Arnold, Johannes: Die Bittere Klage über den Erschlagenen in meinem Volck. Pirna, 1713.Die bittere Klage von ihm errettet wurde/ (1. Sam. XVIII, 1. seqq. c. XIX, 20. seqq.) wiewohl/ wie gedacht/ David sein meistes Absehen hierinnen auff seine Liebe gegen ihn gerichtet hat. Von dieser Liebe bekennet er/ sie sey ihm [fremdsprachliches Material - fehlt] admirabilis, singularis excellens, gar wunderbar/ sonderlich und vort e[verlorenes Material - 1 Zeichen fehlt]- lich; So sonderlich lieb der grosse GOtt sein Volck Jsrael hatte/ und sie mit mächtiger Hand und vielen Wundern aus Egypten f[ü]hrete/ (Psal. LXXVIII, 12.) so sonderlich lieb hatte auch David seinen Freund Jona- than/ also/ daß er auch hinzu setzet: [fremdsprachliches Material - fehlt] prae amore mulie- rum, deine Liebe ist mir sonderlicher gewesen/ denn Frauen-Liebe. Son- sten pfleget die eheliche Liebe zwischen Braut und Bräutigam/ zwischen treuen Ehe-Gatten/ zwischen Eltern/ sonderlich Müttern und Kindern/ der höchste Grad und vollkommenste Staffel der menschlichen Liebe zu seyn. Der H. Geist bekennet es selbsten/ wenn er sich bey Einsetzung des Ele- standes durch Adam lässet vernehmen: Darum wird ein Mann seinen Vaer und seine Mutter verlassen/ und an seinem Weibe hangen/ und sie werden seyn ein Fleisch/ (Gen. II, 24.) Und bey Jesaia heist es: Kan auch ein Weib ihres Kindes vergessen/ daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? (Jes. XLIX, 15.) Plinius gedencket von der edlen Römerin Fau- nia, daß sie zweymahl mit ihrem Ehe-Mann in das Elend gegangen/ und sich einmahl seinetwegen verbannen lassen; Und Egesippus schreibet in seinem 41. Capitel des 5. Buchs von der Zerstörung der Stadt Jerusa[l]em: Affectus manet, etsi pignus obierit, perseverat nomen naturae, gra- tia non intercidit, die väterliche und mütterliche Liebes-Bewegungen bleiben fest in denen Hertzen derer Eltern hangen/ obgleich das Kind ge- storben/ der Nahme der Natur verharret beständig/ und die Liebligkeit/ so man von ihm genossen/ gehet nicht unter. Und gleichwohl saget David: Seine Liebe gegen Jonathan sey ihm sonderlich gewesen/ denn Frauen- Liebe; Dahero etlichen von denen Auslegern diese Worte sehr schwer vor- gefallen/ und nicht gewust/ wie sie sie sattsam und deutlich erklären sollen/ ja etliche sind gar auff die Gedancken gefallen/ und David beschuldigen wollen/ als ob er die Ordnung der Natur in der Liebe verwerffen/ und seine Liebe gegen Jonathan der ehelichen vorziehen wollen. Alleine/ wie dieses dem lieben David niemahls in Sinn gekommen/ also wissen unsere Got- tes-Gelehrten diese Worte nach dem Sinn Davids besser zu erklären/ wenn sie einen Unterschied machen: Inter amorem ordinarium, oder ordentlichen Liebe/ und Amorem extraordinarium, & singularem, oder ausserordentlicher und sonderbaren Liebe/ und geben vor/ David setze die ordent-
Die bittere Klage von ihm errettet wurde/ (1. Sam. XVIII, 1. ſeqq. c. XIX, 20. ſeqq.) wiewohl/ wie gedacht/ David ſein meiſtes Abſehen hierinnen auff ſeine Liebe gegen ihn gerichtet hat. Von dieſer Liebe bekennet er/ ſie ſey ihm [fremdsprachliches Material – fehlt] admirabilis, ſingularis excellens, gar wunderbar/ ſonderlich und vort e[verlorenes Material – 1 Zeichen fehlt]- lich; So ſonderlich lieb der groſſe GOtt ſein Volck Jſrael hatte/ und ſie mit maͤchtiger Hand und vielen Wundern aus Egypten f[uͤ]hrete/ (Pſal. LXXVIII, 12.) ſo ſonderlich lieb hatte auch David ſeinen Freund Jona- than/ alſo/ daß er auch hinzu ſetzet: [fremdsprachliches Material – fehlt] præ amore mulie- rum, deine Liebe iſt mir ſonderlicher geweſen/ denn Frauen-Liebe. Son- ſten pfleget die eheliche Liebe zwiſchen Braut und Braͤutigam/ zwiſchen treuen Ehe-Gatten/ zwiſchen Eltern/ ſonderlich Muͤttern und Kindern/ der hoͤchſte Grad und vollkommenſte Staffel der menſchlichen Liebe zu ſeyn. Der H. Geiſt bekennet es ſelbſten/ wenn er ſich bey Einſetzung des Ele- ſtandes durch Adam laͤſſet vernehmen: Darum wird ein Mann ſeinen Vaer und ſeine Mutter verlaſſen/ und an ſeinem Weibe hangen/ und ſie werden ſeyn ein Fleiſch/ (Gen. II, 24.) Und bey Jeſaia heiſt es: Kan auch ein Weib ihres Kindes vergeſſen/ daß ſie ſich nicht erbarme uͤber den Sohn ihres Leibes? (Jeſ. XLIX, 15.) Plinius gedencket von der edlen Roͤmerin Fau- nia, daß ſie zweymahl mit ihrem Ehe-Mann in das Elend gegangen/ und ſich einmahl ſeinetwegen verbannen laſſen; Und Egeſippus ſchreibet in ſeinem 41. Capitel des 5. Buchs von der Zerſtoͤrung der Stadt Jeruſa[l]em: Affectus manet, etſi pignus obierit, perſeverat nomen naturæ, gra- tia non intercidit, die vaͤterliche und muͤtterliche Liebes-Bewegungen bleiben feſt in denen Hertzen derer Eltern hangen/ obgleich das Kind ge- ſtorben/ der Nahme der Natur verharret beſtaͤndig/ und die Liebligkeit/ ſo man von ihm genoſſen/ gehet nicht unter. Und gleichwohl ſaget David: Seine Liebe gegen Jonathan ſey ihm ſonderlich geweſen/ denn Frauen- Liebe; Dahero etlichen von denen Auslegern dieſe Worte ſehr ſchwer vor- gefallen/ und nicht gewuſt/ wie ſie ſie ſattſam und deutlich erklaͤren ſollen/ ja etliche ſind gar auff die Gedancken gefallen/ und David beſchuldigen wollen/ als ob er die Ordnung der Natur in der Liebe verwerffen/ und ſeine Liebe gegen Jonathan der ehelichen vorziehen wollen. Alleine/ wie dieſes dem lieben David niemahls in Sinn gekommen/ alſo wiſſen unſere Got- tes-Gelehrten dieſe Worte nach dem Sinn Davids beſſer zu erklaͤren/ wenn ſie einen Unterſchied machen: Inter amorem ordinarium, oder ordentlichen Liebe/ und Amorem extraordinarium, & ſingularem, oder auſſerordentlicher und ſonderbaren Liebe/ und geben vor/ David ſetze die ordent-
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Die bittere Klage
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gegen ihn gerichtet hat. Von dieſer Liebe bekennet er/ ſie ſey ihm _
admirabilis, ſingularis excellens, gar wunderbar/ ſonderlich und vort e_-
lich; So ſonderlich lieb der groſſe GOtt ſein Volck Jſrael hatte/ und ſie
mit maͤchtiger Hand und vielen Wundern aus Egypten fuͤhrete/ (Pſal.
LXXVIII, 12.) ſo ſonderlich lieb hatte auch David ſeinen Freund Jona-
than/ alſo/ daß er auch hinzu ſetzet: _ præ amore mulie-
rum, deine Liebe iſt mir ſonderlicher geweſen/ denn Frauen-Liebe. Son-
ſten pfleget die eheliche Liebe zwiſchen Braut und Braͤutigam/ zwiſchen
treuen Ehe-Gatten/ zwiſchen Eltern/ ſonderlich Muͤttern und Kindern/ der
hoͤchſte Grad und vollkommenſte Staffel der menſchlichen Liebe zu ſeyn.
Der H. Geiſt bekennet es ſelbſten/ wenn er ſich bey Einſetzung des Ele-
ſtandes durch Adam laͤſſet vernehmen: Darum wird ein Mann ſeinen Vaer
und ſeine Mutter verlaſſen/ und an ſeinem Weibe hangen/ und ſie werden ſeyn
ein Fleiſch/ (Gen. II, 24.) Und bey Jeſaia heiſt es: Kan auch ein Weib
ihres Kindes vergeſſen/ daß ſie ſich nicht erbarme uͤber den Sohn ihres
Leibes? (Jeſ. XLIX, 15.) Plinius gedencket von der edlen Roͤmerin Fau-
nia, daß ſie zweymahl mit ihrem Ehe-Mann in das Elend gegangen/ und
ſich einmahl ſeinetwegen verbannen laſſen; Und Egeſippus ſchreibet in
ſeinem 41. Capitel des 5. Buchs von der Zerſtoͤrung der Stadt Jeruſalem:
Affectus manet, etſi pignus obierit, perſeverat nomen naturæ, gra-
tia non intercidit, die vaͤterliche und muͤtterliche Liebes-Bewegungen
bleiben feſt in denen Hertzen derer Eltern hangen/ obgleich das Kind ge-
ſtorben/ der Nahme der Natur verharret beſtaͤndig/ und die Liebligkeit/
ſo man von ihm genoſſen/ gehet nicht unter. Und gleichwohl ſaget David:
Seine Liebe gegen Jonathan ſey ihm ſonderlich geweſen/ denn Frauen-
Liebe; Dahero etlichen von denen Auslegern dieſe Worte ſehr ſchwer vor-
gefallen/ und nicht gewuſt/ wie ſie ſie ſattſam und deutlich erklaͤren ſollen/
ja etliche ſind gar auff die Gedancken gefallen/ und David beſchuldigen
wollen/ als ob er die Ordnung der Natur in der Liebe verwerffen/ und ſeine
Liebe gegen Jonathan der ehelichen vorziehen wollen. Alleine/ wie dieſes
dem lieben David niemahls in Sinn gekommen/ alſo wiſſen unſere Got-
tes-Gelehrten dieſe Worte nach dem Sinn Davids beſſer zu erklaͤren/
wenn ſie einen Unterſchied machen: Inter amorem ordinarium, oder
ordentlichen Liebe/ und Amorem extraordinarium, & ſingularem, oder
auſſerordentlicher und ſonderbaren Liebe/ und geben vor/ David ſetze die
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Zitationshilfe: | Arnold, Johannes: Die Bittere Klage über den Erschlagenen in meinem Volck. Pirna, 1713, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/392439/24>, abgerufen am 27.07.2024. |