Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

vor einem wohlhabenden Mann ehrerbietig mit
entblößtem Haupte Platz machten. Ich ritt
weiter, und blickte gierigen Auges und klopfen-
den Herzens seitwärts vom Pferde herab auf
diesen sonst meinen Schatten, den ich jetzt von
einem Fremden, ja von einem Feinde, erborgt
hatte.

Dieser ging unbekümmert neben her, und
pfiff eben ein Liedchen. Er zu Fuß, ich zu
Pferd', ein Schwindel ergriff mich, die Versu-
chung war zu groß, ich wandte plötzlich die
Zügel, drückte beide Sporen an, und so in
voller Karriere einen Seitenweg eingeschlagen;
aber ich entführte den Schatten nicht, der bei
der Wendung vom Pferde glitt und seinen ge-
setzmäßigen Eigenthümer auf der Landstraße er-
wartete. Ich mußte beschämt umlenken; der
Mann im grauen Rocke, als er ungestört sein
Liedchen zu Ende gebracht, lachte mich aus, setz-
te mir den Schatten wieder zurecht, und be-
lehrte mich, er würde erst an mir festhangen und
bei mir bleiben wollen, wenn ich ihn wieder-
um als rechtmäßiges Eigenthum besitzen würde.
"Ich halte Sie," fuhr er fort, "am Schat-

vor einem wohlhabenden Mann ehrerbietig mit
entblößtem Haupte Platz machten. Ich ritt
weiter, und blickte gierigen Auges und klopfen-
den Herzens ſeitwärts vom Pferde herab auf
dieſen ſonſt meinen Schatten, den ich jetzt von
einem Fremden, ja von einem Feinde, erborgt
hatte.

Dieſer ging unbekümmert neben her, und
pfiff eben ein Liedchen. Er zu Fuß, ich zu
Pferd’, ein Schwindel ergriff mich, die Verſu-
chung war zu groß, ich wandte plötzlich die
Zügel, drückte beide Sporen an, und ſo in
voller Karriere einen Seitenweg eingeſchlagen;
aber ich entführte den Schatten nicht, der bei
der Wendung vom Pferde glitt und ſeinen ge-
ſetzmäßigen Eigenthümer auf der Landſtraße er-
wartete. Ich mußte beſchämt umlenken; der
Mann im grauen Rocke, als er ungeſtört ſein
Liedchen zu Ende gebracht, lachte mich aus, ſetz-
te mir den Schatten wieder zurecht, und be-
lehrte mich, er würde erſt an mir feſthangen und
bei mir bleiben wollen, wenn ich ihn wieder-
um als rechtmäßiges Eigenthum beſitzen würde.
«Ich halte Sie,» fuhr er fort, «am Schat-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0127" n="111"/>
vor einem wohlhabenden Mann ehrerbietig mit<lb/>
entblößtem Haupte Platz machten. Ich ritt<lb/>
weiter, und blickte gierigen Auges und klopfen-<lb/>
den Herzens &#x017F;eitwärts vom Pferde herab auf<lb/>
die&#x017F;en &#x017F;on&#x017F;t meinen Schatten, den ich jetzt von<lb/>
einem Fremden, ja von einem Feinde, erborgt<lb/>
hatte.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er ging unbekümmert neben her, und<lb/>
pfiff eben ein Liedchen. Er zu Fuß, ich zu<lb/>
Pferd&#x2019;, ein Schwindel ergriff mich, die Ver&#x017F;u-<lb/>
chung war zu groß, ich wandte plötzlich die<lb/>
Zügel, drückte beide Sporen an, und &#x017F;o in<lb/>
voller Karriere einen Seitenweg einge&#x017F;chlagen;<lb/>
aber ich entführte den Schatten nicht, der bei<lb/>
der Wendung vom Pferde glitt und &#x017F;einen ge-<lb/>
&#x017F;etzmäßigen Eigenthümer auf der Land&#x017F;traße er-<lb/>
wartete. Ich mußte be&#x017F;chämt umlenken; der<lb/>
Mann im grauen Rocke, als er unge&#x017F;tört &#x017F;ein<lb/>
Liedchen zu Ende gebracht, lachte mich aus, &#x017F;etz-<lb/>
te mir den Schatten wieder zurecht, und be-<lb/>
lehrte mich, er würde er&#x017F;t an mir fe&#x017F;thangen und<lb/>
bei mir bleiben wollen, wenn ich ihn wieder-<lb/>
um als rechtmäßiges Eigenthum be&#x017F;itzen würde.<lb/>
«Ich halte Sie,» fuhr er fort, «am Schat-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0127] vor einem wohlhabenden Mann ehrerbietig mit entblößtem Haupte Platz machten. Ich ritt weiter, und blickte gierigen Auges und klopfen- den Herzens ſeitwärts vom Pferde herab auf dieſen ſonſt meinen Schatten, den ich jetzt von einem Fremden, ja von einem Feinde, erborgt hatte. Dieſer ging unbekümmert neben her, und pfiff eben ein Liedchen. Er zu Fuß, ich zu Pferd’, ein Schwindel ergriff mich, die Verſu- chung war zu groß, ich wandte plötzlich die Zügel, drückte beide Sporen an, und ſo in voller Karriere einen Seitenweg eingeſchlagen; aber ich entführte den Schatten nicht, der bei der Wendung vom Pferde glitt und ſeinen ge- ſetzmäßigen Eigenthümer auf der Landſtraße er- wartete. Ich mußte beſchämt umlenken; der Mann im grauen Rocke, als er ungeſtört ſein Liedchen zu Ende gebracht, lachte mich aus, ſetz- te mir den Schatten wieder zurecht, und be- lehrte mich, er würde erſt an mir feſthangen und bei mir bleiben wollen, wenn ich ihn wieder- um als rechtmäßiges Eigenthum beſitzen würde. «Ich halte Sie,» fuhr er fort, «am Schat-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2755
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2755/127
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2755/127>, abgerufen am 27.11.2024.