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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839.

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heute früh Jemand gegeben, welchem ich vor der Thür begeg-
nete, da ich zu dem Geschäfte ausging, wo ich so unglücklich
gewesen. Die eigenen Worte des Mannes waren: "Sagen
"Sie dem Herrn Peter Schlemihl, er würde mich hier
"nicht mehr sehen, da ich über's Meer gehe; und ein günsti-
"ger Wind mich so eben nach dem Hafen ruft. Aber über
"Jahr und Tag werde ich die Ehre haben, ihn selber aufzusu-
"chen und ein anderes, ihm dann vielleicht annehmliches
"Geschäft vorzuschlagen. Empfehlen Sie mich ihm unterthä-
"nigst, und versichern ihn meines Dankes." Ich frug ihn, wer
er wäre, er sagte aber, Sie kennten ihn schon."

"Wie sah der Mann aus?" rief ich voller Ahnung. Und
Bendel beschrieb mir den Mann im grauen Rocke Zug für
Zug, Wort für Wort, wie er getreu in seiner vorigen Erzäh-
lung des Mannes erwähnt, nach dem er sich erkundigt. --

"Unglücklicher!" schrie ich händeringend, "das war er
ja selbst!" und ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. --
"Ja, er war es, war es wirklich!" rief er erschreckt aus,
"und ich Verblendeter, Blödsinniger habe ihn nicht erkannt,
ihn nicht erkannt und meinen Herrn verrathen!"

Er brach, heiß weinend, in die bittersten Vorwürfe gegen
sich selber aus, und die Verzweiflung, in der er war, mußte
mir selber Mitleiden einflößen. Ich sprach ihm Trost ein,
versicherte ihn wiederholt, ich setzte keinen Zweifel in seine
Treue, und schickte ihn alsbald nach dem Hafen, um, wo
möglich, die Spuren des seltsamen Mannes zu verfolgen.
Aber an diesem selben Morgen waren sehr viele Schiffe, die
widrige Winde im Hafen zurückgehalten, ausgelaufen, alle
nach anderen Weltstrichen, alle nach anderen Küsten bestimmt,
und der graue Mann war spurlos wie ein Schatten ver-
schwunden.



heute früh Jemand gegeben, welchem ich vor der Thür begeg-
nete, da ich zu dem Geſchäfte ausging, wo ich ſo unglücklich
geweſen. Die eigenen Worte des Mannes waren: »Sagen
»Sie dem Herrn Peter Schlemihl, er würde mich hier
»nicht mehr ſehen, da ich über’s Meer gehe; und ein günſti-
»ger Wind mich ſo eben nach dem Hafen ruft. Aber über
»Jahr und Tag werde ich die Ehre haben, ihn ſelber aufzuſu-
»chen und ein anderes, ihm dann vielleicht annehmliches
»Geſchäft vorzuſchlagen. Empfehlen Sie mich ihm unterthä-
»nigſt, und verſichern ihn meines Dankes.« Ich frug ihn, wer
er wäre, er ſagte aber, Sie kennten ihn ſchon.«

»Wie ſah der Mann aus?« rief ich voller Ahnung. Und
Bendel beſchrieb mir den Mann im grauen Rocke Zug für
Zug, Wort für Wort, wie er getreu in ſeiner vorigen Erzäh-
lung des Mannes erwähnt, nach dem er ſich erkundigt. —

»Unglücklicher!« ſchrie ich händeringend, »das war er
ja ſelbſt!« und ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. —
»Ja, er war es, war es wirklich!« rief er erſchreckt aus,
»und ich Verblendeter, Blödſinniger habe ihn nicht erkannt,
ihn nicht erkannt und meinen Herrn verrathen!«

Er brach, heiß weinend, in die bitterſten Vorwürfe gegen
ſich ſelber aus, und die Verzweiflung, in der er war, mußte
mir ſelber Mitleiden einflößen. Ich ſprach ihm Troſt ein,
verſicherte ihn wiederholt, ich ſetzte keinen Zweifel in ſeine
Treue, und ſchickte ihn alsbald nach dem Hafen, um, wo
möglich, die Spuren des ſeltſamen Mannes zu verfolgen.
Aber an dieſem ſelben Morgen waren ſehr viele Schiffe, die
widrige Winde im Hafen zurückgehalten, ausgelaufen, alle
nach anderen Weltſtrichen, alle nach anderen Küſten beſtimmt,
und der graue Mann war ſpurlos wie ein Schatten ver-
ſchwunden.



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[16/0034] heute früh Jemand gegeben, welchem ich vor der Thür begeg- nete, da ich zu dem Geſchäfte ausging, wo ich ſo unglücklich geweſen. Die eigenen Worte des Mannes waren: »Sagen »Sie dem Herrn Peter Schlemihl, er würde mich hier »nicht mehr ſehen, da ich über’s Meer gehe; und ein günſti- »ger Wind mich ſo eben nach dem Hafen ruft. Aber über »Jahr und Tag werde ich die Ehre haben, ihn ſelber aufzuſu- »chen und ein anderes, ihm dann vielleicht annehmliches »Geſchäft vorzuſchlagen. Empfehlen Sie mich ihm unterthä- »nigſt, und verſichern ihn meines Dankes.« Ich frug ihn, wer er wäre, er ſagte aber, Sie kennten ihn ſchon.« »Wie ſah der Mann aus?« rief ich voller Ahnung. Und Bendel beſchrieb mir den Mann im grauen Rocke Zug für Zug, Wort für Wort, wie er getreu in ſeiner vorigen Erzäh- lung des Mannes erwähnt, nach dem er ſich erkundigt. — »Unglücklicher!« ſchrie ich händeringend, »das war er ja ſelbſt!« und ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. — »Ja, er war es, war es wirklich!« rief er erſchreckt aus, »und ich Verblendeter, Blödſinniger habe ihn nicht erkannt, ihn nicht erkannt und meinen Herrn verrathen!« Er brach, heiß weinend, in die bitterſten Vorwürfe gegen ſich ſelber aus, und die Verzweiflung, in der er war, mußte mir ſelber Mitleiden einflößen. Ich ſprach ihm Troſt ein, verſicherte ihn wiederholt, ich ſetzte keinen Zweifel in ſeine Treue, und ſchickte ihn alsbald nach dem Hafen, um, wo möglich, die Spuren des ſeltſamen Mannes zu verfolgen. Aber an dieſem ſelben Morgen waren ſehr viele Schiffe, die widrige Winde im Hafen zurückgehalten, ausgelaufen, alle nach anderen Weltſtrichen, alle nach anderen Küſten beſtimmt, und der graue Mann war ſpurlos wie ein Schatten ver- ſchwunden.

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/Yw_7531_1/34>, abgerufen am 21.11.2024.