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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835.

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"Sie können mich nicht leiden, mein Herr,
Sie hassen mich, ich weiß es; doch warum has-
sen Sie mich? Ist es etwa, weil Sie mich auf
öffentlicher Straße angefallen, und mir mein
Vogelnest mit Gewalt zu rauben gemeint? oder
ist es darum, daß Sie mein Gut, den Schat-
ten, den Sie Ihrer bloßen Ehrlichkeit anver-
traut glaubten, mir diebischer Weise zu ent-
wenden gesucht haben? Ich meinerseits hasse
Sie darum nicht; ich finde ganz natürlich, daß
Sie alle Ihre Vortheile, List und Gewalt gel-
tend zu machen suchen; daß Sie übrigens die
allerstrengsten Grundsätze haben und wie die
Ehrlichkeit selbst denken, ist eine Liebhaberei,
wogegen ich auch nichts habe. -- Ich denke in
der That nicht so streng als Sie; ich handle
blos, wie Sie denken. Oder hab' ich Ihnen
etwa irgend wann den Daumen auf die Gurgel
gedrückt, um Ihre wertheste Seele, zu der ich
einmal Lust habe, an mich zu bringen? Hab'
ich von wegen meines ausgetauschten Seckels
einen Diener auf Sie losgelassen? hab' ich Ih-
nen damit durchzugehen versucht?" Ich hatte
dagegen nichts zu erwiedern; er fuhr fort:
"Schon recht, mein Herr, schon recht! Sie kön-

*

«Sie können mich nicht leiden, mein Herr,
Sie haſſen mich, ich weiß es; doch warum haſ-
ſen Sie mich? Iſt es etwa, weil Sie mich auf
öffentlicher Straße angefallen, und mir mein
Vogelneſt mit Gewalt zu rauben gemeint? oder
iſt es darum, daß Sie mein Gut, den Schat-
ten, den Sie Ihrer bloßen Ehrlichkeit anver-
traut glaubten, mir diebiſcher Weiſe zu ent-
wenden geſucht haben? Ich meinerſeits haſſe
Sie darum nicht; ich finde ganz natürlich, daß
Sie alle Ihre Vortheile, Liſt und Gewalt gel-
tend zu machen ſuchen; daß Sie übrigens die
allerſtrengſten Grundſätze haben und wie die
Ehrlichkeit ſelbſt denken, iſt eine Liebhaberei,
wogegen ich auch nichts habe. — Ich denke in
der That nicht ſo ſtreng als Sie; ich handle
blos, wie Sie denken. Oder hab’ ich Ihnen
etwa irgend wann den Daumen auf die Gurgel
gedrückt, um Ihre wertheſte Seele, zu der ich
einmal Luſt habe, an mich zu bringen? Hab’
ich von wegen meines ausgetauſchten Seckels
einen Diener auf Sie losgelaſſen? hab’ ich Ih-
nen damit durchzugehen verſucht?» Ich hatte
dagegen nichts zu erwiedern; er fuhr fort:
«Schon recht, mein Herr, ſchon recht! Sie kön-

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[115/0131] «Sie können mich nicht leiden, mein Herr, Sie haſſen mich, ich weiß es; doch warum haſ- ſen Sie mich? Iſt es etwa, weil Sie mich auf öffentlicher Straße angefallen, und mir mein Vogelneſt mit Gewalt zu rauben gemeint? oder iſt es darum, daß Sie mein Gut, den Schat- ten, den Sie Ihrer bloßen Ehrlichkeit anver- traut glaubten, mir diebiſcher Weiſe zu ent- wenden geſucht haben? Ich meinerſeits haſſe Sie darum nicht; ich finde ganz natürlich, daß Sie alle Ihre Vortheile, Liſt und Gewalt gel- tend zu machen ſuchen; daß Sie übrigens die allerſtrengſten Grundſätze haben und wie die Ehrlichkeit ſelbſt denken, iſt eine Liebhaberei, wogegen ich auch nichts habe. — Ich denke in der That nicht ſo ſtreng als Sie; ich handle blos, wie Sie denken. Oder hab’ ich Ihnen etwa irgend wann den Daumen auf die Gurgel gedrückt, um Ihre wertheſte Seele, zu der ich einmal Luſt habe, an mich zu bringen? Hab’ ich von wegen meines ausgetauſchten Seckels einen Diener auf Sie losgelaſſen? hab’ ich Ih- nen damit durchzugehen verſucht?» Ich hatte dagegen nichts zu erwiedern; er fuhr fort: «Schon recht, mein Herr, ſchon recht! Sie kön- *

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2755/131>, abgerufen am 28.03.2024.