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Heyden, Benjamin: Frommer Christen Ewiges Gnaden-Trost- und Freuden-Liecht. St. Annaberg, 1676.

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Abdanckungs-Rede.
Recht/ sind meistentheils der Welt Recht. Und wer wolte doch
alle der Welt betrügliche Unarthen auff so engen Pappier zu-
sammen bringen?

Lieber! wieviel Lebens-Zeit wird dann darzu gehören/ daß
man diesen allen klug genug werde/ und also den Nahmen trage/
man habe angefangen recht zu leben. Viele 1000. sterben ja da-
hin/ ehe sie also recht beginnen zu leben.

Und wann ich auch von diesen puncto nicht mehr rede/ so
bleibets doch dabey/ daß mancher muß eher abspielen/ ehe er sich
in diß Leben eingerichtet und geschicket hat.

Mancher/ bey seinen besten Lebens-Jahren und erstar-
ckenden Männlichen Alter/ gedencket erst mit Jacob/ und nun!
wenn soll ich auch mein Hauß bestellen: h. e. ietzt will ich erst
anfangen zu leben/ Anstalt machen/ wie mein Weib und Kinder
möchte durch göttl. Gnaden-Seegen versorget werden/ und ehe
ein solcher offt recht zur Sache schreitet/ muß er sein Leben ver-
tauschen mit dem Todte: Auff diese Weise möchte ich sagen/
daß unser seeliger Herr Siegel kaum recht habe angefangen zu
leben: Und so gar elende ist es mit den Menschlichen Leben be-
schaffen/ wir wissen keine Zahl der Jahre und Monaten/ in wel-
chen wir uns getrauen dürffen sicherlich in dieses Leben einzu-
richten.

Jrre ich oder nicht/ die Athenienser haben etwas hiervon
wollen zu verstehen geben/ wann sie an ihre Todtenhäuser viel
Ziphern von 1. biß 80. oder 100. gemacht/ mit der Umbschrifft:
Ignoras. Du weist nicht welche Zahl unter diesen dich betreffen
wird. Ach darumb so bleibet es Schade/ daßofft der Mensch/ so
kaum recht angefangen sich recht in diß Leben zu schicken/ so bald
es muß mit dem Todte verwechseln? Wir wollen aber nicht die-
sen Reden gar mit den ungütigen Theophrasto, der doch 99.
Jahr gelebet/ die Natur einiger Ungütigkeit beschuldigen/ son-

dern

Abdanckungs-Rede.
Recht/ ſind meiſtentheils der Welt Recht. Und wer wolte doch
alle der Welt betruͤgliche Unarthen auff ſo engen Pappier zu-
ſammen bringen?

Lieber! wieviel Lebens-Zeit wird dann darzu gehoͤren/ daß
man dieſen allen klug genug werde/ und alſo den Nahmen trage/
man habe angefangen recht zu leben. Viele 1000. ſterben ja da-
hin/ ehe ſie alſo recht beginnen zu leben.

Und wann ich auch von dieſen puncto nicht mehr rede/ ſo
bleibets doch dabey/ daß mancher muß eher abſpielen/ ehe er ſich
in diß Leben eingerichtet und geſchicket hat.

Mancher/ bey ſeinen beſten Lebens-Jahren und erſtar-
ckenden Maͤnnlichen Alter/ gedencket erſt mit Jacob/ und nun!
wenn ſoll ich auch mein Hauß beſtellen: h. e. ietzt will ich erſt
anfangen zu leben/ Anſtalt machen/ wie mein Weib und Kinder
moͤchte durch goͤttl. Gnaden-Seegen verſorget werden/ und ehe
ein ſolcher offt recht zur Sache ſchreitet/ muß er ſein Leben ver-
tauſchen mit dem Todte: Auff dieſe Weiſe moͤchte ich ſagen/
daß unſer ſeeliger Herr Siegel kaum recht habe angefangen zu
leben: Und ſo gar elende iſt es mit den Menſchlichen Leben be-
ſchaffen/ wir wiſſen keine Zahl der Jahre und Monaten/ in wel-
chen wir uns getrauen duͤrffen ſicherlich in dieſes Leben einzu-
richten.

Jrre ich oder nicht/ die Athenienſer haben etwas hiervon
wollen zu verſtehen geben/ wann ſie an ihre Todtenhaͤuſer viel
Ziphern von 1. biß 80. oder 100. gemacht/ mit der Umbſchrifft:
Ignoras. Du weiſt nicht welche Zahl unter dieſen dich betreffen
wird. Ach darumb ſo bleibet es Schade/ daßofft der Menſch/ ſo
kaum recht angefangen ſich recht in diß Leben zu ſchicken/ ſo bald
es muß mit dem Todte verwechſeln? Wir wollen aber nicht die-
ſen Reden gar mit den unguͤtigen Theophraſto, der doch 99.
Jahr gelebet/ die Natur einiger Unguͤtigkeit beſchuldigen/ ſon-

dern
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[[56]/0056] Abdanckungs-Rede. Recht/ ſind meiſtentheils der Welt Recht. Und wer wolte doch alle der Welt betruͤgliche Unarthen auff ſo engen Pappier zu- ſammen bringen? Lieber! wieviel Lebens-Zeit wird dann darzu gehoͤren/ daß man dieſen allen klug genug werde/ und alſo den Nahmen trage/ man habe angefangen recht zu leben. Viele 1000. ſterben ja da- hin/ ehe ſie alſo recht beginnen zu leben. Und wann ich auch von dieſen puncto nicht mehr rede/ ſo bleibets doch dabey/ daß mancher muß eher abſpielen/ ehe er ſich in diß Leben eingerichtet und geſchicket hat. Mancher/ bey ſeinen beſten Lebens-Jahren und erſtar- ckenden Maͤnnlichen Alter/ gedencket erſt mit Jacob/ und nun! wenn ſoll ich auch mein Hauß beſtellen: h. e. ietzt will ich erſt anfangen zu leben/ Anſtalt machen/ wie mein Weib und Kinder moͤchte durch goͤttl. Gnaden-Seegen verſorget werden/ und ehe ein ſolcher offt recht zur Sache ſchreitet/ muß er ſein Leben ver- tauſchen mit dem Todte: Auff dieſe Weiſe moͤchte ich ſagen/ daß unſer ſeeliger Herr Siegel kaum recht habe angefangen zu leben: Und ſo gar elende iſt es mit den Menſchlichen Leben be- ſchaffen/ wir wiſſen keine Zahl der Jahre und Monaten/ in wel- chen wir uns getrauen duͤrffen ſicherlich in dieſes Leben einzu- richten. Jrre ich oder nicht/ die Athenienſer haben etwas hiervon wollen zu verſtehen geben/ wann ſie an ihre Todtenhaͤuſer viel Ziphern von 1. biß 80. oder 100. gemacht/ mit der Umbſchrifft: Ignoras. Du weiſt nicht welche Zahl unter dieſen dich betreffen wird. Ach darumb ſo bleibet es Schade/ daßofft der Menſch/ ſo kaum recht angefangen ſich recht in diß Leben zu ſchicken/ ſo bald es muß mit dem Todte verwechſeln? Wir wollen aber nicht die- ſen Reden gar mit den unguͤtigen Theophraſto, der doch 99. Jahr gelebet/ die Natur einiger Unguͤtigkeit beſchuldigen/ ſon- dern

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Zitationshilfe: Heyden, Benjamin: Frommer Christen Ewiges Gnaden-Trost- und Freuden-Liecht. St. Annaberg, 1676, S. [56]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/510974/56>, abgerufen am 28.04.2024.