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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1827.

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heraus. Sie stützte sich auf den Arm einer Kam-
merfrau, stille Thränen flossen auf ihren schönen
blassen Wangen. Sie setzte sich in einen Sessel,
der für sie unter den Linden bereitet war, und ihr
Vater nahm einen Stuhl neben ihr. Er faßte
zärtlich ihre Hand, und redete sie, die heftiger
zu weinen anfing, mit zarten Worten an:

"Du bist mein gutes, liebes Kind, Du wirst
auch vernünftig sein, wirst nicht Deinen alten
Vater betrüben wollen, der nur Dein Glück will;
ich begreife es wohl, liebes Herz, daß es Dich sehr
erschüttert hat, Du bist wunderbar Deinem Unglück
entkommen! Bevor wir den schändlichen Betrug
entdeckt, hast Du diesen Unwürdigen sehr geliebt;
siehe Mina, ich weiß es, und mache Dir keine
Vorwürfe darüber. Ich selber, liebes Kind, ha-
be ihn auch geliebt, so lange ich ihn für einen
großen Herrn angesehen habe. Nun siehst Du sel-
ber ein, wie anders Alles geworden. Was! ein
jeder Pudel hat ja seinen Schatten, und mein lie-
bes einziges Kind sollte einen Mann -- --
Nein, Du denkst auch gar nicht mehr an ihn. --
Höre, Mina, nun wirbt ein Mann um Dich,

heraus. Sie ſtützte ſich auf den Arm einer Kam-
merfrau, ſtille Thränen floſſen auf ihren ſchönen
blaſſen Wangen. Sie ſetzte ſich in einen Seſſel,
der für ſie unter den Linden bereitet war, und ihr
Vater nahm einen Stuhl neben ihr. Er faßte
zärtlich ihre Hand, und redete ſie, die heftiger
zu weinen anfing, mit zarten Worten an:

“Du biſt mein gutes, liebes Kind, Du wirſt
auch vernünftig ſein, wirſt nicht Deinen alten
Vater betrüben wollen, der nur Dein Glück will;
ich begreife es wohl, liebes Herz, daß es Dich ſehr
erſchüttert hat, Du biſt wunderbar Deinem Unglück
entkommen! Bevor wir den ſchändlichen Betrug
entdeckt, haſt Du dieſen Unwürdigen ſehr geliebt;
ſiehe Mina, ich weiß es, und mache Dir keine
Vorwürfe darüber. Ich ſelber, liebes Kind, ha-
be ihn auch geliebt, ſo lange ich ihn für einen
großen Herrn angeſehen habe. Nun ſiehſt Du ſel-
ber ein, wie anders Alles geworden. Was! ein
jeder Pudel hat ja ſeinen Schatten, und mein lie-
bes einziges Kind ſollte einen Mann — —
Nein, Du denkſt auch gar nicht mehr an ihn. —
Höre, Mina, nun wirbt ein Mann um Dich,

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[80/0108] heraus. Sie ſtützte ſich auf den Arm einer Kam- merfrau, ſtille Thränen floſſen auf ihren ſchönen blaſſen Wangen. Sie ſetzte ſich in einen Seſſel, der für ſie unter den Linden bereitet war, und ihr Vater nahm einen Stuhl neben ihr. Er faßte zärtlich ihre Hand, und redete ſie, die heftiger zu weinen anfing, mit zarten Worten an: “Du biſt mein gutes, liebes Kind, Du wirſt auch vernünftig ſein, wirſt nicht Deinen alten Vater betrüben wollen, der nur Dein Glück will; ich begreife es wohl, liebes Herz, daß es Dich ſehr erſchüttert hat, Du biſt wunderbar Deinem Unglück entkommen! Bevor wir den ſchändlichen Betrug entdeckt, haſt Du dieſen Unwürdigen ſehr geliebt; ſiehe Mina, ich weiß es, und mache Dir keine Vorwürfe darüber. Ich ſelber, liebes Kind, ha- be ihn auch geliebt, ſo lange ich ihn für einen großen Herrn angeſehen habe. Nun ſiehſt Du ſel- ber ein, wie anders Alles geworden. Was! ein jeder Pudel hat ja ſeinen Schatten, und mein lie- bes einziges Kind ſollte einen Mann — — Nein, Du denkſt auch gar nicht mehr an ihn. — Höre, Mina, nun wirbt ein Mann um Dich,

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1827, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2754/108>, abgerufen am 27.04.2024.