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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835.

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ihn erreichen. Nun hielt er plötzlich an und kehrte
sich nach mir um. Wie der Löwe auf seine Beute,
so schoß ich mit einem gewaltigen Sprunge hin-
zu, um ihn in Besitz zu nehmen -- und traf un-
erwartet und hart auf körperlichen Widerstand. Es
wurden mir unsichtbar die unerhörtesten Rippen-
stöße ertheilt, die wohl je ein Mensch gefühlt hat.

Die Wirkung des Schreckens war in mir, die
Arme krampfhaft zuzuschlagen und fest zu drücken,
was ungesehen vor mir stand. Ich stürzte in der
schnellen Handlung vorwärts gestreckt auf den Bo-
den; rückwärts aber unter mir ein Mensch, den ich
umfaßt hielt, und der jetzt erst sichtbar erschien.

Nun ward mir auch das ganze Ereigniß sehr
natürlich erklärbar. Der Mann mußte das un-
sichtbare Vogelnest, welches den, der es hält,
nicht aber seinen Schatten, unsichtbar macht, erst
getragen und jetzt weggeworfen haben. Ich spä-
hete mit dem Blick umher, entdeckte gar bald den
Schatten des unsichtbaren Nestes selbst, sprang
auf und hinzu, und verfehlte nicht den theuern
Raub. Ich hielt unsichtbar, schattenlos das Nest
in Händen.

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ihn erreichen. Nun hielt er plötzlich an und kehrte
ſich nach mir um. Wie der Löwe auf ſeine Beute,
ſo ſchoß ich mit einem gewaltigen Sprunge hin-
zu, um ihn in Beſitz zu nehmen — und traf un-
erwartet und hart auf körperlichen Widerſtand. Es
wurden mir unſichtbar die unerhörteſten Rippen-
ſtöße ertheilt, die wohl je ein Menſch gefühlt hat.

Die Wirkung des Schreckens war in mir, die
Arme krampfhaft zuzuſchlagen und feſt zu drücken,
was ungeſehen vor mir ſtand. Ich ſtürzte in der
ſchnellen Handlung vorwärts geſtreckt auf den Bo-
den; rückwärts aber unter mir ein Menſch, den ich
umfaßt hielt, und der jetzt erſt ſichtbar erſchien.

Nun ward mir auch das ganze Ereigniß ſehr
natürlich erklärbar. Der Mann mußte das un-
ſichtbare Vogelneſt, welches den, der es hält,
nicht aber ſeinen Schatten, unſichtbar macht, erſt
getragen und jetzt weggeworfen haben. Ich ſpä-
hete mit dem Blick umher, entdeckte gar bald den
Schatten des unſichtbaren Neſtes ſelbſt, ſprang
auf und hinzu, und verfehlte nicht den theuern
Raub. Ich hielt unſichtbar, ſchattenlos das Neſt
in Händen.

6 *
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[89/0103] ihn erreichen. Nun hielt er plötzlich an und kehrte ſich nach mir um. Wie der Löwe auf ſeine Beute, ſo ſchoß ich mit einem gewaltigen Sprunge hin- zu, um ihn in Beſitz zu nehmen — und traf un- erwartet und hart auf körperlichen Widerſtand. Es wurden mir unſichtbar die unerhörteſten Rippen- ſtöße ertheilt, die wohl je ein Menſch gefühlt hat. Die Wirkung des Schreckens war in mir, die Arme krampfhaft zuzuſchlagen und feſt zu drücken, was ungeſehen vor mir ſtand. Ich ſtürzte in der ſchnellen Handlung vorwärts geſtreckt auf den Bo- den; rückwärts aber unter mir ein Menſch, den ich umfaßt hielt, und der jetzt erſt ſichtbar erſchien. Nun ward mir auch das ganze Ereigniß ſehr natürlich erklärbar. Der Mann mußte das un- ſichtbare Vogelneſt, welches den, der es hält, nicht aber ſeinen Schatten, unſichtbar macht, erſt getragen und jetzt weggeworfen haben. Ich ſpä- hete mit dem Blick umher, entdeckte gar bald den Schatten des unſichtbaren Neſtes ſelbſt, ſprang auf und hinzu, und verfehlte nicht den theuern Raub. Ich hielt unſichtbar, ſchattenlos das Neſt in Händen. 6 *

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1835, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2755/103>, abgerufen am 27.11.2024.