Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.

Bild:
<< vorherige Seite

ich hätte mit irgend Etwas, was nur mein war, mehr
als eben mit Gold gekargt. -- Nein, Adelbert; aber
mit unüberwindlichem Hasse gegen diesen räthselhaften
Schleicher auf krummen Wegen war meine Seele angefüllt.
Ich mochte ihm Unrecht thun, doch empörte mich jede
Gemeinschaft mit ihm. -- Auch hier trat, wie so oft schon
in mein Leben, und wie überhaupt so oft in die Weltge-
schichte, ein Ereigniß an die Stelle einer That. Später
habe ich mich mit mir selber versöhnt. Ich habe erstlich
die Nothwendigkeit verehren lernen, und was ist mehr als
die gethane That, das geschehene Ereigniß, ihr Eigenthum!
Dann hab' ich auch diese Nothwendigkeit als eine weise
Fügung verehren lernen, die durch das gesammte große Ge-
trieb' weht, darin wir blos als mitwirkende, getriebene trei-
bende Räder eingreifen; was sein soll, muß geschehen, was
sein sollte, geschah, und nicht ohne jene Fügung, die ich end-
lich noch in meinem Schicksale und dem Schicksale Derer,
die das meine mit angriff, verehren lernte.

Ich weiß nicht, ob ich es der Spannung meiner Seele,
unter dem Drange so mächtiger Empfindungen, zuschreiben
soll, ob der Erschöpfung meiner physischen Kräfte, die
während der letzten Tage ungewohntes Darben geschwächt,
ob endlich dem zerstörenden Aufruhr, den die Nähe dieses
grauen Unholdes in meiner ganzen Natur erregte; genug,
es befiel mich, als es an das Unterschreiben ging, eine
tiefe Ohnmacht, und ich lag eine lange Zeit wie in den
Armen des Todes.

Fußstampfen und Fluchen waren die ersten Töne, die

ich haͤtte mit irgend Etwas, was nur mein war, mehr
als eben mit Gold gekargt. — Nein, Adelbert; aber
mit unuͤberwindlichem Haſſe gegen dieſen raͤthſelhaften
Schleicher auf krummen Wegen war meine Seele angefuͤllt.
Ich mochte ihm Unrecht thun, doch empoͤrte mich jede
Gemeinſchaft mit ihm. — Auch hier trat, wie ſo oft ſchon
in mein Leben, und wie uͤberhaupt ſo oft in die Weltge-
ſchichte, ein Ereigniß an die Stelle einer That. Spaͤter
habe ich mich mit mir ſelber verſoͤhnt. Ich habe erſtlich
die Nothwendigkeit verehren lernen, und was iſt mehr als
die gethane That, das geſchehene Ereigniß, ihr Eigenthum!
Dann hab’ ich auch dieſe Nothwendigkeit als eine weiſe
Fuͤgung verehren lernen, die durch das geſammte große Ge-
trieb’ weht, darin wir blos als mitwirkende, getriebene trei-
bende Raͤder eingreifen; was ſein ſoll, muß geſchehen, was
ſein ſollte, geſchah, und nicht ohne jene Fuͤgung, die ich end-
lich noch in meinem Schickſale und dem Schickſale Derer,
die das meine mit angriff, verehren lernte.

Ich weiß nicht, ob ich es der Spannung meiner Seele,
unter dem Drange ſo maͤchtiger Empfindungen, zuſchreiben
ſoll, ob der Erſchoͤpfung meiner phyſiſchen Kraͤfte, die
waͤhrend der letzten Tage ungewohntes Darben geſchwaͤcht,
ob endlich dem zerſtoͤrenden Aufruhr, den die Naͤhe dieſes
grauen Unholdes in meiner ganzen Natur erregte; genug,
es befiel mich, als es an das Unterſchreiben ging, eine
tiefe Ohnmacht, und ich lag eine lange Zeit wie in den
Armen des Todes.

Fußſtampfen und Fluchen waren die erſten Toͤne, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0084" n="296"/>
ich ha&#x0364;tte mit irgend Etwas, was nur mein war, mehr<lb/>
als eben mit Gold gekargt. &#x2014; Nein, <hi rendition="#g">Adelbert</hi>; aber<lb/>
mit unu&#x0364;berwindlichem Ha&#x017F;&#x017F;e gegen die&#x017F;en ra&#x0364;th&#x017F;elhaften<lb/>
Schleicher auf krummen Wegen war meine Seele angefu&#x0364;llt.<lb/>
Ich mochte ihm Unrecht thun, doch empo&#x0364;rte mich jede<lb/>
Gemein&#x017F;chaft mit ihm. &#x2014; Auch hier trat, wie &#x017F;o oft &#x017F;chon<lb/>
in mein Leben, und wie u&#x0364;berhaupt &#x017F;o oft in die Weltge-<lb/>
&#x017F;chichte, ein Ereigniß an die Stelle einer That. Spa&#x0364;ter<lb/>
habe ich mich mit mir &#x017F;elber ver&#x017F;o&#x0364;hnt. Ich habe er&#x017F;tlich<lb/>
die Nothwendigkeit verehren lernen, und was i&#x017F;t mehr als<lb/>
die gethane That, das ge&#x017F;chehene Ereigniß, ihr Eigenthum!<lb/>
Dann hab&#x2019; ich auch die&#x017F;e Nothwendigkeit als eine wei&#x017F;e<lb/>
Fu&#x0364;gung verehren lernen, die durch das ge&#x017F;ammte große Ge-<lb/>
trieb&#x2019; weht, darin wir blos als mitwirkende, getriebene trei-<lb/>
bende Ra&#x0364;der eingreifen; was &#x017F;ein &#x017F;oll, muß ge&#x017F;chehen, was<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;ollte, ge&#x017F;chah, und nicht ohne jene Fu&#x0364;gung, die ich end-<lb/>
lich noch in meinem Schick&#x017F;ale und dem Schick&#x017F;ale Derer,<lb/>
die das meine mit angriff, verehren lernte.</p><lb/>
          <p>Ich weiß nicht, ob ich es der Spannung meiner Seele,<lb/>
unter dem Drange &#x017F;o ma&#x0364;chtiger Empfindungen, zu&#x017F;chreiben<lb/>
&#x017F;oll, ob der Er&#x017F;cho&#x0364;pfung meiner phy&#x017F;i&#x017F;chen Kra&#x0364;fte, die<lb/>
wa&#x0364;hrend der letzten Tage ungewohntes Darben ge&#x017F;chwa&#x0364;cht,<lb/>
ob endlich dem zer&#x017F;to&#x0364;renden Aufruhr, den die Na&#x0364;he die&#x017F;es<lb/>
grauen Unholdes in meiner ganzen Natur erregte; genug,<lb/>
es befiel mich, als es an das Unter&#x017F;chreiben ging, eine<lb/>
tiefe Ohnmacht, und ich lag eine lange Zeit wie in den<lb/>
Armen des Todes.</p><lb/>
          <p>Fuß&#x017F;tampfen und Fluchen waren die er&#x017F;ten To&#x0364;ne, die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[296/0084] ich haͤtte mit irgend Etwas, was nur mein war, mehr als eben mit Gold gekargt. — Nein, Adelbert; aber mit unuͤberwindlichem Haſſe gegen dieſen raͤthſelhaften Schleicher auf krummen Wegen war meine Seele angefuͤllt. Ich mochte ihm Unrecht thun, doch empoͤrte mich jede Gemeinſchaft mit ihm. — Auch hier trat, wie ſo oft ſchon in mein Leben, und wie uͤberhaupt ſo oft in die Weltge- ſchichte, ein Ereigniß an die Stelle einer That. Spaͤter habe ich mich mit mir ſelber verſoͤhnt. Ich habe erſtlich die Nothwendigkeit verehren lernen, und was iſt mehr als die gethane That, das geſchehene Ereigniß, ihr Eigenthum! Dann hab’ ich auch dieſe Nothwendigkeit als eine weiſe Fuͤgung verehren lernen, die durch das geſammte große Ge- trieb’ weht, darin wir blos als mitwirkende, getriebene trei- bende Raͤder eingreifen; was ſein ſoll, muß geſchehen, was ſein ſollte, geſchah, und nicht ohne jene Fuͤgung, die ich end- lich noch in meinem Schickſale und dem Schickſale Derer, die das meine mit angriff, verehren lernte. Ich weiß nicht, ob ich es der Spannung meiner Seele, unter dem Drange ſo maͤchtiger Empfindungen, zuſchreiben ſoll, ob der Erſchoͤpfung meiner phyſiſchen Kraͤfte, die waͤhrend der letzten Tage ungewohntes Darben geſchwaͤcht, ob endlich dem zerſtoͤrenden Aufruhr, den die Naͤhe dieſes grauen Unholdes in meiner ganzen Natur erregte; genug, es befiel mich, als es an das Unterſchreiben ging, eine tiefe Ohnmacht, und ich lag eine lange Zeit wie in den Armen des Todes. Fußſtampfen und Fluchen waren die erſten Toͤne, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/84
Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/84>, abgerufen am 22.11.2024.