Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heyden, Benjamin: Frommer Christen Ewiges Gnaden-Trost- und Freuden-Liecht. St. Annaberg, 1676.

Bild:
<< vorherige Seite

Abdanckungs-Rede.
sollen/ also gesprochen: Wann du ersiehest in der Welt einen
Menschen von 30. biß 40. Jahren/ soltu zu ihn sprechen: Sey
mir willkommen! dann als denn scheine es ihme/ als ob ein sol-
cher Mensch erst recht in die Welt käme/ ietzt lernete er verstehen/
was diß Leben sey? was derer Menschen Gesellschafft? binnen
dem Alter beginn er erst sich recht in die Welt zu schicken: Dann
lernete er derselben Tücke und Stricke etwas besser erkennen:
Dann wisse er etwas genauer/ was er thun und lassen solte.

Käme man aber/ (sagte jener ferner) fort/ auff einen
Menschen/ der 50. oder 60. Jahr alt/ so solte man zu ihn sagen:
Gehab dich wohl! oder sey wohl auff! Dann in diesen Al-
ter meldeten sich allgemachsam die Vorboten des Todes/ als
Kranckheiten mit an/ und suchten ihren Eintritt in dieses Le-
bens Herberge. Endlich/ wer erblickete einen/ von 60. 70. oder
mehr Jahren/ der solte getrost zu ihme sprechen: Ziehe nur im-
mer hin in GOttes Nahmen! Dann ein solcher wäre schon
mehr aus/ als in der Welt/ zum wenigsten/ wäre er auff der vol-
len Reisse/ diese Welt zuräumen und zuverlassen/ begriffen. Die-
sen nach/ wann Epaminondas seinen ersten Satz nach solte
recht geurtheilet haben/ wann er einen Menschen von 30 biß 40.
Jahren erst zu bewillkommen geheissen/ darumb/ daß er ietzt erst
in die Welt komme/ und fahe an zu leben; so dürffte ich dann
auch wohl sagen/ daß unser seeliger Herr Siegel kaum recht
angefangen hätte zu leben/ und also wohl das Schade!
Jammer! und Hertzeleid! Darumb/ daß er so balde wiederumb
müssen abespielen/ zu wiederholen mich unterstehen.

Nichts weniger/ wann ich meiner Rede mehreres Zeug-
nüß bedürffte/ hoffete ich hiezu einig patrocinium von jenen
Gottseeligen Einsiedler zu erlangen/ welcher auff eine Zeit gar
bedencklich außgeruffen/ daß der wenigste Theil unsers Lebens
eigentlich gelebet heisse: Sich selbst zum Exempel setzende/ und

sagende:

Abdanckungs-Rede.
ſollen/ alſo geſprochen: Wann du erſieheſt in der Welt einen
Menſchen von 30. biß 40. Jahren/ ſoltu zu ihn ſprechen: Sey
mir willkommen! dann als denn ſcheine es ihme/ als ob ein ſol-
cher Menſch erſt recht in die Welt kaͤme/ ietzt lernete er verſtehen/
was diß Leben ſey? was derer Menſchen Geſellſchafft? binnen
dem Alter beginn er erſt ſich recht in die Welt zu ſchicken: Dann
lernete er derſelben Tuͤcke und Stricke etwas beſſer erkennen:
Dann wiſſe er etwas genauer/ was er thun und laſſen ſolte.

Kaͤme man aber/ (ſagte jener ferner) fort/ auff einen
Menſchen/ der 50. oder 60. Jahr alt/ ſo ſolte man zu ihn ſagen:
Gehab dich wohl! oder ſey wohl auff! Dann in dieſen Al-
ter meldeten ſich allgemachſam die Vorboten des Todes/ als
Kranckheiten mit an/ und ſuchten ihren Eintritt in dieſes Le-
bens Herberge. Endlich/ wer erblickete einen/ von 60. 70. oder
mehr Jahren/ der ſolte getroſt zu ihme ſprechen: Ziehe nur im-
mer hin in GOttes Nahmen! Dann ein ſolcher waͤre ſchon
mehr aus/ als in der Welt/ zum wenigſten/ waͤre er auff der vol-
len Reiſſe/ dieſe Welt zuraͤumen uñ zuverlaſſen/ begriffen. Die-
ſen nach/ wann Epaminondas ſeinen erſten Satz nach ſolte
recht geurtheilet haben/ wann er einen Menſchen von 30 biß 40.
Jahren erſt zu bewillkommen geheiſſen/ darumb/ daß er ietzt erſt
in die Welt komme/ und fahe an zu leben; ſo duͤrffte ich dann
auch wohl ſagen/ daß unſer ſeeliger Herr Siegel kaum recht
angefangen haͤtte zu leben/ und alſo wohl das Schade!
Jam̃er! und Hertzeleid! Darumb/ daß er ſo balde wiederumb
muͤſſen abeſpielen/ zu wiederholen mich unterſtehen.

Nichts weniger/ wann ich meiner Rede mehreres Zeug-
nuͤß beduͤrffte/ hoffete ich hiezu einig patrocinium von jenen
Gottſeeligen Einſiedler zu erlangen/ welcher auff eine Zeit gar
bedencklich außgeruffen/ daß der wenigſte Theil unſers Lebens
eigentlich gelebet heiſſe: Sich ſelbſt zum Exempel ſetzende/ und

ſagende:
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div type="fsThanks" n="1">
              <div type="fsMainPart" n="2">
                <p><pb facs="#f0054" n="[54]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Abdanckungs-Rede.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ollen/ al&#x017F;o ge&#x017F;prochen: Wann du er&#x017F;iehe&#x017F;t in der Welt einen<lb/>
Men&#x017F;chen von 30. biß 40. Jahren/ &#x017F;oltu zu ihn &#x017F;prechen: Sey<lb/>
mir willkommen! dann als denn &#x017F;cheine es ihme/ als ob ein &#x017F;ol-<lb/>
cher Men&#x017F;ch er&#x017F;t recht in die Welt ka&#x0364;me/ ietzt lernete er ver&#x017F;tehen/<lb/>
was diß Leben &#x017F;ey? was derer Men&#x017F;chen Ge&#x017F;ell&#x017F;chafft? binnen<lb/>
dem Alter beginn er er&#x017F;t &#x017F;ich recht in die Welt zu &#x017F;chicken: Dann<lb/>
lernete er der&#x017F;elben Tu&#x0364;cke und Stricke etwas be&#x017F;&#x017F;er erkennen:<lb/>
Dann wi&#x017F;&#x017F;e er etwas genauer/ was er thun und la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;olte.</p><lb/>
                <p>Ka&#x0364;me man aber/ (&#x017F;agte jener ferner) fort/ auff einen<lb/>
Men&#x017F;chen/ der 50. oder 60. Jahr alt/ &#x017F;o &#x017F;olte man zu ihn &#x017F;agen:<lb/>
Gehab dich wohl! oder &#x017F;ey wohl auff! Dann in die&#x017F;en Al-<lb/>
ter meldeten &#x017F;ich allgemach&#x017F;am die Vorboten des Todes/ als<lb/>
Kranckheiten mit an/ und &#x017F;uchten ihren Eintritt in die&#x017F;es Le-<lb/>
bens Herberge. Endlich/ wer erblickete einen/ von 60. 70. oder<lb/>
mehr Jahren/ der &#x017F;olte getro&#x017F;t zu ihme &#x017F;prechen: Ziehe nur im-<lb/>
mer hin in GOttes Nahmen! Dann ein &#x017F;olcher wa&#x0364;re &#x017F;chon<lb/>
mehr aus/ als in der Welt/ zum wenig&#x017F;ten/ wa&#x0364;re er auff der vol-<lb/>
len Rei&#x017F;&#x017F;e/ die&#x017F;e Welt zura&#x0364;umen un&#x0303; zuverla&#x017F;&#x017F;en/ begriffen. Die-<lb/>
&#x017F;en nach/ wann <hi rendition="#aq">Epaminondas</hi> &#x017F;einen er&#x017F;ten Satz nach &#x017F;olte<lb/>
recht geurtheilet haben/ wann er einen Men&#x017F;chen von 30 biß 40.<lb/>
Jahren er&#x017F;t zu bewillkommen gehei&#x017F;&#x017F;en/ darumb/ daß er ietzt er&#x017F;t<lb/>
in die Welt komme/ und fahe an zu leben; &#x017F;o du&#x0364;rffte ich dann<lb/>
auch wohl &#x017F;agen/ daß un&#x017F;er &#x017F;eeliger Herr Siegel kaum recht<lb/>
angefangen ha&#x0364;tte zu leben/ und al&#x017F;o wohl das Schade!<lb/>
Jam&#x0303;er! und Hertzeleid<hi rendition="#i">!</hi> Darumb/ daß er &#x017F;o balde wiederumb<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en abe&#x017F;pielen/ zu wiederholen mich unter&#x017F;tehen.</p><lb/>
                <p>Nichts weniger/ wann ich meiner Rede mehreres Zeug-<lb/>
nu&#x0364;ß bedu&#x0364;rffte/ hoffete ich hiezu einig <hi rendition="#aq">patrocinium</hi> von jenen<lb/>
Gott&#x017F;eeligen Ein&#x017F;iedler zu erlangen/ welcher auff eine Zeit gar<lb/>
bedencklich außgeruffen/ daß der wenig&#x017F;te Theil un&#x017F;ers Lebens<lb/>
eigentlich gelebet hei&#x017F;&#x017F;e: Sich &#x017F;elb&#x017F;t zum Exempel &#x017F;etzende/ und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;agende:</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[54]/0054] Abdanckungs-Rede. ſollen/ alſo geſprochen: Wann du erſieheſt in der Welt einen Menſchen von 30. biß 40. Jahren/ ſoltu zu ihn ſprechen: Sey mir willkommen! dann als denn ſcheine es ihme/ als ob ein ſol- cher Menſch erſt recht in die Welt kaͤme/ ietzt lernete er verſtehen/ was diß Leben ſey? was derer Menſchen Geſellſchafft? binnen dem Alter beginn er erſt ſich recht in die Welt zu ſchicken: Dann lernete er derſelben Tuͤcke und Stricke etwas beſſer erkennen: Dann wiſſe er etwas genauer/ was er thun und laſſen ſolte. Kaͤme man aber/ (ſagte jener ferner) fort/ auff einen Menſchen/ der 50. oder 60. Jahr alt/ ſo ſolte man zu ihn ſagen: Gehab dich wohl! oder ſey wohl auff! Dann in dieſen Al- ter meldeten ſich allgemachſam die Vorboten des Todes/ als Kranckheiten mit an/ und ſuchten ihren Eintritt in dieſes Le- bens Herberge. Endlich/ wer erblickete einen/ von 60. 70. oder mehr Jahren/ der ſolte getroſt zu ihme ſprechen: Ziehe nur im- mer hin in GOttes Nahmen! Dann ein ſolcher waͤre ſchon mehr aus/ als in der Welt/ zum wenigſten/ waͤre er auff der vol- len Reiſſe/ dieſe Welt zuraͤumen uñ zuverlaſſen/ begriffen. Die- ſen nach/ wann Epaminondas ſeinen erſten Satz nach ſolte recht geurtheilet haben/ wann er einen Menſchen von 30 biß 40. Jahren erſt zu bewillkommen geheiſſen/ darumb/ daß er ietzt erſt in die Welt komme/ und fahe an zu leben; ſo duͤrffte ich dann auch wohl ſagen/ daß unſer ſeeliger Herr Siegel kaum recht angefangen haͤtte zu leben/ und alſo wohl das Schade! Jam̃er! und Hertzeleid! Darumb/ daß er ſo balde wiederumb muͤſſen abeſpielen/ zu wiederholen mich unterſtehen. Nichts weniger/ wann ich meiner Rede mehreres Zeug- nuͤß beduͤrffte/ hoffete ich hiezu einig patrocinium von jenen Gottſeeligen Einſiedler zu erlangen/ welcher auff eine Zeit gar bedencklich außgeruffen/ daß der wenigſte Theil unſers Lebens eigentlich gelebet heiſſe: Sich ſelbſt zum Exempel ſetzende/ und ſagende:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/510974
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/510974/54
Zitationshilfe: Heyden, Benjamin: Frommer Christen Ewiges Gnaden-Trost- und Freuden-Liecht. St. Annaberg, 1676, S. [54]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/510974/54>, abgerufen am 27.11.2024.