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Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879.

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I. Der Urstand nach kirchlicher Ueberlieferung.
radies und Austreibung aus demselben an Einem Tage erfolgt sei;
fünf Stunden habe Gott zu seiner Erschaffung bedurft, fünf weitere
Stunden seien von da bis zum Genuß des verbotenen Apfels ver-
strichen, nach zwei weiteren Stunden habe die Austreibung des ge-
fallenen Paares stattgefunden. Oder auch, wie eine wenig abweichende
Version lautet: am Morgen habe Adam das göttliche Verbot em-
pfangen, und am Abende desselben Tages, oder auch schon am Nach-
mittage, sei er wegen seiner Uebertretung ausgetrieben worden.
Dagegen setzt der von Josephus an der Spitze seiner Jüdischen
Alterthümer gegebne Bericht vom Sündenfalle ein schon längeres,
jedenfalls mehrtägiges Verweilen der Stammeltern im Paradiese
voraus, da er von einer allmähligen Ueberredung Evas durch die
schmeichelnd mit Adam und ihr verkehrenden Schlange erzählt. Bis
zu sieben Jahren dehnt das (ungefähr zu des Josephus Zeit in Pa-
lästina entstandene) Buch der Jubiläen, die s. g. Kleine Genesis,
den Aufenthalt unsrer Stammeltern im Paradiese aus; zugleich hat
dieses Apokryphon die merkwürdige Angabe: Beide, Adam wie
Eva, seien außerhalb des Paradieses von Gott erschaffen worden
und den Ersteren habe der Schöpfer 40 Tage nach seiner Er-
schaffung, die Eva aber erst 80 Tage nach der ihrigen in das Pa-
radies versetzt, im vorausschauenden Hinblick auf das levitische
Reinigkeitsgesetz 3 Mos. 12!1) -- Die kirchliche Tradition hat keine
dieser Angaben jüdischer Gewährsmänner ganz zurückgewiesen. Als
beliebteste Annahme steht auch innerhalb ihrer die Meinung vom nur
eintägigen Verweilen Adams und Eva's im Paradiese fest. Sie
wurde vertreten von Jrenäus, Ephräm, Cyrill, Epiphanius, Diodor
v. Tarsus, Jacob von Sarug, Anastasius Sinaita u. a. Vätern;
im Mittelalter z. B. von Moses Barcepha, von Petrus Comestor,
vom Verfasser der "Sächsischen Weltchronik" und anderen Chro-

1) Gem. Sanh. c. 4, 10; vgl. Abr. Calov, Bibl. illustr. ad Gen. 2, 7.
-- Josephus Antiq. I, 1, 4. -- H. Rönsch, Das Buch der Jubiläen etc.
herausgegeben, Leipz. 1874, S. 219 ff.

I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung.
radies und Austreibung aus demſelben an Einem Tage erfolgt ſei;
fünf Stunden habe Gott zu ſeiner Erſchaffung bedurft, fünf weitere
Stunden ſeien von da bis zum Genuß des verbotenen Apfels ver-
ſtrichen, nach zwei weiteren Stunden habe die Austreibung des ge-
fallenen Paares ſtattgefunden. Oder auch, wie eine wenig abweichende
Verſion lautet: am Morgen habe Adam das göttliche Verbot em-
pfangen, und am Abende deſſelben Tages, oder auch ſchon am Nach-
mittage, ſei er wegen ſeiner Uebertretung ausgetrieben worden.
Dagegen ſetzt der von Joſephus an der Spitze ſeiner Jüdiſchen
Alterthümer gegebne Bericht vom Sündenfalle ein ſchon längeres,
jedenfalls mehrtägiges Verweilen der Stammeltern im Paradieſe
voraus, da er von einer allmähligen Ueberredung Evas durch die
ſchmeichelnd mit Adam und ihr verkehrenden Schlange erzählt. Bis
zu ſieben Jahren dehnt das (ungefähr zu des Joſephus Zeit in Pa-
läſtina entſtandene) Buch der Jubiläen, die ſ. g. Kleine Geneſis,
den Aufenthalt unſrer Stammeltern im Paradieſe aus; zugleich hat
dieſes Apokryphon die merkwürdige Angabe: Beide, Adam wie
Eva, ſeien außerhalb des Paradieſes von Gott erſchaffen worden
und den Erſteren habe der Schöpfer 40 Tage nach ſeiner Er-
ſchaffung, die Eva aber erſt 80 Tage nach der ihrigen in das Pa-
radies verſetzt, im vorausſchauenden Hinblick auf das levitiſche
Reinigkeitsgeſetz 3 Moſ. 12!1) — Die kirchliche Tradition hat keine
dieſer Angaben jüdiſcher Gewährsmänner ganz zurückgewieſen. Als
beliebteſte Annahme ſteht auch innerhalb ihrer die Meinung vom nur
eintägigen Verweilen Adams und Eva’s im Paradieſe feſt. Sie
wurde vertreten von Jrenäus, Ephräm, Cyrill, Epiphanius, Diodor
v. Tarſus, Jacob von Sarug, Anaſtaſius Sinaita u. a. Vätern;
im Mittelalter z. B. von Moſes Barcepha, von Petrus Comeſtor,
vom Verfaſſer der „Sächſiſchen Weltchronik‟ und anderen Chro-

1) Gem. Sanh. c. 4, 10; vgl. Abr. Calov, Bibl. illustr. ad Gen. 2, 7.
— Joſephus Antiq. I, 1, 4. — H. Rönſch, Das Buch der Jubiläen ꝛc.
herausgegeben, Leipz. 1874, S. 219 ff.
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[36/0046] I. Der Urſtand nach kirchlicher Ueberlieferung. radies und Austreibung aus demſelben an Einem Tage erfolgt ſei; fünf Stunden habe Gott zu ſeiner Erſchaffung bedurft, fünf weitere Stunden ſeien von da bis zum Genuß des verbotenen Apfels ver- ſtrichen, nach zwei weiteren Stunden habe die Austreibung des ge- fallenen Paares ſtattgefunden. Oder auch, wie eine wenig abweichende Verſion lautet: am Morgen habe Adam das göttliche Verbot em- pfangen, und am Abende deſſelben Tages, oder auch ſchon am Nach- mittage, ſei er wegen ſeiner Uebertretung ausgetrieben worden. Dagegen ſetzt der von Joſephus an der Spitze ſeiner Jüdiſchen Alterthümer gegebne Bericht vom Sündenfalle ein ſchon längeres, jedenfalls mehrtägiges Verweilen der Stammeltern im Paradieſe voraus, da er von einer allmähligen Ueberredung Evas durch die ſchmeichelnd mit Adam und ihr verkehrenden Schlange erzählt. Bis zu ſieben Jahren dehnt das (ungefähr zu des Joſephus Zeit in Pa- läſtina entſtandene) Buch der Jubiläen, die ſ. g. Kleine Geneſis, den Aufenthalt unſrer Stammeltern im Paradieſe aus; zugleich hat dieſes Apokryphon die merkwürdige Angabe: Beide, Adam wie Eva, ſeien außerhalb des Paradieſes von Gott erſchaffen worden und den Erſteren habe der Schöpfer 40 Tage nach ſeiner Er- ſchaffung, die Eva aber erſt 80 Tage nach der ihrigen in das Pa- radies verſetzt, im vorausſchauenden Hinblick auf das levitiſche Reinigkeitsgeſetz 3 Moſ. 12! 1) — Die kirchliche Tradition hat keine dieſer Angaben jüdiſcher Gewährsmänner ganz zurückgewieſen. Als beliebteſte Annahme ſteht auch innerhalb ihrer die Meinung vom nur eintägigen Verweilen Adams und Eva’s im Paradieſe feſt. Sie wurde vertreten von Jrenäus, Ephräm, Cyrill, Epiphanius, Diodor v. Tarſus, Jacob von Sarug, Anaſtaſius Sinaita u. a. Vätern; im Mittelalter z. B. von Moſes Barcepha, von Petrus Comeſtor, vom Verfaſſer der „Sächſiſchen Weltchronik‟ und anderen Chro- 1) Gem. Sanh. c. 4, 10; vgl. Abr. Calov, Bibl. illustr. ad Gen. 2, 7. — Joſephus Antiq. I, 1, 4. — H. Rönſch, Das Buch der Jubiläen ꝛc. herausgegeben, Leipz. 1874, S. 219 ff.

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Zitationshilfe: Zöckler, Otto: Die Lehre vom Urstand des Menschen. Gütersloh, 1879, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/zoeckler_lehre_1879/46>, abgerufen am 26.04.2024.