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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835.

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viertehalb Millionen." -- "Er muß sehr viel
gestolen haben." -- "Was sind das wieder für
Reden! Er hat weislich gespart, wo verschwen-
det wurde." -- "Ein Mann, der die Livree
getragen hat." -- "Dummes Zeug! er hat doch
einen untadlichen Schatten" -- "Du hast Recht,
aber -- --"

Der Mann im grauen Rock lachte und sah
mich an. Die Thüre ging auf, und Mina trat
heraus. Sie stützte sich auf den Arm einer Kam-
merfrau, stille Thränen flossen auf ihre schönen
blassen Wangen. Sie setzte sich in einen Sessel,
der für sie unter den Linden bereitet war, und
ihr Vater nahm einen Stuhl neben ihr. Er faßte
zärtlich ihre Hand, und redete sie, die heftiger
zu weinen anfing, mit zarten Worten an:

"Du bist mein gutes, liebes Kind, Du wirst
auch vernünftig sein, wirst nicht Deinen alten
Vater betrüben wollen, der nur Dein Glück will;
ich begreife es wohl, liebes Herz, daß es Dich
sehr erschüttert hat, Du bist wunderbar Deinem
Unglück entkommen! Bevor wir den schändlichen
Betrug entdeckt, hast Du diesen Unwürdigen sehr

viertehalb Millionen.» — «Er muß ſehr viel
geſtolen haben.» — «Was ſind das wieder für
Reden! Er hat weislich geſpart, wo verſchwen-
det wurde.» — «Ein Mann, der die Livree
getragen hat.» — «Dummes Zeug! er hat doch
einen untadlichen Schatten» — «Du haſt Recht,
aber — —»

Der Mann im grauen Rock lachte und ſah
mich an. Die Thüre ging auf, und Mina trat
heraus. Sie ſtützte ſich auf den Arm einer Kam-
merfrau, ſtille Thränen floſſen auf ihre ſchönen
blaſſen Wangen. Sie ſetzte ſich in einen Seſſel,
der für ſie unter den Linden bereitet war, und
ihr Vater nahm einen Stuhl neben ihr. Er faßte
zärtlich ihre Hand, und redete ſie, die heftiger
zu weinen anfing, mit zarten Worten an:

«Du biſt mein gutes, liebes Kind, Du wirſt
auch vernünftig ſein, wirſt nicht Deinen alten
Vater betrüben wollen, der nur Dein Glück will;
ich begreife es wohl, liebes Herz, daß es Dich
ſehr erſchüttert hat, Du biſt wunderbar Deinem
Unglück entkommen! Bevor wir den ſchändlichen
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[95/0109] viertehalb Millionen.» — «Er muß ſehr viel geſtolen haben.» — «Was ſind das wieder für Reden! Er hat weislich geſpart, wo verſchwen- det wurde.» — «Ein Mann, der die Livree getragen hat.» — «Dummes Zeug! er hat doch einen untadlichen Schatten» — «Du haſt Recht, aber — —» Der Mann im grauen Rock lachte und ſah mich an. Die Thüre ging auf, und Mina trat heraus. Sie ſtützte ſich auf den Arm einer Kam- merfrau, ſtille Thränen floſſen auf ihre ſchönen blaſſen Wangen. Sie ſetzte ſich in einen Seſſel, der für ſie unter den Linden bereitet war, und ihr Vater nahm einen Stuhl neben ihr. Er faßte zärtlich ihre Hand, und redete ſie, die heftiger zu weinen anfing, mit zarten Worten an: «Du biſt mein gutes, liebes Kind, Du wirſt auch vernünftig ſein, wirſt nicht Deinen alten Vater betrüben wollen, der nur Dein Glück will; ich begreife es wohl, liebes Herz, daß es Dich ſehr erſchüttert hat, Du biſt wunderbar Deinem Unglück entkommen! Bevor wir den ſchändlichen Betrug entdeckt, haſt Du dieſen Unwürdigen ſehr

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2755/109>, abgerufen am 29.03.2024.