Abschatz, Hans Assmann von: Poetische Ubersetzungen und Gedichte. Leipzig, 1704.Himmel-Schlüssel. Bald kleidet sich sein Herbst mit braunen Früchten an/Gab was uns sättigen/ gab was uns träncken kan. Nun ist sein frostig Haubt voll Runtzeln und beschneyt: So eilends ändert sich auch unser Stand und Zeit! Der Jugend Blütte geht/ den Blumen gleich/ vorbey/ Der Mannschafft Sommer fühlt/ was Kummers Hitze sey/ Wenn sich der Jahre Herbst will schicken zum Genuß/ Erstarrt der Glieder Eiß/ und folgt des Lebens Schluß. Marini. Der unglückselge Mensch kan kaum die Welt begrüssen/Daß nicht ein Thränen-Fluß/ eh das noch schwache Licht Den hellen Tag erkennt/ aus seinen Augen bricht: Wird frey und lässet sich in neue Bande schlüssen. Ist er der zarten Milch und ersten Speiß entrissen/ So fässelt seinen Mutt der Zucht gezwungne Pflicht/ Befreyet ihn die Zeit/ wie muß sein Hertze nicht Sich lebend offt und tod von Glück und Liebe wissen! Was hat er denn für Sorg' und Kummer auszustehn/ Was muß ihm nicht für Schmertz und Leid zu handen gehn/ Biß er gebückt und matt ergreifft den schwachen Stab. Zulezt entflieht der Geist/ der Leib wird hingetragen/ So plötzlich/ daß ich muß mit tieffem Seuffzen sagen: Wie nahe grentzen doch die Wieg' und unser Grab. Eitelkeit der schnöden Welt/ die von aussen süsse schmeckt/ Unter Zeitvertreib und Lust Zeitverderb und Reue deckt! Die leichte Stunde fliegt darvon/ Indem man hört der Glocke Thon. Sterb-
Himmel-Schluͤſſel. Bald kleidet ſich ſein Herbſt mit braunen Fruͤchten an/Gab was uns ſaͤttigen/ gab was uns traͤncken kan. Nun iſt ſein froſtig Haubt voll Runtzeln und beſchneyt: So eilends aͤndert ſich auch unſer Stand und Zeit! Der Jugend Bluͤtte geht/ den Blumen gleich/ vorbey/ Der Mannſchafft Sommer fuͤhlt/ was Kummers Hitze ſey/ Wenn ſich der Jahre Herbſt will ſchicken zum Genuß/ Erſtarrt der Glieder Eiß/ und folgt des Lebens Schluß. Marini. Der ungluͤckſelge Menſch kan kaum die Welt begruͤſſen/Daß nicht ein Thraͤnen-Fluß/ eh das noch ſchwache Licht Den hellen Tag erkennt/ aus ſeinen Augen bricht: Wird frey und laͤſſet ſich in neue Bande ſchluͤſſen. Iſt er der zarten Milch und erſten Speiß entriſſen/ So faͤſſelt ſeinen Mutt der Zucht gezwungne Pflicht/ Befreyet ihn die Zeit/ wie muß ſein Hertze nicht Sich lebend offt und tod von Gluͤck und Liebe wiſſen! Was hat er denn fuͤr Sorg’ und Kummer auszuſtehn/ Was muß ihm nicht fuͤr Schmertz und Leid zu handen gehn/ Biß er gebuͤckt und matt ergreifft den ſchwachen Stab. Zulezt entflieht der Geiſt/ der Leib wird hingetragen/ So ploͤtzlich/ daß ich muß mit tieffem Seuffzen ſagen: Wie nahe grentzen doch die Wieg’ und unſer Grab. Eitelkeit der ſchnoͤden Welt/ die von auſſen ſuͤſſe ſchmeckt/ Unter Zeitvertreib und Luſt Zeitverderb und Reue deckt! Die leichte Stunde fliegt darvon/ Indem man hoͤrt der Glocke Thon. Sterb-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0524" n="104"/> <fw place="top" type="header">Himmel-Schluͤſſel.</fw><lb/> <l>Bald kleidet ſich ſein Herbſt mit braunen Fruͤchten an/</l><lb/> <l>Gab was uns ſaͤttigen/ gab was uns traͤncken kan.</l><lb/> <l>Nun iſt ſein froſtig Haubt voll Runtzeln und beſchneyt:</l><lb/> <l>So eilends aͤndert ſich auch unſer Stand und Zeit!</l><lb/> <l>Der Jugend Bluͤtte geht/ den Blumen gleich/ vorbey/</l><lb/> <l>Der Mannſchafft Sommer fuͤhlt/ was Kummers Hitze ſey/</l><lb/> <l>Wenn ſich der Jahre Herbſt will ſchicken zum Genuß/</l><lb/> <l>Erſtarrt der Glieder Eiß/ und folgt des Lebens Schluß.</l> </lg><lb/> <lg type="poem"> <head> <hi rendition="#aq">Marini.</hi> </head><lb/> <l><hi rendition="#in">D</hi>er ungluͤckſelge Menſch kan kaum die Welt begruͤſſen/</l><lb/> <l>Daß nicht ein Thraͤnen-Fluß/ eh das noch ſchwache</l><lb/> <l> <hi rendition="#c">Licht</hi> </l><lb/> <l>Den hellen Tag erkennt/ aus ſeinen Augen bricht:</l><lb/> <l>Wird frey und laͤſſet ſich in neue Bande ſchluͤſſen.</l><lb/> <l>Iſt er der zarten Milch und erſten Speiß entriſſen/</l><lb/> <l>So faͤſſelt ſeinen Mutt der Zucht gezwungne Pflicht/</l><lb/> <l>Befreyet ihn die Zeit/ wie muß ſein Hertze nicht</l><lb/> <l>Sich lebend offt und tod von Gluͤck und Liebe wiſſen!</l><lb/> <l>Was hat er denn fuͤr Sorg’ und Kummer auszuſtehn/</l><lb/> <l>Was muß ihm nicht fuͤr Schmertz und Leid zu handen gehn/</l><lb/> <l>Biß er gebuͤckt und matt ergreifft den ſchwachen Stab.</l><lb/> <l>Zulezt entflieht der Geiſt/ der Leib wird hingetragen/</l><lb/> <l>So ploͤtzlich/ daß ich muß mit tieffem Seuffzen ſagen:</l><lb/> <l>Wie nahe grentzen doch die Wieg’ und unſer Grab.</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">E</hi>itelkeit der ſchnoͤden Welt/ die von auſſen ſuͤſſe ſchmeckt/</l><lb/> <l>Unter Zeitvertreib und Luſt Zeitverderb und Reue deckt!</l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">D</hi>ie leichte Stunde fliegt darvon/</l><lb/> <l>Indem man hoͤrt der Glocke Thon.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Sterb-</fw><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [104/0524]
Himmel-Schluͤſſel.
Bald kleidet ſich ſein Herbſt mit braunen Fruͤchten an/
Gab was uns ſaͤttigen/ gab was uns traͤncken kan.
Nun iſt ſein froſtig Haubt voll Runtzeln und beſchneyt:
So eilends aͤndert ſich auch unſer Stand und Zeit!
Der Jugend Bluͤtte geht/ den Blumen gleich/ vorbey/
Der Mannſchafft Sommer fuͤhlt/ was Kummers Hitze ſey/
Wenn ſich der Jahre Herbſt will ſchicken zum Genuß/
Erſtarrt der Glieder Eiß/ und folgt des Lebens Schluß.
Marini.
Der ungluͤckſelge Menſch kan kaum die Welt begruͤſſen/
Daß nicht ein Thraͤnen-Fluß/ eh das noch ſchwache
Licht
Den hellen Tag erkennt/ aus ſeinen Augen bricht:
Wird frey und laͤſſet ſich in neue Bande ſchluͤſſen.
Iſt er der zarten Milch und erſten Speiß entriſſen/
So faͤſſelt ſeinen Mutt der Zucht gezwungne Pflicht/
Befreyet ihn die Zeit/ wie muß ſein Hertze nicht
Sich lebend offt und tod von Gluͤck und Liebe wiſſen!
Was hat er denn fuͤr Sorg’ und Kummer auszuſtehn/
Was muß ihm nicht fuͤr Schmertz und Leid zu handen gehn/
Biß er gebuͤckt und matt ergreifft den ſchwachen Stab.
Zulezt entflieht der Geiſt/ der Leib wird hingetragen/
So ploͤtzlich/ daß ich muß mit tieffem Seuffzen ſagen:
Wie nahe grentzen doch die Wieg’ und unſer Grab.
Eitelkeit der ſchnoͤden Welt/ die von auſſen ſuͤſſe ſchmeckt/
Unter Zeitvertreib und Luſt Zeitverderb und Reue deckt!
Die leichte Stunde fliegt darvon/
Indem man hoͤrt der Glocke Thon.
Sterb-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDas Exemplar enthält mehrere Werke. Herausgegeben… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |