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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327.

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Geh' hin und zeuge wider mich." -- Er schien in schwerem
Kampfe mit sich selber, endlich stürzte er vor mir nieder
und ergriff meine Hand, die er mit seinen Thränen benetzte.
"Nein," rief er aus, "was die Welt auch meine, ich
kann und werde um Schattens willen meinen gütigen
Herrn nicht verlassen, ich werde recht, und nicht klug han-
deln, ich werde bei Ihnen bleiben, Ihnen meinen Schatten
borgen, Ihnen helfen, wo ich kann, und wo ich nicht
kann, mit Ihnen weinen." Ich fiel ihm um den Hals,
ob solcher ungewohnten Gesinnung staunend; denn ich war
von ihm überzeugt, daß er es nicht um Gold that.

Seitdem änderten sich in Etwas mein Schicksal und
meine Lebensweise. Es ist unbeschreiblich, wie vorsorglich
Bendel mein Gebrechen zu verhehlen wußte. Ueberall
war er vor mir und mit mir, Alles vorhersehend, Anstalten
treffend, und wo Gefahr unversehens drohte, mich schnell
mit seinem Schatten überdeckend, denn er war größer und
stärker als ich. So wagt' ich mich wieder unter die Men-
schen, und begann eine Rolle in der Welt zu spielen.
Ich mußte freilich viele Eigenheiten und Launen scheinbar
annehmen. Solche stehen aber dem Reichen gut, und so
lange die Wahrheit nur verborgen blieb, genoß ich aller
der Ehre und Achtung, die meinem Golde zukam. Ich
sah ruhiger dem über Jahr und Tag verheißenen Besuch
des räthselhaften Unbekannten entgegen.

Ich fühlte sehr wohl, daß ich mich nicht lange an
einem Ort aufhalten durfte, wo man mich schon ohne
Schatten gesehen, und wo ich leicht verrathen werden

Geh’ hin und zeuge wider mich.〞 — Er ſchien in ſchwerem
Kampfe mit ſich ſelber, endlich ſtuͤrzte er vor mir nieder
und ergriff meine Hand, die er mit ſeinen Thraͤnen benetzte.
〟Nein,〞 rief er aus, 〟was die Welt auch meine, ich
kann und werde um Schattens willen meinen guͤtigen
Herrn nicht verlaſſen, ich werde recht, und nicht klug han-
deln, ich werde bei Ihnen bleiben, Ihnen meinen Schatten
borgen, Ihnen helfen, wo ich kann, und wo ich nicht
kann, mit Ihnen weinen.〞 Ich fiel ihm um den Hals,
ob ſolcher ungewohnten Geſinnung ſtaunend; denn ich war
von ihm uͤberzeugt, daß er es nicht um Gold that.

Seitdem aͤnderten ſich in Etwas mein Schickſal und
meine Lebensweiſe. Es iſt unbeſchreiblich, wie vorſorglich
Bendel mein Gebrechen zu verhehlen wußte. Ueberall
war er vor mir und mit mir, Alles vorherſehend, Anſtalten
treffend, und wo Gefahr unverſehens drohte, mich ſchnell
mit ſeinem Schatten uͤberdeckend, denn er war groͤßer und
ſtaͤrker als ich. So wagt’ ich mich wieder unter die Men-
ſchen, und begann eine Rolle in der Welt zu ſpielen.
Ich mußte freilich viele Eigenheiten und Launen ſcheinbar
annehmen. Solche ſtehen aber dem Reichen gut, und ſo
lange die Wahrheit nur verborgen blieb, genoß ich aller
der Ehre und Achtung, die meinem Golde zukam. Ich
ſah ruhiger dem uͤber Jahr und Tag verheißenen Beſuch
des raͤthſelhaften Unbekannten entgegen.

Ich fuͤhlte ſehr wohl, daß ich mich nicht lange an
einem Ort aufhalten durfte, wo man mich ſchon ohne
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[258/0044] Geh’ hin und zeuge wider mich.〞 — Er ſchien in ſchwerem Kampfe mit ſich ſelber, endlich ſtuͤrzte er vor mir nieder und ergriff meine Hand, die er mit ſeinen Thraͤnen benetzte. 〟Nein,〞 rief er aus, 〟was die Welt auch meine, ich kann und werde um Schattens willen meinen guͤtigen Herrn nicht verlaſſen, ich werde recht, und nicht klug han- deln, ich werde bei Ihnen bleiben, Ihnen meinen Schatten borgen, Ihnen helfen, wo ich kann, und wo ich nicht kann, mit Ihnen weinen.〞 Ich fiel ihm um den Hals, ob ſolcher ungewohnten Geſinnung ſtaunend; denn ich war von ihm uͤberzeugt, daß er es nicht um Gold that. Seitdem aͤnderten ſich in Etwas mein Schickſal und meine Lebensweiſe. Es iſt unbeſchreiblich, wie vorſorglich Bendel mein Gebrechen zu verhehlen wußte. Ueberall war er vor mir und mit mir, Alles vorherſehend, Anſtalten treffend, und wo Gefahr unverſehens drohte, mich ſchnell mit ſeinem Schatten uͤberdeckend, denn er war groͤßer und ſtaͤrker als ich. So wagt’ ich mich wieder unter die Men- ſchen, und begann eine Rolle in der Welt zu ſpielen. Ich mußte freilich viele Eigenheiten und Launen ſcheinbar annehmen. Solche ſtehen aber dem Reichen gut, und ſo lange die Wahrheit nur verborgen blieb, genoß ich aller der Ehre und Achtung, die meinem Golde zukam. Ich ſah ruhiger dem uͤber Jahr und Tag verheißenen Beſuch des raͤthſelhaften Unbekannten entgegen. Ich fuͤhlte ſehr wohl, daß ich mich nicht lange an einem Ort aufhalten durfte, wo man mich ſchon ohne Schatten geſehen, und wo ich leicht verrathen werden

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. In: Adelbert von Chamisso's Werke. Bd. 4. Leipzig, 1836. S. 225-327, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/19_ZZ_2749/44>, abgerufen am 24.11.2024.