechen, trotz der in der Konstruktion angewandten Kunst.“</p> <p>Alles ging gut in der Ehe von Manons Eltern, so lange die Frau jung war und Herr Phlipon in seinem Hause die Arbeit und die Freuden fand, die ihm entsprachen. Er war jedoch ein Jahr jünger als seine Frau und überdies begann sie frühzeitig zu kränkeln; er selbst verlor durch allerlei Ideen und Ablenkungen die Freude an seinem Berufe. Bald nach dem Trauerjahr nahm er sich eine Maitresse, um seiner Tochter keine Stiefmutter zu geben. Er begann zu spielen, um seine Verluste wieder wett zu machen. So kam es, dass er sich sachte zugrunde richtete. Manon sah, wie ihr von der Mutter vermachtes Erbe in der Hand des Vaters zerrann, aber sie hätte es unschicklich gefunden, ein Aufhebens davon zu machen, sie schwieg und fügte sich.</p> <p>Nun war sie meist allein in ihrer Behausung, zwischen den kleinen häuslichen Arbeiten und ihren Studien eingeschlossen, aber von beiden Beschäftigungen wurde sie häufig abberufen, um in Abwesenheit des Vaters Auskünfte zu erteilen.</p> <p>Ihre Studien wurden ihr teurer denn je, sie bildeten ihren Trost. Noch mehr als zuvor auf sich selbst angewiesen und häufig melancholisch gestimmt, fühlte sie das Bedürfnis zu schreiben. Sie liebte es, sich von ihren Gedanken Rechenschaft zu geben, ihre Feder half ihr, sich Klarheit zu verschaffen. Diese Aufsätze häuften sich immer mehr, sie gab ihnen einen Titel: „Werke der Musse und vermischte Betrachtungen“. Niemals hatte sie auch nur den entferntesten Wunsch, Schriftstellerin zu werden; sie fand, </p> </div> </body> </text> </TEI> [84/0103]
und so kam es, dass Manon nun allein stand: „In einer Ehe, wo die Ehegatten nicht zusammenpassen, kann die Tugend des einen von beiden den Schein und den Frieden aufrechterhalten, aber der Mangel an Glück macht sich früher oder später geltend und führt mehr oder minder ernste Uebelstände herbei. Das Gerüst dieser Verbindungen ähnelt unserem politischen Staatssystem, es fehlt an der Grundlage, es muss eines Tages zusammenbrechen, trotz der in der Konstruktion angewandten Kunst.“
Alles ging gut in der Ehe von Manons Eltern, so lange die Frau jung war und Herr Phlipon in seinem Hause die Arbeit und die Freuden fand, die ihm entsprachen. Er war jedoch ein Jahr jünger als seine Frau und überdies begann sie frühzeitig zu kränkeln; er selbst verlor durch allerlei Ideen und Ablenkungen die Freude an seinem Berufe. Bald nach dem Trauerjahr nahm er sich eine Maitresse, um seiner Tochter keine Stiefmutter zu geben. Er begann zu spielen, um seine Verluste wieder wett zu machen. So kam es, dass er sich sachte zugrunde richtete. Manon sah, wie ihr von der Mutter vermachtes Erbe in der Hand des Vaters zerrann, aber sie hätte es unschicklich gefunden, ein Aufhebens davon zu machen, sie schwieg und fügte sich.
Nun war sie meist allein in ihrer Behausung, zwischen den kleinen häuslichen Arbeiten und ihren Studien eingeschlossen, aber von beiden Beschäftigungen wurde sie häufig abberufen, um in Abwesenheit des Vaters Auskünfte zu erteilen.
Ihre Studien wurden ihr teurer denn je, sie bildeten ihren Trost. Noch mehr als zuvor auf sich selbst angewiesen und häufig melancholisch gestimmt, fühlte sie das Bedürfnis zu schreiben. Sie liebte es, sich von ihren Gedanken Rechenschaft zu geben, ihre Feder half ihr, sich Klarheit zu verschaffen. Diese Aufsätze häuften sich immer mehr, sie gab ihnen einen Titel: „Werke der Musse und vermischte Betrachtungen“. Niemals hatte sie auch nur den entferntesten Wunsch, Schriftstellerin zu werden; sie fand,
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